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Arbeitsgerichte
Viele Klagen enden mit Vergleichen

Über 300.000 Klagen gehen jedes Jahr bei den deutschen Arbeitsgerichten ein. In der Mehrzahl der Streitigkeiten ziehen Arbeitnehmer, Gewerkschaften oder Betriebsräte vor Gericht. Wer dabei meist gewinnt und wie die Klagefreudigkeit sich entwickelt hat, wurde auf der "Personal Nord Messe" in Hamburg diskutiert.

Von Axel Schröder | 01.05.2017
    "Kläger(in)" steht am 16.06.2016 in Berlin auf dem Schild in einem Verhandlungssaal des Arbeitsgerichtes. Foto: Paul Zinken/dpa | Verwendung weltweit
    Meist sind es Arbeitnehmer, Gewerkschaften oder Betriebsräte, die vor deutschen Arbeitsgerichten klagen. (Paul Zinken/dpa )
    Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mediatorin in vielen Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Aus der täglichen Arbeit weiß sie, worum es bei den juristischen Auseinandersetzungen meistens geht:
    "Entweder Kündigungsschutzklagen. Und als Zweites kommen dann vielleicht solche Geschichten, wo es um Streitigkeiten geht, welche Regelungen für Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Also: welcher Tarifvertrag gilt? Insbesondere wenn Betriebsübergänge stattfinden, weil es neue Erwerber eines Unternehmens gibt. Und es dann Klauseln in den Verträgen gibt: ‚Tarifvertrag XY gilt‘."
    Aber das werde nur dann zum Problem, wenn Unternehmen andere Firmen übernehmen und die neuen Besitzer ganz andere arbeitsrechtliche Vorgaben durchsetzen wollen:
    "Diese Geschichten: welcher Lohn gilt eigentlich? Tarif A, Tarif B oder gar kein Tarif? Oder: Zuschläge, die in Tarifverträgen in der Regel geregelt sind. Die Mitarbeiter wollen die Zuschläge haben, der Arbeitgeber sagt aber: 'Gilt aber hier gar nicht!' Das ist auch eine Streitigkeit, die relativ häufig vorkommt."
    Kosten für Rechtsstreit oft höher als Einbußen durch Vergleich
    Auffällig bei den arbeitsrechtlichen Verfahren ist aber die Art, wie diese beendet werden. 2015 wurde von insgesamt 480.000 Klagen knapp die Hälfte durch einen Vergleich zwischen den Streitparteien beigelegt. Denn in vielen Fällen sind die Kosten für einen Rechtsstreit durch mehrere Instanzen weitaus höher als die Einbußen, auf die sich die Streitparteien in einem Vergleich einigen. Zum Beispiel durch die Aushandlung einer Abfindung. Die könnte dann niedriger ausfallen als es ein gekündigter Arbeitnehmer gern bekommen hätte, die der Arbeitgeber aber am liebsten aber gar nicht gezahlt hätte. Gerichtsstreitigkeiten, berichtet die Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel, würden dabei nicht etwa nur von Angestellten mit gutem Einkommen angestrengt:
    "Gerade die unteren klagen sehr häufig, weil das da bekannter ist und die oberen Führungskräfte finden doch häufig schneller und leichter vielleicht eine Stelle und klagen vielleicht sogar seltener, weil die häufiger das Standing haben, vorher zu verhandeln, bevor es überhaupt zur Klage kommt. Jedenfalls ist in meiner täglichen Praxis alles vertreten."
    Ihr Kollege Erwin Salomon geht davon aus, dass vor allem die wirtschaftliche Gesamtlage entscheidend ist für die Klagefreudigkeit der Arbeitnehmer. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise und einem erhöhten Risiko, die Anstellung zu verlieren, sei diese höher gewesen als heute:
    "Der Eindruck aus den letzten Jahren ist, mit der Belebung des Arbeitsmarktes, dass zwar geklagt wird, um dann aber auch relativ zeitnah in Einigungsgespräche einzutreten und gegen Zahlung einer Abfindung sich einer neuen beruflichen Perspektive zu widmen. Das war etwas, das beispielsweise 2003, 2004 prozessual selten zu beobachten war und das ist jetzt in den letzten drei bis vier Jahren eher die Regel geworden."
    Schutz für behinderte Arbeitnehmer vor willkürlicher Kündigung
    Dass neue Regelungen zum Arbeitnehmerschutz nicht immer so klar formuliert sind wie es sich Spezialisten wie Erwin Salomon wünschen, zeigt sich am Bundesteilhabegesetz, das zum 1.1.2017 in Kraft getreten ist. Das Gesetz soll behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor willkürlichen Kündigungen schützen und schreibt deshalb ein Anhörungsverfahren unter Beteiligung des Schwerbehindertenbeauftragten eines Unternehmens vor. Wie dieses Verfahren allerdings konkret aussehen soll, darauf konnte sich die Große Koalition nicht einigen:
    "Das wird jetzt die Rechtswissenschaft und zunehmend zeitnah auch die Gerichte beschäftigen. Da wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber selbst die entsprechenden Weichenstellungen im Rahmen seiner Verantwortung auch wahrgenommen hätte. Aber gut, das ist vielleicht ein politisches Thema, das so kurzfristig in einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren nicht mehr darstellbar war."
    Unterm Strich, so Erwin Salomon, wurden in den letzten Jahrzehnten die Rechte von Angestellten gestärkt. Eine Ausnahme bildeten zunächst die Gesetze zur Leiharbeit, die aber, nachdem klar wurde, dass Arbeitgeber sie vermehrt als verdecktes Lohnsenkungsmittel eingesetzt hatten, mittlerweile auch wieder zumindest arbeitnehmerfreundlicher als bisher gestaltet wurden.