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Atmen der Erde

Geologie. - Das schwere Sumatra-Beben vom 26. Dezember hat nicht nur eine vernichtende Flutwelle ausgelöst - es war so stark, dass es die Erde selbst bleibend verändert hat. Wie genau, das wird derzeit in Schiltach im Schwarzwald registriert. Dort gibt es seit Anfang der 70er Jahre ein besonderes Observatorium, das gemeinsam von den Universitäten Stuttgart und Karlsruhe betrieben wird. In dem ehemaligen Silberbergwerk Grube Anton sind in einem Stollen 170 Meter tief im Granitberg höchst empfindliche Messgeräte aufgebaut worden, die selbst kleinste Bewegungen der Erde aufzeichnen. Dieses Observatorium gehört zu den besten seiner Art weltweit.

Von Dagmar Röhrlich |
    Draußen vor der Tür tauen die letzten Schneereste in der warmen Vorfrühlingsluft. Hier drinnen, in der Holzbaracke des Schiltacher Observatoriums, laufen pausenlos die Daten ein, die Sensoren tief im Inneren des alten Silberbergwerks aufzeichnen. Die Schreiber geben ein sichtbares Bild von der Datenflut, die die Computer gerade digital verdauen. Im Stollen selbst ist derzeit der Zutritt verboten.

    Da gehen wir nicht rein. Das ist gar keine Frage, dass es ein Jahrhundertbeben ist. Wir hatten so etwas noch nie gesehen, diese starke Anregung der Erde von diesen Eigenschwingungen, wo die Erde als Ganzes atmet. Dieses Signal würde gestört, und das wollen wir auf jeden Fall verhindern.

    So Rudolf Widmer-Schnidrig vom Gemeinschaftsobservatorium Schiltach der Universitäten Karlsruhe und Stuttgart. Noch nie zuvor ist ein Beben der Stärke 9 mit modernsten geophysikalischen Instrumenten aufgezeichnet worden: Die Sensoren messen mit einer Genauigkeit von wenigen Millionstel Millimetern jede Verschiebung der Erdoberfläche im Schwarzwald, verzeichnen kleinste Deformation des Erdkörpers, minimale Änderungen im Schwerefeld. Das alles hat das Beben vor Sumatra ausgelöst. Am Epizentrum wurde die Energie von 23.000 Hiroshima-Bomben freigesetzt, und sehr viel davon strahlte in Richtung Erdkern. Die Daten aus Schiltach zeigen: Das Beben war so stark, dass der Erdkern regelrecht aus dem Erdmantel herauszuhüpfen schien. Seine Sprunghöhe war allerdings wesentlich kleiner als einen Millimeter. Dahinter steckt, dass sehr starke Beben den gesamten Planeten anschlagen wie ein Klöppel eine Glocke: Wochenlang schwingt die Erde, klingt in vielen "Tönen". Die meisten verstummen schnell, bis auf einen:

    Ein Ton, der durch das so genannte Atmen der Erde beschrieben werden kann, wo der ganze Erdkörper größer und kleiner wird, rhythmisch, der wird noch lange nachklingen und ist hier auf dem Papierschrieb noch sichtbar mit einer Amplitude von zwei Zentimeter und hat eine Periode von 20 Minuten. Das heißt, die Erde hier im Schwarzwald und weltweit hebt sich zehn Minuten lang und dann senkt sie sich wieder zehn Minuten lang, und das geht mit einer sinusförmigen Kurve weiter, sicherlich für die nächsten vier Monate. Vermutlich auch noch länger, vielleicht bis in den Herbst von 2005.

    Am 26. Dezember, direkt nach dem Beben, hoben dessen Wellen den Schwarzwald um einen Zentimeter an. Um 50 Mikrometer hebt und senkt sich die Erde heute.

    Das ist etwas ganz besonderes. Das ist einmalig, noch nie da gewesen, auch nach dem Chilebeben 1960 oder nach dem Alaskabeben 1964, die beide größer waren als das Sumatrabeben, wurde das nicht in den Daten gesehen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Geräte heute empfindlicher sind, aber es kann auch durchaus daran liegen, dass die Art, wie der Bruch stattgefunden hat, bevorzugt diese Schwingung angeregt hat. Das wird sich noch zeigen in den nächsten Monaten, wenn dieses Beben analysiert wird.

    Vor allem erhoffen sich die Seismologen wichtige Erkenntnisse über die Dichteverteilung im tiefen Erdinneren, bis hinein in den Erdkern. Solche Daten sind sehr selten und wertvoll. Mit ihnen hofft man besser zu verstehen, was etwa den Geodynamo antreibt, der für das schützende Magnetfeld der Erde sorgt. Sie helfen auch beim Verständnis der Plattentektonik, die die Erdkrustenplatten an der Oberfläche verschiebt und so zur Ursache für die großen Beben wird. Das Sumatra-Beben hat die Erde dauerhaft verändert, denn der Planet ist runder geworden:

    Ich denke, dass sich eben die Erde als ganzes jetzt seit Weihnachten ein bisschen schneller drehen wird. Vielleicht werden wir in den nächsten Jahren mehr Schaltsekunden sehen als bisher.

    Die NASA hat bereits geschätzt, wie stark die Auswirkungen sein werden: Um knapp drei Millionstel Sekunden soll der Tag kürzer sein, und der magnetische Nordpol soll sich um zweieinhalb Zentimeter verschoben haben. Mit den Daten aus Schiltach wird man es genau wissen.