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Arabische Medien und die Flüchtlingskrise
Kein voyeuristisches Zurschaustellen von Leid

Viele arabische Medien berichten kaum über die Flüchtlingskrise in Europa - und falls doch, sind sie sehr zurückhaltend mit Wertungen, anders als sonst bei Krisen. Die Berichterstattung verdeutlicht einmal mehr, dass die Flüchtlingskrise in der Region ihren Ursprung hat.

Von Sabine Rossi | 29.10.2015
    Journalisten arbeiten in Doha, der Hauptstadt von Katar, in einem Newsroom des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira.
    Der Nachrichtenraum des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera in Doha, der Hauptstadt von Katar. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Die Flüchtlingsströme in Europa sind vielen arabischen Fernsehsendern, wenn überhaupt nur eine Meldung wert. Die Nachrichten in Jordanien und in Ägypten beschäftigen sich vor allem mit Ereignissen aus dem Inland: die Stichwahl für das neue Parlament in Ägypten oder die starken Regenfälle, die an einigen Orten Straßen überschwemmt und wie in Alexandria Menschen in den Tod gerissen haben.
    Anders in Libanon: In dem kleinen Land ist etwa jeder vierte Einwohner inzwischen Syrer. Gut eine Millionen syrische Flüchtlinge sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen registriert. Der private libanesische Fernsehsender "Future TV" hat ein eigenes Programm geschaltet.
    "Suriyya al-youm" – "Syrien heute" sendet täglich eine Viertelstunde Nachrichten rund um den Krieg. Angefangen bei den Kämpfen der Opposition - wie die Journalisten die Gegner von Präsident Assad nennen - bis zur Haltung Libanons zu den russischen Luftangriffen im Nachbarland. Dazwischen eine Meldung zum Sondergipfel der EU in Brüssel und zu den tausenden Flüchtlingen auf dem Balkan.
    Zurückhaltend mit Bewertungen
    Future TV wurde vom früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri gegründet, der bis zu seiner Ermordung 2005 eine besondere Nähe zu Saudi-Arabien pflegte. Die Golfmonarchie unterstützt Assads Gegner in Syrien.
    Am anderen Ende des politischen Spektrums in Libanon ist der Sender "Al-Manar" zu verorten. Er gehört der libanesischen Hisbollah, deren Miliz in Syrien auf der Seite von Assad kämpft.
    Im Namen Allahs des Gerechten und Barmherzigen begrüßt der Nachrichtensprecher sein Publikum. Danach folgen Meldungen die ganz der Linie der Hisbollah und ihres engsten Verbündeten Iran entsprechen. Umso erstaunlicher, dass sich der Bericht zur Flüchtlingskrise in Europa mit Wertungen zurückhält.
    "Für diejenigen, die es über das Meer schaffen, beginnt eine weitere schwierige Reise", heißt es. "Die Menschen müssen in Europa strenge Kontrollen passieren. Viele Flüchtlingslager sind überfüllt. Deshalb habe die EU entschieden, weitere Unterkünfte einzurichten und Länder, wie Slowenien, mit zusätzlichen Polizisten zu unterstützen.
    Immer wieder im Bild: Kinder
    Eines fällt auf: Alle arabischen Fernsehsender - sowohl die nationalen, als auch die großen überregionalen Nachrichtensender wie Al-Jazeera und Al-Arabiya - berichten sachlich über die Flüchtlingsströme auf dem Balkan. Sofern sie berichten, zitieren sie die offiziellen Positionen. Die Flüchtlinge selbst kommen jedoch so gut wie gar nicht zu Wort. Ihren Treck über den Balkan zeigen die Kameraleute aus der Ferne: Im morgendlichen Nebel verschwimmen die Umrisse der Menschen.
    Die arabischen Nachrichtensender halten sich - anders als sonst bei Krisen und Kriegen - zurück. Kein voyeuristisches Zurschaustellen von Leid; keine Menschen, die knietief durch den Schlamm waten; kein Herumschnüffeln in den wenigen Habseligkeiten, die sie mit sich tragen. Stattdessen zeigen sie Zelte, mobile Toiletten und Menschen, die die Flüchtlinge mit Essen und Trinken versorgen. Immer wieder im Bild: die Kinder, selbst die kleinsten. Viele Familien sind unterwegs in Richtung Deutschland.
    Doch mehr noch als mit Europa beschäftigen sich die hiesigen Medien mit den Flüchtlingen in der arabischen Welt. Die Nachrichtensender Al-Arabiya und Sky News zeigen, wie geflohene Syrer beispielsweise in Libanon leben.
    Die Kamera schwenkt über eine Zeltstadt. Tausende werden so einen weiteren kalten und regnerischen Winter verbringen, sagt der Reporter, unter Umständen, die menschenunwürdig seien.
    Ausführlich stellen die großen Nachrichtensender die Gründe dar, warum die Menschen nun nach Europa aufbrechen. Unter der Überschrift "Flucht nach Europa" schreibt Al-Jazeera in seinem arabischen Onlineauftritt, dass es auch daran liege, dass die Menschen in Syriens Nachbarländern die Hoffnung aufgeben, in ihre Heimat zurückzukehren und dass sie sich in Europa all das versprechen, was sie in Libanon, Ägypten oder Jordanien oft nicht haben: Sicherheit, eine Arbeitserlaubnis und Bildung für ihre Kinder.
    Die Berichterstattung der arabischen Medien verdeutlicht einmal mehr, dass die Flüchtlingskrise in der Region ihren Ursprung hat - und eine Lösung nicht in Sicht ist. Millionen Syrer benötigen in Syriens Nachbarländern Hilfe. Ihre Zahl ist sehr viel größer als die der Tausenden, die es über das Mittelmeer nach Europa geschafft haben.