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Aufstieg und Fall eines Busenwunders

Aus dem Schicksal von Anna Nicole Smith haben die Briten Marc Anthony Turnage und Richard Thomas eine Oper gemacht. 2011 in London uraufgeführt, fand jetzt in Dortmund die deutsche Erstaufführung von "Anna Nicole" statt. Eine bitter ironische Tragödie und ein Requiem auf das Busenwunder.

Von Susann El Kassar | 29.04.2013
    Ein junge Frau ist tot, aufgebahrt in der Leichenhalle. Einsatz des Opernchores. Sie wird zu neuem Leben erweckt, räkelt sich, posiert lasziv und singt:

    "I wanna blow you all."

    "Ich möchte euch allen einen blasen" – das ist mal eine Ansage, und dann "blow you all, a kiss!" ändern nur zwei Worte es zu: "Ich möchte euch allen einen Kuss zublasen". Ein raffiniertes Wortspiel des Librettisten Richard Thomas. Diese Oper wird also schmutzig und mehrdeutig. Für den Komponisten Marc Anthony Turnage musste es so sein:

    "Das wäre wirklich komisch, ein Stück über jemanden aus Texas zu machen, in dem keine Schimpfworte vorkommen. Die Menschen reden einfach genau so."

    Erzählt wird die Geschichte eines Mädchens, das aus seiner Heimatstadt in Texas auszog, um in der großen Welt Geld und Glück zu finden. Eine wahre Geschichte: die des Playmates Anna Nicole Smith. Jede Station ihres Lebens schnurrt ab wie im Zeitraffer: die Familie, ein antriebsloser versoffener Haufen, der erste Ehemann ein Schlägertyp, der gemeinsame Sohn ein Lichtblick. Dann der verheißungsvolle Wechsel nach Houston, das Losungswort ist FUCK, der Weg schon klar. Und dauernd ist von Titten die Rede, die von Anna Nicole sind von Natur einfach zu klein.

    "Wenn du klein hässlich und dumm bist, dann bist du selber schuld, es ist nicht das Schicksal, es sind nicht die Verhältnisse, sondern du hast die Möglichkeit beim Schönheitschirurgen bei was auch immer, diese Talente zu erwerben oder sie aufzumachen. Insofern ist das Brustimplantat von Anna Nicole quasi das Symbol eigentlich für eine neoliberale Ökonomie, die sagen immer, du bist dafür verantwortlich, was du aus deinem Leben machst."

    Für Regisseur Jens Daniel Herzog ist "Anna Nicole" also mehr als nur unterhaltsames Musiktheater:

    "Wir versuchen wirklich alles, um diesen Sprung, dass Populäres und Anspruchsvolles sich nicht ausschließen oder wie wir auch gerne sagen, das Populäre anspruchsvoll machen und das Anspruchsvolle auch populär."

    Die Oper hat viel vom Jazz und dem amerikanischen Showbiz, stellenweise klingt sie sogar eher wie ein Musical. Insbesondere, wenn die falsch glitzernden Oberflächen hörbar werden sollen.

    Die Inszenierung passt sich der schnellen amerikanischen Erzählweise der Oper an und arbeitet vor dem grauen Hintergrund der Leichenhalle mit beweglichen Symbolen: Kakteen für Texas, geisterhafte Einkaufswagen für die Dumpinglohn-Arbeit oder Broschüren mit übergroß abgedruckten Brüsten für die verzweifelten, weil flachbusigen Frauen im Vorzimmer des Schönheitschirurgen.

    Emily Newton, die Anna Nicole in Dortmund, hat kaum eine Verschnaufpause, Kleiderwechsel, Stimmungswechsel alles findet auf der Bühne statt. Sie füllt die Rolle stimmlich und schauspielerisch gut aus, zuerst mit jugendlichem Übermut, am Ende mit aufgeschwemmtem Körper und Lebensunlust. Die Nebenrollen sind fast Karikaturen: der aalglatte Anwalt, der Anna Nicole mit Drogen versorgt und gewissenlos medial vermarktet. Und ihr zweiter Ehemann, der greise Öl-Milliardär. Er heizt lustgeil im Rollstuhl über die Bühne.

    Einen Skandal gab's in Dortmund allerdings nicht: Zwar ist eine Kurzeinführung in die Kunst des Lap Dance oder die orale Befriedigung des Öl-Milliardärs auf der Opernbühne eher ungewohnt, der größere Teil der Dortmunder Premieren-Zuschauer hatte damit aber keine Probleme:

    "War nett, war richtig schön, mir hat's gut gefallen."

    "Ich fand's ne großartige Inszenierung und vor allem schöne Musik."
    "Zu, zu windig, der ganze Text, ist vielleicht mehr für Jüngere."

    "Weil, es möchte Kabarett sein, es möchte Westside Story sein, aber es kommt nicht ran."

    "Wer RTL2 mag, wird diese Oper lieben."

    Und am Ende wird's sogar tragisch: Anna Nicole leidet schon bald an ihren großen Brüsten, Rückenschmerzen plagen sie und das Geld des Milliardärs kriegt sie nach dessen Tod doch nicht. Als dann noch ihr Sohn stirbt, bricht die Welt vollkommen zusammen. Der American Dream ist ausgeträumt. Und so ist, was so unterhaltsam begann, eine bitter ironische Tragödie, ein Requiem auf Anna Nicole Smith.