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Asbest
"Schulzerfall ist Bildungszerfall"

180 Asbestplatten bedrohen seit Jahrzehnten die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte am Käthe-Kollwitz Berufs-und Fachschulzentrum in Offenbach. Dazu kommt ein enormer Sanierungsstau etwa bei den Toiletten. Doch mehrere Protestaktionen haben bisher nichts genützt. Der Stadt Offenbach fehlt bisher das Geld für die Sanierung.

Von Ludger Fittkau |
    Ein Warnschild informiert über Asbest in einem Betonpfeiler
    Asbest wirkt sich unter anderem schädlich auf die Atemwege aus. (dpa/picture alliance/Jens Büttner)
    "Wir haben Abitur."
    Die Gruppe auf dem Schulhof der Käthe-Kollwitz-Schule ist eigentlich in Feierlaune. Sie hat vor wenigen Tagen die letzte Abiturprüfung hinter sich gebracht.
    Auf die Lehrer der Schule stimmen sie ein Lied an. Doch den Zustand der Gebäude vergessen sie auch in diesem Glücksmoment nicht. Abiturient Heinz Külzer:
    "Wir haben eine Protestaktion gestartet mit der Schule – da ist ja Asbest in den Wänden verputzt. Da soll sich natürlich ändern in naher Zukunft.. Und deswegen haben wir protestiert dieses Jahr."
    Die Protestaktion Anfang dieses Jahres war nicht die erste. Seit 2009 gibt es immer wieder öffentliche Aktionen von Schülern und Lehrern. Einer, der den Protest mitorganisiert hat, ist der 20 Jahre alte Yusef Muhammad. Er ist stellvertretender hessischer Landesschulsprecher und hat ebenfalls jetzt das Fachabitur im Bereich Sozialwesen der Käthe-Kollwitz-Schule gemacht. Er hat sich hier auch jahrelang als Schulsprecher engagiert. Kurz bevor Yusef Muhammad nun die Schule endgültig verlässt, treffe ich ihn im Büro der Schülervertretung. Der Blick aus dem Fenster fällt direkt auf Betonplatten an der Schulfassade, die auffallend große dunkle Flecken aufweisen:
    "Man sieht schon die schwarzen Flecken am Gebäude. Ich weiß nicht, was das ist, aber das Asbest, das sich in den Wänden befindet, ist mit Sicherheit ganz gefährlich für die Schülerinnen und Schüler. Vor allem wenn man da dran kommt, mal mit den Stuhl umkippt oder die Wand beschädigt, kann das Gase auslassen, die Lungenkrebs auslösen können. Das wurde uns auch schon mittlerweile von der Schulleitung mitgeteilt."
    3.500 Menschen erkranken jährlich an Asbest-Fasern
    Die Berufs- und Fachoberschüler der Käte-Kollwitz-Schule sind in der Regel 14 Jahre alt oder älter. Sie wissen sehr genau, dass sie Beschädigungen der asbesthaltigen Wände vermeiden müssen, damit keine giftigen Fasern freigesetzt werden. Schließlich erkranken jährlich bundesweit rund 3.500 Menschen daran, dass sie Asbest-Fasern einatmen, die aus Wänden oder Böden in die Atemluft freigesetzt werden. Hans-Joachim Woitowitz ist Arbeits- und Sozialmediziner an der Uni Gießen. Er forscht zu den gesundheitlichen Folgen von Asbestfreisetzungen:
    "Die Lungenvernarbung, der Rippenfell-Tumor und drittens besonders häufig – der Lungenkrebs."
    Marlis Stülb ist die Schulleiterin der Offenbacher Käthe-Kollwitz-Schule. Sie protestiert seit Langem auch öffentlich gegen den Zustand der Gebäude. Nicht nur der Asbest in den Wänden ist ein großes Problem. Auch der Zustand der Toiletten, die überdies nicht behindertengerecht sind, obwohl unter den 1400 Schülern der Käthe Kollwitz-Schule auch rund 60 Behinderte sind.
    "Ein Rollstuhlfahrer würde hier nicht rangieren können. Das Waschbecken ist eigentlich viel zu hoch. Es ist ein Behelf."
    Lehrkräfte sind frustriert
    Eine Gruppe behinderter Schüler muss deshalb in einem anderen, weit entfernten Gebäude unterrichtet werden. Schulleiterin Marlis Stülb ist frustriert, dass die Stadt Offenbach als Schulträger an den baulichen Zuständen nichts ändert, die an ihrer Schule herrschen:
    "Es wird immer versprochen und immer wieder ist nichts passiert in der Konsequenz. Und das ist natürlich unheimlich ermüdend und auch kräftezehrend."
    Die Verantwortlichen der Stadt Offenbach kennen die Zustände an der Käthe-Kollwitz-Schule genau. Doch die hoch verschuldete Kommune muss mehr als 30 Schulen im Stadtgebiet grundsanieren – mindestens 300 Millionen Euro sind dafür nötig. Allein die Käte- Kollwitz-Schule wird rund 20 Millionen Euro verschlingen, so die Schätzungen. Deshalb wurde immer wieder die längst geplante Sanierung verschoben. Peter Schneider, grüner Bürgermeister der Stadt und Zuständiger für das Stadtschulamt:
    "Wir werden komplett sanieren, so wie auch vorgesehen. Leider zeitlich verzögert auch durch zwei Haushalte, die nicht genehmigt waren. Durch Haushaltsauflagen, vorläufige Haushaltsführung und all das. Offenbachs Finanzlage ist bekannt."
    Doch immerhin soll nach einem Ratsbeschluss im März nun noch in diesem Jahr im Rahmen eines Schulsanierungsprogramms die „Planung für die Bauausführung" beginnen. Yusef Muhammad kennt die prekäre Finanzlage der Stadt. Doch gleichzeitig hat er inzwischen die Geduld verloren. Und er ist nicht der Einzige:
    "Das kann nicht sein! Wenn wir uns jetzt die Schule hier anschauen kann ich nur sagen: Schulzerfall ist Bildungszerfall."
    Soweit möchte die Gruppe auf den Schulhof, die ihr Abi feiert, dann doch nicht gehen. Denn die guten Lehrer, so sagt der frisch gebackene Abiturient Heinz Külzer, haben doch oft über den traurigen Zustand der Schulgebäude hinweggetröstet:
    "Man sieht halt hier von außen, dieses Gebäude ist wirklich der Schandfleck dieses Ortes. Aber trotzdem konnten wir hier Wissen erringen, das und geholfen hat, heute diese Prüfung zu bewältigen."