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Ausschreitungen
"In Hamburg gibt es keine Toleranz für Straf- und Gewalttäter"

Mit Blick auf die Sicherheit der Polizisten sei richtig, in Hamburg ein Gefahrengebiet einzurichten, in dem Menschen ohne Anlass kontrolliert werden können, sagt Innensenator Michael Neumann (SPD) im Deutschlandfunk. Eine Diskussion mit Straftätern, die Polizisten verletzten, könne ein Rechtsstaat nicht führen.

Michael Neumann im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.01.2014
    Polizeiwagen stehen vor der Davidwache auf der Hamburger Reeperbahn.
    Polizeiwagen stehen vor der Davidwache auf der Hamburger Reeperbahn. (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)
    Christiane Kaess: Bei dem Wort Gefahrengebiete denkt man nicht unbedingt nicht gleich an eine deutsche Großstadt. Aber seit dem Wochenende gibt es als solche ausgegebene Stadtviertel in Hamburg. Seit Wochen spitzt sich die Situation in der Hansestadt zu. Nach den schweren Krawallen am 21. Dezember, nach einer Demonstration für den Erhalt des linken Kulturzentrums Rote Flora mit zahlreichen Verletzten und dann einem Vorfall gut eine Woche später nahe der Davidwache, bei dem drei Polizisten schwer verletzt wurden, zog man diese Konsequenz, Teilen von Sankt Pauli, Altona und dem Schanzenviertel sind zum sogenannten Gefahrengebiet erklärt worden. Hier können Polizisten auch ohne konkreten Verdacht jederzeit jeden kontrollieren und durchsuchen. Die Sicherheitsbehörden wollen so Präsenz zeigen und weitere Straftaten und Krawalle im Keim ersticken.
    Und am Telefon ist Michael Neumann von der SPD, er ist Hamburgs Innensenator. Guten Morgen!
    Michael Neumann: Hallo, guten Morgen!
    Kaess: Herr Neumann, wir haben es gerade in dem Beitrag gehört, es gibt reichlich Kritik an den Gefahrengebieten. Präsentiert sich die SPD in Hamburg gerade als Partei gegen die Bürgerrechte?
    Neumann: Na ja, wir haben bei der Demonstration am 21. Dezember einen Ausbruch an Gewalt erlebt, wie es lange eigentlich in Hamburg und in Norddeutschland nicht mehr denkbar gewesen ist. Wir haben dann diesen Überfall und die schweren Verletzungen mit Kieferbruch, mit Schädelbruch seitens Hamburger Polizisten erlebt, in dem Steine gezielt in das Gesicht eines Kollegen geworfen worden sind, in den Unterleib geworfen worden sind, eine Kollegin mit ätzender Flüssigkeit besprüht worden ist. Also wir haben eine Eskalation von Gewalt, die ich mir auch nicht hätte vorstellen können. Und hier müssen wir deutlich machen, dass in Hamburg es keine Toleranz für Straf- und Gewalttäter gibt.
    Kaess: Und wie definieren Sie ein Gefahrengebiet? Also, wann sollen denn ein Stadtviertel dazu erklärt werden?
    Neumann: Das ist eine gesetzliche Grundlage, die die Hamburgische Bürgerschaft bereits im Jahre 2005 und auch davor geschaffen hat, und Gefahrengebiete sind in diesem Sinne vielleicht national von der Begrifflichkeit etwas Besonderes, aber wir haben bereits in über 40 Fällen Gefahrengebiete immer wieder eingerichtet. Und hier hat die Hamburger Polizei die Möglichkeit, anlassunabhängig Menschen zu kontrollieren. Das hat übrigens unsere Bundespolizei auch auf allen Wegen der Deutschen Bahn. Das ist ein relativ normales Mittel, eben auch anders, unabhängig Kontrollen durchzuführen. Das ist allerdings zeitlich begrenzt.
    Hamburgs Sportsenator Michael Neumann
    Neumann: "Ich möchte, dass es keine weiteren Opfer in diesem Bereich gibt." (Michael Zapf)
    Kaess: Wie lange sollen diese Gebiete noch Gefahrengebiete bleiben?
    Neumann: Wir schauen uns jeden Tag die Lageentwicklung an. Wir mussten feststellen, dass wir mit Beginn der Maßnahme erhebliche Pyrotechnik feststellen mussten, Sprengstoff feststellen mussten, Schlagwerkstöcke feststellen mussten, sogar mit Quarzsand verstärkte Schlaghandschuhe wurden sichergestellt. Also, man stellt eben dann doch fest, dass hier in Teilen unserer Stadt Menschen Dinge mit sich rumtragen, die jetzt jedenfalls nicht dazugehören, einer normalen Freizeitgestaltung nachzugehen. Und das macht deutlich, dass es richtig war, dieses Gefahrengebiet einzusetzen.
    Kaess: Aber eine Lösung, Herr Neumann, eine Lösung ist diese Maßnahme ja nicht. Müsste man nicht bei dieser Kontroverse eher deeskalieren, anstatt zu immer härteren Maßnahmen zu greifen?
    Neumann: Die Frage ist, wie eine Gesellschaft damit umgeht, wenn auf ihre Polizei, auf unsere Polizistinnen und Polizisten, die jeden Tag ihr Leben einsetzen, damit umgeht, wenn diese tätlich angegriffen werden, gewaltsam angegriffen werden, eine Qualität, die wir in den letzten Jahren eben nicht hatten. Es ging immer wieder Gewalt gegen Häuser, gegen Fensterscheiben, Farbbeutelangriffe, aus, was schlimm genug ist und was kein Grund zur Gewohnheit werden darf, aber einen Übergriff gezielt gegen Polizistinnen und Polizisten, das hat eine neue Qualität, und damit müssen wir auch polizeilich umgehen. Wir werden entsprechend auch die Ermittlungen abwarten, ob das wirklich eine konzertierte Aktion gewesen ist oder ob es ein Übergriff von alkoholisierten Einzeltätern war, da kann ich den Ermittlungsergebnissen nicht vorgreifen. Aber es darf nicht sein, dass unsere Gesellschaft es sich gefallen lässt, dass Polizistinnen und Polizisten zu Hassobjekten werden und angegriffen werden.
    Gegen Einsatz von Schusswaffen und Elektroschockern
    Kaess: Das ist genau ein Punkt, der jetzt in der Diskussion dazu kommt, dass ein Auslöser für die Gefahrengebiete nämlich die Auseinandersetzung bei der Davidwache von manchen jetzt anders dargestellt wird als zunächst von den Behörden. Es sei eine bloße Pöbelei gewesen, heißt es, und keine politisch motivierte Attacke. Was wollen Sie da zur Aufklärung tun?
    Neumann: Das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sie ist da Herrin des Verfahrens, entsprechende Ermittlungsergebnisse zusammenzutragen. Ich will aber noch mal darauf hinweisen, ich weiß nicht, wie es bei Ihnen in Köln aussieht, aber Pöbeleien an sich finde ich auch schon nicht unproblematisch gegenüber Polizeibeamten, aber dann mitgebrachte Steine, zerschlagene Gehwegplatten in den Taschen zu haben und dann eine Eskalation herbeizuführen und aus drei Meter Entfernung in das Gesicht eines Polizeibeamten zu werfen, ist aus meiner Sicht keine normale verbale Auseinandersetzung, sondern das ist ein Maß an Gewalt, das mich erschreckt, und meine Aufgabe ist es auch, unsere Polizistinnen und Polizisten davor zu schützen. Und das wollen wir wirksam tun. Ich möchte, dass es keine weiteren Opfer in diesem Bereich gibt.
    Kaess: Und wenn es um weitere Maßnahmen geht, dann ist auch in der Diskussion, Schusswaffen oder Elektroschocker einzusetzen. Wie weit werden Sie gehen?
    Neumann: Das ist eine Diskussion, die von Gewerkschaften losgetreten worden ist. Dieses Ansinnen gibt es seitens des Senators nicht.
    Kaess: Bei all den Maßnahmen und bei der Härte, für die Sie plädieren – ist es letztendlich das Problem, über das wir hier reden, eine politische Bankrotterklärung?
    Neumann: Ich will zum einen sagen, ich plädiere nicht für Härte, sondern, vielleicht mag es überraschend sein, dass in Hamburg Recht und Gesetz gilt. Ich will damit deutlich machen, es kann nicht hingeworfen werden –
    Kaess: Aber das sind doch sehr harte Maßnahmen, die normalerweise nicht so schnell vorkommen.
    Neumann: Wie gesagt, wir haben in Hamburg häufig die Ausweitung von Gefahrengebieten. Das ist jetzt nicht etwas Besonderes. Wir haben über 40 Fälle, dass Polizei unter anderem das unabhängig kontrollieren kann. Und aus meiner Sicht ist das keine harte Maßnahme, sondern eine angemessene Maßnahme, um eben die Sicherheit der Polizisten sicherzustellen. Und man muss – ich will nur das Resümee der letzten Nacht ziehen –, in der letzten Nacht gab es wieder einen Aufzug von 200 Menschen, die Polizisten mit Pyrotechnik, mit Sprengsätzen beworfen haben. Es gab wieder zwei brennende Autos. Es mag sein, das mögen Sie mir jetzt nicht falsch auslegen, dass das in anderen Teilen der Republik vielleicht als normale politische Auseinandersetzung gilt. Wir in Hamburg haben da lange Zeit einen anderen Stil, eine zivile Auseinandersetzung. Man kann über alle politischen Fragestellungen immer sprechen. Das ist gut, das ist richtig. Aber sicherlich nicht mit Gewalt, und deswegen sagen wir in Hamburg Nein zur Gewalt. Eine tolle Kampagne, die auch in der Öffentlichkeit jetzt stattfindet: Wir stehen zur Polizei, wir sagen Nein zur Gewalt. Politische Auseinandersetzung ja, immer, mit guten Argumenten, aber keine Gewalt.
    "Wir müssen friedlich darüber diskutieren"
    Kaess: Wo findet denn die politische Auseinandersetzung im Moment statt?
    Neumann: Ja, wir haben ein Kulturzentrum, wo der Senat und auch die Bezirke, wie ich finde, einiges Gutes getan haben. Der Senat stellt die Existenz der sogenannten Roten Flora auch nicht infrage. Im Gegenteil, wir haben das baurechtlich auch abgesichert. Wir haben also politischerseits alles dafür getan, dass es zu keiner Räumung oder Bedrohung dieses Kulturzentrums kommt. Wir haben die Frage der Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Westafrika, wo wir auch ein klares rechtsstaatliches Verfahren entwickelt haben, gemeinsam mit der Nordelbischen oder heutigen Nordkirche. Und es geht noch um den Abriss von baufälligen Häusern auf Sankt Pauli. Aber auch hier muss ich ganz offen sagen, sind es keine politischen Fragestellungen, die ernsthaft mit Gewalt beantwortet werden müssen. Wir müssen friedlich darüber diskutieren, wir müssen friedlich entscheiden, aber Gewalt gegen Polizeibeamte gibt es in Hamburg nicht.
    Kaess: Dennoch, Herr Neumann, haben Sie am Montagabend in einer Sondersitzung des Innenausschusses des Landesparlaments gleich einmal gesagt, die Schuldfrage stelle sich überhaupt nicht. War das vielleicht voreilig, denn die Organisatoren der Proteste werfen Ihnen ja auf der anderen Seite vor, oder werfen der Polizei vor, die sei massiv mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Demonstranten vorgegangen.
    Neumann: Wenn eine Demonstration massiv gewalttätig ist, wenn es dort nur Vermummte gibt im Anfangsblock, wenn dort mit Sprengsätzen geworfen wird, wenn dort mit Flaschen geworfen wird, wenn dort mit Steinen geworfen wird und wenn dann diese Demonstration für aufgelöst erklärt wird und dann massiv Gewalt gegen friedliche Bürgerinnen und Bürger, gegen Besucher und Nutzer eines Einkaufsladens, in diesem Fall eines Drogerieladens angewandt wird, wenn Menschen sich in Abstellkammern innerhalb dieses Einkaufsladens verstecken müssen, weil sie Angst vor dieser brutalen Gewalt haben, dann muss Polizei eingreifen. Und ich finde, diese Gleichsetzung zwischen Straftätern auf der einen Seite, die Gewalt anwenden, und Polizistinnen und Polizisten, die den Rechtsstaat verteidigen, für uns alle verteidigen, schon bemerkenswert. Es gibt doch Unterschiede zwischen Straftätern und Polizisten.
    Kaess: Was wissen Sie denn, Herr Neumann, was wissen Sie denn über die Motivation der Unruhestifter?
    Neumann: Was die Motivation angeht, da stehen wir gemeinsam vor einer großen Fragestellung und Herausforderung, denn dass in unserer Gesellschaft Menschen ...
    Kaess: Aber müsste man nicht mal versuchen, das herauszufinden?
    Neumann: Sicherlich müssen wir versuchen, das herauszufinden, aber erst einmal ist Polizei mit massiver Gewalt konfrontiert, mit vielen Verletzten konfrontiert. Über 160 Kolleginnen und Kollegen sind verletzt worden. Und nun müssen wir erst mal auf rechtsstaatlichem Wege damit umgehen. Eine Diskussion mit Straftätern, eine Diskussion mit Menschen, die Steine werfen, Polizisten verletzen, kann der Rechtsstaat nicht führen und werden wir in Hamburg auch nicht führen. Mit all denjenigen, die politische Ansinnen haben, mit denen führen wir jeden Tag Diskussionen, im Parlament, außerhalb des Parlamentes, aber mit Straftätern wird es in Hamburg keine Diskussionen und keine Gesprächsrunden geben.
    Kaess: Sagt Michael Neumann von der SPD. Er ist Hamburger Innensenator. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Neumann!
    Neumann: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.