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Arbeitsmarktforscher: Duales Ausbildungssystem hat seine Tücken

Aus der neuen Studie der OECD geht hervor, dass Deutschland auf einen massiven Fachkräftemangel zusteuert. Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn, schätzt das duale Ausbildungssystem trotz Schwächen aber nicht als überholt ein.

Anne Raith im Gespräch mit Hilmar Schneider | 08.09.2010
    Tobias Armbrüster: Deutschland steuert auf einen massiven Fachkräftemangel zu. Das geht aus einer Studie der OECD hervor, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie belegt, dass fast nirgendwo in der westlichen Welt so wenige junge Menschen auf eine Universität gehen wie bei uns in Deutschland. Geringe Studienneigung heißt so etwas bei den Bildungsforschern. Gute Noten hat die OECD dagegen bei der beruflichen Ausbildung in Deutschland vergeben, also bei den Ausbildungsberufen im Handwerk und im Dienstleistungsbereich.

    – Meine Kollegin Anne Raith hat darüber mit dem Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider gesprochen. Er ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Und sie hat ihn gefragt, was für junge Deutsche so unattraktiv ist an einem Studium.

    Hilmar Schneider: Das kann man so nicht sagen, dass das Studium unattraktiv ist. Die Deutschen haben halt ihr duales Ausbildungssystem, das es so in den meisten anderen Vergleichsländern gar nicht gibt. Das heißt, für junge Leute ist es durchaus eine attraktive Alternative, dort etwas zu erlernen, was man in anderen Ländern teilweise sogar im Rahmen einer akademischen Ausbildung lernt. Das ist nicht von vornherein schlechter, aber wird dann bei solchen statistischen Vergleichen eben anders gezählt. Was man auf jeden Fall sagen kann ist, dass die duale Ausbildung Jugendlichen in Deutschland einen leichteren Einstieg in das Erwerbsleben ermöglicht.

    Anne Raith: Aber es bleiben, so belegt auch die Studie, immer mehr auch auf der Strecke, in sogenannten Übergangsmaßnahmen.

    Schneider: Ja. Das Problem ist natürlich, dass dieses duale Ausbildungssystem auch seine Tücken hat. Es ist sehr attraktiv für junge Leute, auch für deren Eltern, denn wo wird man schon für seine Ausbildung bezahlt. Wenn Sie das mal vergleichen mit Ländern, wo Sie beispielsweise für eine medizinische Ausbildung Geld zahlen müssen, könnten Sie hier in Deutschland als Krankenschwester oder als Pfleger eine Ausbildung absolvieren, wo Sie sogar während der Ausbildung bezahlt werden. Das ist natürlich etwas, was man nicht gerne her gibt, was dann dazu führt, wenn junge Menschen keinen Ausbildungsplatz finden, dass die Politik sich teilweise sogar verpflichtet fühlt, jungen Leuten in einer Ersatzausbildung ein Gehalt für die Ausbildung zu zahlen. Ich halte das für problematisch und ich kann mir auch vorstellen, dass dieser Anreiz, dieser finanzielle Anreiz seine Schattenseiten darin hat, dass wir möglicherweise an einem System auch dann noch festhalten, wenn es sich überholt hat.

    Raith: Halten Sie das System für überholt?

    Schneider: Nein. Ich glaube, es ist in großen Teilen nach wie vor zukunftsfähig. Es gibt allerdings Randbereiche, wo man schon mal ein Fragezeichen setzen muss. Es gibt ja durchaus auch Ausbildungsberufe, wo der Anteil der Jugendlichen, die dann später in diesem Bereich bleiben, sehr gering ist, Arzthelferinnen zum Beispiel, oder nehmen wir Friseurgewerbe. Da scheint doch das Motiv für die Ausbildungsbetriebe eher zu sein, sich eine billige Arbeitskraft zu holen, und das ist dann eher eine Sackgasse, wo man die jungen Leute reinlockt.

    Raith: Wenn wir noch mal auf die Attraktivität des dualen Systems zurück kommen. Sehen Sie da die Gefahr einer Auslese, das heißt, dass sich mehr Jugendliche, immer höher qualifizierte Jugendliche für diese Ausbildungsberufe interessieren und andere auf der Strecke bleiben?

    Schneider: Das war in der Vergangenheit sicherlich der Fall, dass junge Menschen, die das Zeug hatten für eine akademische Ausbildung, sich dann doch eher vom dualen Ausbildungssystem haben anziehen lassen. Aber mal abgesehen davon, dass das ja auch nicht unbedingt schlecht sein muss, glaube ich, dass sich in Zukunft eher eine andere Entwicklung abzeichnen wird, denn gut ausgebildete junge Leute werden ja immer knapper, weil die Jahrgangsstärken so stark zurückgehen, und dann wird meines Erachtens die akademische Ausbildung so attraktiv, dass wenn es jemals ein Problem gegeben haben sollte sich das spätestens dann nicht mehr stellt.

    Raith: Das heißt, das Problem, dass es im Moment noch zu wenig Hochschulabsolventen oder Hochschulanfänger erst einmal gibt, wird sich von alleine lösen?

    Schneider: Nein, so gesehen nicht. Das duale Ausbildungssystem wird auch in Zukunft noch seine Bedeutung haben und wird auch in Zukunft dafür sorgen, dass in Deutschland nicht so viele junge Menschen an die Hochschulen gehen wie in vielen anderen Ländern. Das ist aber nicht von vornherein schlecht. Wenn die Akademikerquote in anderen Ländern um - sagen wir mal - 10 Prozentpunkte höher ist, heißt das ja nicht, dass die Ausbildungsinhalte, die dort gelernt werden, für den Arbeitsmarkt besser geeignet sind. Es ist ja gerade im Gegenteil so, dass junge Leute in Deutschland schneller in den Arbeitsmarkt rein kommen. Insofern muss man jetzt auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, auch wenn man sehen muss, dass das duale Ausbildungssystem seine Schwächen hat.

    Raith: Und die möglicherweise fehlenden Akademiker kommen dann zu uns aus dem Ausland?

    Schneider: Das wird die Zukunft zeigen. Das ist ja eine Debatte, die in Deutschland nur sehr schwer in Gang kommt, weil wir im Grunde den Handlungsdruck noch nicht spüren. Es tut noch nicht weh, obwohl man in den Zahlen schon längst wissen müsste, dass da enormer Handlungsbedarf vorliegt. Das werden wir mit Zuwanderung alleine gar nicht hinkriegen und da muss man auch noch ein paar andere Stellschrauben bewegen. Insbesondere betrifft das die Integration in Deutschland von jungen Menschen, die bereits hier sind, die ja nach wie vor sehr zu wünschen übrig lässt. Wir lassen es ja zu, dass massenhaft junge Talente auf der Strecke bleiben, was wirklich ein schweres Vergehen auch der Politik ist.

    Neben diesem Punkt muss man auch über längere Lebensarbeitszeiten denken. Auch das ist natürlich unbequem. Wir sehen das ja an den Reaktionen, die sofort auftreten, wenn es um Rente mit 67 geht, oder wenn jetzt jemand Rente mit 69 oder 70 fordert. Dann ist ja richtig was los bei uns. Trotzdem kommen wir darum nicht herum. Last, but not least: Frauen müssen einfach auch stärker ihre Möglichkeiten zur Geltung bringen können, und dafür ist es notwendig, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt wird. – Wenn man all diese Stellschrauben bewegt, dann ist der demographische Wandel und Fachkräftemangel sicherlich beherrschbar. Aber wenn man zu lange damit wartet, dann hilft auch das nichts.

    Armbrüster: Die OECD hat in einer Studie Schwachstellen im deutschen Bildungssystem offengelegt und die Organisation warnt außerdem vor einem Fachkräftemangel. Meine Kollegin Anne Raith hat darüber mit dem Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider gesprochen.