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Ausbildung
Lieber Mindestlohn als Lehre

Es gibt in Deutschland Abertausende Ausbildungsplätze, doch die Zahl der Azubi-Verträge ist rückläufig. Viele Schulabgänger wissen nicht genug über potenzielle Berufe, Arbeitgeber sind anspruchsvoll – und der geplante Mindestlohn macht eine Ausbildung offenbar unattraktiver.

Von Christiane Habermalz | 08.04.2014
    Etwa 20.000 Azubi-Verträge weniger wurden 2013 abgeschlossen. Das ist ein Rückgang um 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig haben Unternehmen aber auch zunehmend Schwierigkeiten, freie Ausbildungsplätze zu besetzen. Die Bundesregierung spricht von einem "Matching"-Problem, das heißt, offenbar gelingt es nicht, Bewerber und Ausbilder zusammen zu bringen – und das trotz des allerorts beklagten Fachkräftemangels. 21.500 Jugendlichen, die bei der Ausbildungssuche leer ausgingen, stehen 33.500 unbesetzt gebliebene Plätze in den Betrieben gegenüber. Was läuft falsch? Nicht zu bestreiten ist, dass insgesamt weniger ausgebildet wird, nur rund ein Fünftel der Betriebe bieten derzeit Ausbildungsplätze an – vor fünf Jahren war es noch ein Viertel. Die Arbeitgeber führen die oft mangelnde Qualifikation der Schulabgänger ins Feld. Matthias Anbuhl, Bildungsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kann das nicht nachvollziehen.
    "Die Klage über mangelnde Ausbildungsreife ist meines Erachtens eine Ausrede für das sinkende Ausbildungsengagement. Jeder Jugendliche, der sich bei der Bundesagentur für Arbeit bewirbt, durchläuft einen Test, bei dem geklärt wird, ob er ausbildungsreif ist oder nicht. Die Kriterien für diesen Test haben die Arbeitgeber mitentwickelt. Und wir sehen allein in diesem Jahr, das zeigt der Berufsbildungsbericht, dass eine Viertel Million Jugendlicher, die ausbildungsreif sind, keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Also es ist Potenzial da, und man kann damit die niedrigen Ausbildungszahlen nicht erklären."
    Die Gewerkschaften verweisen darauf, dass die tatsächliche Zahl der ausbildungssuchenden Jugendlichen um ein Vielfaches höher liegt, zählt man die 170.000 Bewerber in der "Warteschleife" dazu, die zunächst in berufsvorbereitenden Maßnahmen oder auf Praktikumsstellen untergebracht wurden – und somit aus der Statistik herausfallen. Bei manchen ausbildungswilligen Unternehmen ist von diesem Überschuss allerdings wenig zu spüren. Der Rohrreinigungsbetrieb Run 24 bildet zur "Fachkraft für Rohr- Kanal- und Industrieservice" aus. Keine normale Installateurstätigkeit, sondern Hightech: Mit Kameras und Druckmessgeräten werden Kanäle und Leitungen auf Dichte und Zustand untersucht. Geschäftsführer Sven Fietkau hat weder Aufwand noch Mühen gescheut, um Lehrlinge zu finden.
    "Wir bieten derzeit zwei Ausbildungsplätze für das kommende Jahr 2014 an. Wir haben Stellenausschreibungen in den Portalen der IHK und der Arbeitsagentur geschaltet, das ist sicher das Normale, und davon versprechen wir uns auch Einiges. Darüber hinaus haben wir aber auch Stellenbeschreibungen an sämtliche umliegenden Schulen geschickt, wir haben unsere Fahrzeuge aufwändig beschriftet, da steht drauf 'Werde Umweltschützer' oder 'Geh mit uns in den Untergrund', da ist ein kleiner QR-Code drauf, damit die Schüler sich das ansehen können auf unserer Homepage, man findet einen Film darüber."
    Doch der Erfolg blieb aus.
    "Wir haben zwei Stellenausschreibungen und haben derzeit drei Bewerber, nicht 3000, nicht 300, sondern drei, und das ist ausdrücklich zu wenig."
    Ein Problem bestehe sicher darin, dass viele Schulabgänger nicht genug informiert seien über mögliche Berufe, sagt Fietkau. Hauptschulabschlüsse wären für den Betrieb kein Problem – aber motivierte Azubis will er schon haben, und solche, die zumindest Grundkenntnisse in Mathe und Deutsch haben. Denn Berichte müssen geschrieben, Verantwortung für sensible Technik übernommen werden.
    "Als wir das erste Mal ausbilden wollten, haben wir keine Jugendlichen gefunden, denen wir zugetraut hätten, die Prüfung zu bestehen. Und wir bilden ja aus, um hinterher Mitarbeiter auch übernehmen zu können. Wie sehen das sehr langfristig. Und es wäre für mich die absolute Fehlinvestition, mit jemandem eine Ausbildung zu beginnen, bei dem schon im Vorfeld klar ist, der besteht es nicht."
    Problem Mindestlohn
    All das wiegt umso schwerer, als die Klagen über den Fachkräftemangel zunehmen. Nach Prognosen des Bundesinstituts für Bildung werden in Zukunft vor allem Facharbeiter fehlen, mehr als Akademiker. Sven Fietkau, Geschäftsführer von Run 24, betrachtet daher die derzeitige Diskussion um den Mindestlohn für Jugendliche mit Sorge. Das werde die Ausbildung für Jugendliche noch unattraktiver machen.
    "Meine Azubis beginnen mit 16 oder mit 21 ihre Ausbildung, das heißt, wenn die Alternative darin besteht, für 8,50 Euro einen Job anzunehmen, habe ich Sorge, dass es noch schwieriger wird, auszubilden. Und wenn ich dann das Arbeitsprogramm Nahles weiterlese, werden die dann später arbeitslosen Jugendlichen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitslosenzeiten auf die Rente anzurechnen, und können sich dann mir 61 oder 63 frühverrenten lassen. Das heißt, ich verliere vorne die Möglichkeit, Fachkräfte zu gewinnen, und hinten werden sie mir wieder genommen."
    Nicht der Mindestlohn ab 18 sei das Problem, sagen dagegen die Gewerkschaften, vielmehr müssten die Betriebe angesichts der veränderten demografischen Situation ihre Ansprüche herunterschrauben und auch Schulabgängern mit Hauptschulabschluss eine Chance geben. Notfalls mit Unterstützung durch Bildungsträger im Rahmen einer sogenannten "assistierten Ausbildung". Ähnlich sieht es auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, CDU. Sie hat angekündigt, die berufliche Bildung zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit zu machen, dabei auch die Betriebe stärker in die Pflicht zu nehmen.