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ARD-Spielfilm
Katharina Luther als die wahre Heldin

So hat man den Reformator wohl noch nie gesehen: Luther liegt verzweifelt und erschöpft im Wittenberger Straßenmatsch. Oder: Aufgebrachte Bauern werfen ihm Dreck ins Gesicht. Im neuen ARD-Film "Katharina Luther" ist nicht Martin der Held, sondern die Frau an seiner Seite. Nur ist das alles auch historisch verbürgt?

Von Thomas Klatt | 22.02.2017
    Szene aus dem Film "Katharina Luther". Katharina will bei den Marktfrauen anschreiben lassen, doch sie schicken sie weg, weil sie ihre Heirat mit Luther für Sünde halten.
    Szene aus dem Film "Katharina Luther". Katharina will bei den Marktfrauen anschreiben lassen, doch sie schicken sie weg, weil sie ihre Heirat mit Luther für Sünde halten. (MDR / EIKON Süd / Junghans)
    Vater Hans von Bora, ein verarmter Landadeliger, bringt seine sechsjährige Tochter ins Kloster. Die wehrt sich mit Händen und Füßen. Der Anfang des ARD-Films "Katharina Luther". Ob es wirklich so dramatisch war, wissen wir heute nicht, sagt die Berliner Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg.
    "Es war gang und gäbe, dass man, wenn man zu viele Mädchen hatte, einen Teil davon ins Kloster steckte. Dann musste man sie nämlich nicht langfristig ernähren. Insofern war das normal. Ob das im individuellen Fall als Härte empfunden wurde, das wissen wir nicht, wir haben da keine Ego-Dokumente."
    Heimliche Flucht, spätere Hochzeit
    Ob aber nun Reformationsschriften ins Kloster geschmuggelt wurden, ist Spekulation. Ebenso, ob Luther persönlich zur Flucht aufgerufen hat. Sicher aber hat Katharina viel Mut bewiesen, als sie 1523 zusammen mit einigen Mitschwestern heimlich die Ordensgemeinschaft verließ.
    "Es war illegal. Wenn man sich einmal mit den ewigen Gelübden gebunden hatte, das wurde auch vom weltlichen Arm geahndet, insofern war das in der Tat eine Flucht, heimlich. Dann ergab sich das Problem: Was machen wir? Die Männer hatten im Allgemeinen einen Beruf. Die konnten etwa evangelische Pfarrer werden. Aber was macht man mit diesen Frauen? Da bleibt nur die Ehe oder die Mitunterbringung in einer bestehenden Familie."
    Szene aus dem Film "Katharina Luther". Katharina und die anderen geflohenen Nonnen kommen in Wittenberg an. Luther begrüßt Katharina.
    Szene aus dem Film "Katharina Luther". Katharina und die anderen geflohenen Nonnen kommen in Wittenberg an. Luther begrüßt Katharina. (MDR / EIKON Süd / Junghans)
    Doch so schnell wird nicht geheiratet. Als sie in Wittenberg ankommen, werden die Nonnen vom Volk beschimpft. Für den evangelischen Theologen und Katharina von Bora-Biographen Martin Treu eine durchaus realistische Szenerie.
    "Eine entlaufene Nonne ist schlimmer als eine Hure oder eine Asoziale. Sie ist eidbrüchig. Und wir können uns nicht vorstellen heutzutage, welche Rolle der Eid im 16. Jahrhundert spielt. In einer Zeit, die so gut wie keine übergreifende Bürokratie kennt, muss ich mich auf das Wort meines Mitmenschen verlassen können. Und wer einmal einen Schwur gebrochen hat, dem ist nie wieder zu trauen."
    "Der Mann war lebensuntüchtig"
    Die selbstbewusste Katharina angelt sich den schüchternen Reformator. Sie nimmt die Dinge in die Hand, verwandelt das Haus Luther in ein florierendes Wirtschaftsunternehmen. Ehemann Martin kümmert sich um seine Theologie. Für Martin Treu, der das ARD-Team fachlich beraten hat, ein durchaus realistisches Bild.
    "Der Film hat meiner Meinung nach völlig Recht. Der Mann war lebensuntüchtig, weil er monoman war. Er war ausschließlich mit seiner Arbeit verheiratet. Er hat sich tatsächlich tagelang in sein Zimmer eingeschlossen, einmal musste man die Tür einschlagen, weil er drei Tage nicht aufgetaucht war, ohne zu essen und ohne zu trinken."
    Erst allmählich nähern sich der Ex-Mönch und die Ex-Nonne auch körperlich, denn beide wissen von der Liebe nichts. Katharina quälen in der Schwangerschaft Höllenängste. Auch das durchaus realistisch.
    "Die Vorstellung, dass aus der fleischlichen Vereinigung eines Mönches und einer entlaufenen Nonne der Antichrist entsteht, stammt schon aus dem Hohen Mittelalter. Erasmus, der alte Spötter, hat gesagt, dann müsste die Welt voller Antichristen sein."
    In lebenspraktischen Fragen vollkommen auf seine Gattin angewiesen
    Doch es kommen sechs gesunde Kinder zur Welt. Katharina übernimmt die Erziehung. Mann Martinus gehorcht. Eine harmonische Film-Familie. Luther selbst bezeichnete sich als "Frauenmann". Eine im Rückblick sozusagen moderne Ehevorstellung, meint Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg und ist überzeugt, dass der Reformator in lebenspraktischen Fragen vollkommen auf seine Gattin angewiesen war.
    "Dass Luther ihr in allen praktischen Dingen nicht gewachsen war, das ist ganz klar. Der Mann war Mitte 40, als er heiratete, er hatte mit Vollversorgung im Kloster gelebt. Er war nicht weltfremd auf Wolke Sieben. Da muss man sich nur seine Predigten anschauen. Die greifen ins volle Menschenleben. Das war eine große Haushaltung mit vielen Leuten, durchgehenden Gästen. Das hat sie gemanagt. Sie hatte einen kleinen mittelständischen Betrieb. Er hat sich aber auch eingebracht. Da gibt es einen schönen Ausspruch von ihm: Wieso soll der Mann nicht Kinder wickeln?"
    Aber war Katharina auch Ratgeberin in theologischen und gesellschaftlichen Fragen? Wohl kaum.
    Nach Tod der Tochter stürzt Luther in tiefe Depression
    "Das halte ich für puren Quatsch. Sie besaß ja nicht im eigentlichen Sinn theologische Bildung. Dass sie ihm inhaltlich geholfen habe, dafür gibt es keinerlei Indizien."
    Als Luthers Lieblingstochter Magdalena stirbt, stürzt Martin in tiefe Depressionen. Er gibt den Juden die Schuld. Da hätte der Film durchaus noch einen weiteren Akzent setzen können. Dorothea Wendebourg zitiert aus einem Brief Luthers an Katharina.
    "'Ich bin da an einem Dorf vorbei gefahren. Da war es sehr kalt, dass ich mir was geholt habe. Du würdest jetzt sagen: Es sind die Juden gewesen, die da wohnen. Aus der Korrespondenz geht deutlich hervor, dass Katharina Luther äußerst judenfeindlich war. Ein Kollege in Tübingen sagte mal, Luthers Judenfeindschaft, die hat er durch seine Frau. Denn bevor er verheiratet war, hat er eine judenfreundliche Schrift Schrift geschrieben und sobald er verheiratet ist, ändert sich der Ton."
    Nicht alles im Film ist authentisch. Geranien und Begonien etwa hat es im Wittenberg des 16. Jahrhunderts noch nicht gegeben. Auch einige der gezeigten Bilder und Flugschriften entstammen der ARD-Grafik und sind nicht historisch. Und auch Luthers letzter Brief an Katharina ist fiktiv. Aber in seiner Diktion träfe er durchaus die Haltung des Reformators, meint Martin Treu. Insgesamt sei der Katharina-Lutherfilm ein gelungener neuer Ansatz.
    "Ich halte es für die absolute Stärke des Films, dass er seinem Titel 'Katharina Luther' gerecht wird und nicht wieder doch heimlich eine Biographie des Reformators bietet mit ein bisschen Tortendekor Katharina."