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Atomausstieg
"Konzerne nicht so günstig aus der Verantwortung lassen"

Die Atomkommission legt heute ihre Empfehlungen zur Finanzierung des Atomausstiegs vor. Swantje Fiedler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft mahnte, es gebe ein großes Risiko, dass die Lagerung des Atommülls teurer werde als gedacht. Es dürfe deshalb keine Regelung geben, mit der sich Energiekonzerne von Folgekosten freikaufen könnten, sagte sie im DLF.

Swantje Fiedler im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.04.2016
    Luftbild des Eon-Atomkraftwerks Grohnde Emmerthal
    Fiedler: "Es wird immer deutlich teuer und dauert länger als gedacht." (imago / Hans Blossey)
    Fiedler sagte, die Bundesregierung gehe nach einem Stresstest von 18 Milliarden Euro für die Lagerung aus. "Diese Summe halte ich aber für extrem unsicher." Es gebe bisher keine Erfahrungen. "Es gibt ein großes Risiko, dass es deutlich teurer wird als 18 Milliarden." Deshalb sei es falsch, wenn sich die Energiekonzerne mit dieser Summe freikaufen könnten. "Es muss auf jeden Fall eine Nachschusspflicht geben."
    Es wäre ein "extrem schlechter Deal", wenn man die Konzerne so günstig aus der Verantwortung lasse. Fiedler sagte weiter, sie finde es deshalb sehr bedauerlich, dass man derzeit nichts mehr davon hört, wie so eine Nachschusspflicht aussehen könnte.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon zugeschaltet ist uns jetzt Swantje Fiedler, die stellvertretende Geschäftsführerin der Denkfabrik Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Guten Morgen!
    Swantje Fiedler: Guten Morgen.
    Schulz: Im Atomgesetz ist es ja wie gesagt klar festgelegt, wer die Kosten für den Rückbau zu tragen hat. Das sind die Konzerne als Verursacher. Aber ist dieser Anspruch angesichts dieser Milliarden-Lasten überhaupt noch realistisch?
    Fiedler: Na ja. Das Problem, das wir haben, ist die schwierige wirtschaftliche Lage der Energiekonzerne, die sich in den letzten Jahren einfach weiter verschärft hat, und das zeigt, dass das jetzige Finanzierungsmodell, das wir haben mit den Rückstellungen, einfach ein großes Risiko birgt. Dieses Modell ist nämlich darauf angewiesen, dass die Konzerne langfristig überhaupt in der Lage sind, aus ihrem wirtschaftlichen Vermögen die Kosten zu bezahlen, und wenn sie wirtschaftlich angeschlagen sind, dann gibt es das Risiko, dass das Geld dann nicht mehr da ist, wenn es gebraucht wird. Die Umstrukturierungen bei den Konzernen, also bei RWE, E.ON und Vattenfall, haben auch gezeigt, dass diese Sorge nicht ganz unberechtigt ist.
    Schulz: Wie tragfähig sind denn überhaupt die Zahlen, die jetzt im Raum stehen, was so ein Mega-, so ein Giga-Projekt überhaupt kosten könnte?
    Fiedler: Die Summe von 18 Millionen Euro halte ich für extrem unsicher
    Fiedler: Die Bundesregierung hat einen sogenannten Stresstest in Auftrag gegeben und da wird eine Summe von 18 Milliarden Euro genannt für die Lagerung des Atommülls. Diese Summe halte ich aber für extrem unsicher. Wir haben ja nur sehr wenige Erfahrungen damit, wie teuer das überhaupt werden kann, und die wenigen Erfahrungen, die wir haben, zum Beispiel mit dem Salzbergwerk Asse oder Gorleben, die zeigen auch, dass wir hier vor einer hochkomplexen Aufgabe stehen, bei der man gar nicht alle Risiken absehen kann zum jetzigen Zeitpunkt. Die Praxisbeispiele haben gezeigt, es wird eigentlich immer deutlich teurer und dauert auch sehr viel länger als zunächst gedacht. Deswegen sehe ich ein großes Risiko, dass es sehr viel teurer werden könnte als die 18 Milliarden Euro, die jetzt in der Rechnung drinstehen.
    "Das wäre ein extrem schlechter Deal"
    Schulz: Bei dieser schwierigen Ausgangslage ist ja diese Gratwanderung, die Konzerne gerade so weit in die Pflicht zu nehmen, dass sie auch nicht in die Insolvenz schlittern. Wie könnte denn da eine gute Lösung aussehen?
    Fiedler: Na ja. Die Diskussionen im Moment, die gehen ja nur in die Richtung, wieviel sollen die Konzerne in den Fonds einbezahlen, um sich von dem Risiko der Kostensteigerung freizukaufen. Und dieses Freikaufen halte ich für einen großen Fehler. Es muss auf jeden Fall eine Nachschusspflicht geben. Das heißt, wenn es teurer wird, müssen die Konzerne in dem Maße, in dem sie auch zahlen können, weiterhin dafür zur Verantwortung gezogen werden. Und gerade die wenigen Milliarden, die da jetzt genannt sind, mit denen sich die Konzerne freikaufen sollen, sind überhaupt nicht ausreichend. Das wäre ein extrem schlechter Deal, wenn man jetzt die Konzerne so günstig einfach aus der Verantwortung lassen würde.
    Schulz: Da wäre Jürgen Trittin dann jetzt zahnlos aufgetreten?
    Fiedler: Na ja. Es gibt ja noch keine Einigung und ich habe immer noch die Hoffnung, dass man da eine gute Einigung finden kann. Aber es ist in der Tat sehr bedauerlich, dass man gar nichts mehr davon hört, wie denn so eine Nachschusspflicht aussehen könnte. Da kann man ja auch entsprechende Regelungen finden und da vielleicht Grenzen definieren, dass nur soweit eine Nachschusspflicht eingesetzt wird, wie die Konzerne auch zahlungsfähig sind. Aber sie hier ganz aus der Verantwortung zu lassen, das finde ich nicht gerechtfertigt.
    "Der Druck ist bei den Konzernen sehr viel größer als bei der Politik"
    Schulz: Jetzt gibt es natürlich auch das Szenario, dass heute möglicherweise kein tragfähiger Vorschlag vorgelegt wird. Wie ginge es denn dann weiter?
    Fiedler: Der Druck, etwas zu tun, der ist eigentlich bei den Konzernen sehr viel größer als bei der Politik, möchte ich mal meinen. Denn diese Zahlungspflicht, die steht bei den Konzernen in den Bilanzen drin als Rückstellung, und wenn dann irgendwann die Zahlungsverpflichtungen nicht mehr aus dem Vermögen gedeckt werden können, dann sind die Konzerne insolvent. Und das ist jetzt nicht nur für den Staat und den Steuerzahler ein Risiko, sondern auch für die Konzerne selber, weil sie natürlich auch am Kapitalmarkt schlecht bewertet werden, wenn hier so ein großes Insolvenzrisiko besteht. Von daher müssten sie eigentlich auch ein Interesse daran haben, schnell eine Lösung zu finden. Von daher habe ich noch Hoffnung, dass das Interesse auf beiden Seiten groß ist und daher auch eine Einigung gefunden werden kann.
    Schulz: Swantje Fiedler, stellvertretende Geschäftsführerin der Denkfabrik Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.