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Asyl für die RAF

Anfang der 80er Jahre hatten sich zehn Terroristen aus der RAF in die DDR abgesetzt und sich dort mit Zustimmung und Unterstützung des Staatsapparates neue Identitäten innerhalb der DDR-Gesellschaft aufgebaut. Diesen bisher wenig bekannten Aspekten deutsch-deutscher Beziehungen widmete die Evangelische Akademie zu Berlin gestern eine Tagung.

Von Otto Langels | 28.04.2007
    1980 wollten einige RAF-Mitglieder der so genannten zweiten Generation aus der Gruppe aussteigen, weil sie das Leben in der Illegalität nicht mehr aushielten. Sie dachten an Angola, Mozambique oder die Kapverdischen Inseln, aber sie kamen nur bis in die DDR.

    Der Politikwissenschaftler Tobias Wunschik von der Birthler-Behörde über das Täterschutzprogramm der Stasi für die Aussteiger:

    "Sie erhielten von der Stasi eine neue Identität, einen neuen Namen, eine neue Arbeit. Sie mussten in der DDR gewissermaßen von vorne auch anfangen. Dabei waren sie der Staatssicherheit natürlich in Gänze ausgeliefert."

    Verbindungen zwischen der RAF und der Staatssicherheit hatte es seit 1970 gegeben. Die Terroristen nutzen den Osten als Rückzugsgebiet und Fluchtweg. Als die Aussteiger 1980 ein sicheres Aufnahmeland suchten, war es naheliegend, sich an die DDR zu wenden. Das Leben im realsozialistischen Alltag war allerdings gewöhnungsbedürftig.

    "Ralf Baptist Friedrich hatte unmittelbar vor seinem Wechsel in die DDR in Paris gelebt, hatte dort auch mal im La Fayette eingekauft und sich an Hummer gütlich getan. Sich dann in Städten wie Schwedt oder Neubrandenburg wieder zu finden, war sicherlich eine ganz gravierende Zäsur."

    Warum gewährte die DDR der RAF Asyl? Eigentlich hätten die bewaffneten Kämpfer der SED suspekt sein müssen, hielt sie doch den Terrorismus für eine Kinderkrankheit des Kommunismus.

    Aber wichtiger waren taktische Fragen. In den 70er Jahren wähnte sich das sozialistische Lager nach der Niederlage der USA in Vietnam auf dem Vormarsch. Die Sowjetunion unterstützte Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt und forcierte, so der Historiker und RAF-Biograph Gerd Koenen, den antiimperialistischen Kampf.

    "Und in diesem Kontext war dann eben auch das Spiel mit terroristischen Gruppen in Westeuropa wie der RAF, den revolutionären Zellen und dem 2. Juni vor allem als eine Nebenlinie dieses globalen Angreifens und Operierens zu sehen, vorzugsweise unter Einschaltung von Stellvertretern. Das waren neben bulgarischen, tschechischen und ungarischen Geheimdiensten dann vor allem eben auch die Stasi."

    Und so stellte das SED-Regime die ideologische Differenzen zur RAF zurück - nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

    "Allzu große weltanschauliche Skrupel hat die Staatssicherheit bei der Kooperation mit der RAF sicherlich nicht gehabt. Denn ganz anstandslos gewährte man auch Rechtsterroristen wie Ottfried Hepp eine Zeitlang Asyl und war da weltanschaulich erstaunlich flexibel."

    Mit dem Asyl für die RAF ging die DDR ein erhebliches Risiko ein. Wenn die Bundesregierung erfahren hätte, dass zehn Terroristen in Ostdeutschland lebten, hätte das die sich gerade positiv entwickelnden Beziehungen erheblich belasten können.

    Tatsächlich gab es Mitte der 80er Jahre im Westen Hinweise auf den Aufenthaltsort der Terroristen. Die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden hielten die Informationen zwar für wenig glaubwürdig, wollten sie aber überprüfen, wie sich Wolbert Smidt erinnert. Er war damals beim BND für Fragen des Terrorismus zuständig.

    "Man hat nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Information richtig ist, aber sie passte nicht in die politische Landschaft aus Sicht der Bundesregierung. Und das BKA erhielt die Weisung, nichts zu unternehmen."

    Die Hintergründe für die politische Entscheidung liegen noch im Dunkeln. Wollte die Bundesregierung das Verhältnis zu Ost-Berlin wegen einiger Ex- Terroristen nicht belasten, die ohnehin in der DDR ruhig gestellt schienen?

    In gewisser Weise betrieb die Stasi sogar die Resozialisierung der RAF-Aussteiger. Sie führten ein bürgerliches Leben und hatten sich von den Idealen des bewaffneten Kampfes längst entfernt, als sie nach der Wende enttarnt wurden.

    "Werner Lotze hat erklärt, dass, wenn er 1980 festgenommen worden wäre, er wohl zu einem ganz normalen RAF-Gefangenen geworden wäre, heute zu den Hardlinern zählen würde."

    Von den Aussteigern wollte übrigens niemand an der Tagung teilnehmen, um über die Zeit in der RAF und in der DDR berichten.