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Antisemitismus in der DDR
Propaganda gegen Israel und Juden

Die DDR verstand sich als "antifaschistischer" Staat. Offiziell war alles erledigt, was mit der nationalsozialistischen, deutschen Vergangenheit zu tun hatte. Doch auch im Arbeiter- und Bauern-Staat wurden antisemitische Feindbilder weiter transportiert.

Von Thomas Klatt | 23.12.2015
    Die Kuppel der Jüdischen Synagoge in der Oranienburger Straße, aufgenommen am 23.07.2014 in Berlin.
    Die Kuppel der Jüdischen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Der neue sozialistische deutsche Staat besaß für viele Juden nach dem Krieg oftmals eine höhere Anziehungskraft als die Bundesrepublik Deutschland. Jan Gerber, Politologe am Simon-Dubnow-Institut Leipzig:
    "Im Exil beginnt diese Diskussion im Grunde schon 1943: Wo können wir hin, wo sollen wir hin? Auf diese Leute hat die entstehende DDR, die sowjetische Besatzungszone eine große Anziehungskraft ausgeübt, weil sie den vehementesten Bruch mit der Vergangenheit versprochen hat, dass die Sowjetunion mit der Befreiung von Auschwitz gleichgesetzt wurde, dass die Sowjetunion den Kampf auf dem Kontinent sehr lange allein getragen hat,und aus all diesen Gründen gab es nicht wenige Juden, die bewusst in die sowjetische Besatzungszone gegangen sind."
    Denn in der Sowjetischen Besatzungszone gab es zu Beginn durchaus große Sympathien für ähnliche Gesellschaftsmodelle, etwa die sozialistische Kibbuzidee in Palästina.
    "Weil es gab bis 1948 eine Phase, in der Israel beziehungsweise das entstehende Israel von den Ostblockstaaten beziehungsweise den entstehenden Ostblockstaaten und Volksdemokratien unterstützt worden ist. Die Sowjetunion hat sich stark für die Gründung eingesetzt, die Tschechoslowakei hat Waffen geliefert und das ist in der SBZ begleitet worden von einer ideologischen Offensive: Die Kibbuze sind eine sozialistische Idee, die arabischen Nationen sind feudalistisch und reaktionär."
    Doch das hörte 1948/49 schlagartig auf. Der "Große Bruder" Sowjetunion verkündete den Kampf gegen den imperialistischen Zionismus. Die Shoah galt künftig nur als ein NS-Verbrechen unter vielen. Im Vordergrund stand allein das Leiden der kommunistischen Kämpfer. Mit der Enteignung der vermeintlich kapitalistischen Juden habe das NS-Regime nur das vorweggenommen, was der Arbeiter- und Bauernstaat sowieso gemacht hätte. Jochen Staadt, Historiker im Forschungsverbund SED-Staat an der
    "Die DDR hat das von den Nazis enteignete Eigentum jüdischer Bürger übernommen und erklärt in den 1950er Jahren, wir hätten sie sowieso als Kapitalisten enteignet, also geben wir das auch gar nicht erst zurück."
    Die Begeisterung für den besseren, weil sozialistischen Staat wich unter den Juden der DDR schnell der Ernüchterung. Jan Gerber:

    "Es gab als Anfang der 1950er-Jahre die antijüdischen Kampagnen in der DDR. Es gab innerhalb der jüdischen Gemeinden durchaus starke Reaktionen auf diese Kampagnen. Denn man hat Angst gehabt, dass es, das ist ein Zitat, "dass es wieder los geht", dass die Mitglieder kommen und denken, es geht jetzt wieder los. Und das hat zur Folge, dass mehrere hundert Juden aus der DDR in den Westen flüchten, und fünf von acht Gemeinde-Vorsitzenden fliehen ebenfalls in den Westen."
    Antisemitische Propagandawelle in den frühen 50er-Jahren
    Zurück blieben schätzungsweise gerade einmal 2.000 jüdische Gemeindeglieder in der ganzen DDR. Dabei war der Antisemitismus dort nicht einmal der Schlimmste innerhalb des Ostblocks. Als besonders gewichtig gilt bis heute der Schauprozess gegen den ehemaligen KP-Generalsekretär Rudolf Slánský in Prag.

    "Das am stärksten antisemitisch aufgeladene Ereignis ist der Slansky-Prozeß 1952 in Prag gewesen. Dort sind 14 Personen aus der Parteiführung vor Gericht gestellt worden. Von den 14 Funktionären waren elf jüdischer Herkunft, und in der Anklageschrift hat man das auch immer wieder betont. Man ist sogar weiter gegangen, man hat gesagt, weil diese Leute Juden sind, sind sie national unzuverlässig. Dieser Prozess ging mit einer starken Säuberungswelle einher. Das heißt: Es sind Juden auch aus anderen Positionen innerhalb der Partei verdrängt worden. Es sind Leute inhaftiert worden. Mitte der 50er-Jahre gab es keinen Juden mehr in einer höheren Position im Parteiapparat der Tschecheslowakei. In Polen gab es solche Entwicklungen dann um 1968, in der Sowjetunion seit 1948 etwa."
    Die antisemitische Propagandawelle der DDR erlebte ihren Höhepunkt mit der Anklage gegen Paul Merker, bis 1950 Mitglied im Politbüro und Zentralkomitee der SED. Der Vorwurf lautete, er und andere hochrangige Funktionäre seien "zionistische Agenten", die an der "Verschiebung von deutschem Volksvermögen" zugunsten amerikanischer und "jüdischer Monopolkapitalisten" gearbeitet hätten. Hintergrund war, dass Merker sich als einziges ZK-Mitglied für die Wiedergutmachung "arisierten" Eigentums eingesetzt hatte. Für die SED ein Affront, weiß Politologe Jan Gerber.

    "Nur in der DDR ist es so, dass so ein Schauprozeß wie der Slansky-Prozess nicht stattfindet. Dort findet nur ein Geheimprozeß statt gegen Paul Merker, ein Nichtjude, der nicht wie im Slansky-Prozeß zum Tode, sondern zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wird."
    Die Propaganda gegen Israel und die Juden ging immer weiter. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" titelte zum Sechs-Tage-Krieg 1967: "Das ist Völkermord". "Die israelische Wehrmacht" habe "einen Blitzkrieg vom Zaun gebrochen" und ein "Massenpogrom gegen die arabische Welt" verübt. Ulbricht erklärte, Israel wolle "ein Vierteljahrhundert nach dem zweiten Weltkrieg ein "Protektorat Sinai" oder ein "Generalgouvernement Jordanien" errichten. 1982 hieß es dann: "Israel betreibt die Endlösung der Palästinafrage". Der Historiker Jochen Staadt:
    "Der Antisemitismus in Europa, der im Nationalsozialismus seinen Kulminationspunkt gefunden hatte, der wurde in der DDR nicht thematisiert. Nicht in dieser Form, wie er in den Prozessen - Auschwitz-Prozess, Eichmann-Prozess - und den Diskussionen in der Bundesrepublik in den 60er/70er Jahren thematisiert wurde. Damit hat man die im Untergrund sublim vorhandenen Vorurteile rassistischer und antisemitischer Art fortgeführt."
    Antijüdische Feindbilder wurden ungefiltert weiter transportiert
    Zwar gab es zahlreiche Juden in hohen DDR-Positionen. Doch als Jude konnte man dann keine Karriere machen, wenn man sich öffentlich zu seiner Religion bekannte, sagt der Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz.
    "Die Namen der angeblich jüdischen Eliten in der DDR als Mitglieder des ZK der SED und anderer hohen Funktionen wurden bereitwillig genannt. Die Schriftsteller Stefan Heym und Anna Seghers, Stephan Hermlin und Arnold Zweig. Wissenschaftler wie Ernst Bloch und Alfred Kantorowicz, Hans Mayer, Jürgen Kuczynski, Wolfgang Steinitz oder Künstler wie Paul Dessau und Wieland Herzfelde. Schließlich Angehörige der politischen Elite mit den klingenden Namen Alexander Abusch, Hermann Axen, Albert Norden, Markus Wolf, Friedrich Karl Kaul. Keiner der Funktionäre der DDR, dessen jüdische Herkunft in der Stunde des Untergangs als positives Charakteristikum hervorgehoben wurde, hat als Jude in der DDR agiert."
    Auch habe es anders als im Verhältnis zum Westen oder den Kirchen bis zum Ende der DDR keine Entspannungspolitik zu Israel und damit eben auch zu den Juden gegeben. Antijüdische Feindbilder wurden ungefiltert weiter transportiert.

    "Die DDR-Kinderzeitschrift ABC-Zeitung brachte im Herbst 1984 das Märchen vom Feuerdrachen Zion, der nahe dem Land der Kinder Palästinas lebte. Das Drache war winzig klein und mickrig, konnte kein Feuer spucken, hatte eine piepsige Stimme, war hungrig und in jeder Beziehung elend und mitleiderregend. Die Kinder Palästinas gaben ihm zu essen, aber sie hatten nicht genug für den kleinen Drachen Zion. Er wurde zornig, flog aufs Feld, drosch mit seinem Schwanz die Ähren auf dem Halm und fraß die ganze Ernte auf. Auf die Klage der Kinder wurde er giftgrün vor Zorn, spie Feuer und Rauch und verwüstete das ganze Land."
    So kam es im antifaschistischen Staat immer wieder auch zur Schändung jüdischer Friedhöfe, ohne dass die Partei dagegen eingeschritten sei. Sicher habe es nach 1945 Antisemitismus in beiden deutschen Staaten gegeben. Nur habe dazu im Westen eine öffentliche Debatte stattgefunden, sagt der Filmemacher und DDR-Bürgerrechtler Konrad Weiß. Im Osten aber war dies nicht möglich.

    "Dadurch dass es keine wirkliche Auseinandersetzung damit gegeben hat mit dem, was der Holocaust war, überhaupt mit dem Judentum, dass es dann zu einer ganz großen Unwissenheit gekommen ist. Das heißt, dass eine Generation herangewachsen ist nach dem Zweiten Weltkrieg, die von all den Dingen nichts mehr gewusst hat. Oder allenfalls Juden nur noch als Opfer gekannt hat. Als Opfer waren Juden in der DDR immer präsent, es gab die Opfer des Faschismus, dazu gehörten die Juden, wenn auch in einer minderwertigen Kategorie. Die wertigere Kategorie, das waren die Kämpfer, das ist auch ein ganz übles Kapitel. Weil man Juden dadurch Juden wieder diskreditiert hat."