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Ausstellung
Max Beckmanns Stillleben in der Hamburger Kunsthalle

In allen Schaffensphasen hat sich Max Beckmann dem Stillleben gewidmet. Erstmals zeigt jetzt die Hamburger Kunsthalle in einer umfassenden Schau diesen bislang wenig beleuchteten Aspekt seines facettenreichen Werks.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Lieben Sie Max Beckmann? Meine Antwort ist: Ja, aber - es ist der schroffe kantige Beckmann, sein vulkanisches Temperament, der düster glühende, gnadenlos ätzende Blick auf die menschliche Seele und die rücksichtslose Analyse der Gesellschaft, die er in seinen Bildern und Zyklen immer wieder als bedrohliches Welttheater entlarvt hat. Was sich davon in Beckmanns Stillleben in Hamburg finden würde, diese Frage lag also durchaus nahe. Und wirklich: Da ist kein Fegefeuer menschlicher Eitelkeiten, keine rätselhaften Mythologie, kaum Memento Mori - zumindest nicht auf den ersten Blick. In strahlender Helligkeit sind die stillen und dröhnenden, farbschweren, prächtig leuchtenden Interieurs in schwebender Eleganz vor weißen und pastellfarben getönten Wänden versammelt. Hochgeklappte Tischplatten und massive Möbel, schwere Vasen voll bunter Blumen vor geöffneten Fenstern mit heiteren Blicken in traumhafte Landschaften.
    Wo das Stillleben zur Architektur wird
    Was aber ist das - ein Stillleben? Ein weltfern-gefälliges Arrangement, klaustrophobischer Sperrmüll oder modisches Quodlibet? Daraufhin befragt die Hamburger Kuratorin Karin Schick Beckmanns Bilder mit wissenschaftlicher Akribie, quer durch Beckmanns Schaffen, rund um thematische Schwerpunkte. Es beginnt mit frühen, flachen, wässrig-weiß angemischten Blumenmotiven, die noch an Beckmanns impressionistische Anfänge erinnern; zarte, nachdenkliche Transformationen niederländischer Vorbilder aus dem Goldenen Zeitalter des Stilllebens. Bald schon kommen Keramikteller, Champagnerflaschen, Gläser und Kerzenleuchter, Bücher und Zeitungen in den Blick. Aus dem nächsten Saal grüßt schon das bedeutende große Hamburger Stillleben mit Fischen. Zuvor aber muss man einen dunkel belassenen Raum durchqueren, wo Musikinstrumente, Spielzeug und Nippes dominieren. Den ersten Höhepunkt der Ausstellung bildet die neusachliche Phase, wo das Stillleben gleichsam zur Architektur wird. Über Schallplattenspieler und Stuhl balanciert ein Tisch mit gestickter Decke, darauf Vasen und Blumensträuße; hinter einer schweren Draperie schaut eine blonde Frau mit schwarzer Augenmaske hervor. Nun häufen sich Vanitas-Symbole: Eine Uhr ohne Zeiger, blinde Spiegel, verblühende Blumen und esoterische Objekte, erloschene Kerzen, Kakteen, wuchernde Orchideen und exotische Blattpflanzen vibrieren nervös.
    Wo das Stilleben zum Labor wird
    In den Jahren des Ersten Weltkriegs werden die Formen schwarz umrandet, Trennachsen zerschneiden das Format, Fensterflügel mutieren zu drohendem Gitterwerk. Auf einem kleinen Bild wird eine Sonnenblume geradezu dekonstruiert bis zur Abstraktion. Wieder ein düsterer Zwischen-Raum, wo nur ein Bild leuchtet: Bett mit Schlafzimmerlampe. Auf die Lampe selbst stößt man wenig später auch, neben anderen Alltags- und Nippes-Objekten, die dem Maler in Wohnung und Atelier immer wieder Modell standen. Im niederländischen Exil, das er bald als Falle empfand, öffnen sich zunächst die Räume: Blicke auf Amsterdamer Stadtlandschaften und Strände bei den Haag, Landungsbrücken von Oostende, Schiffe, Sonnenuntergänge und Mondsicheln. Nach einem dritten Dunkelraum mit dem makabren Motiv dreier Toten-Schädel betritt man den vielleicht eindrucksvollsten Saal der Schau: Hier wird das Stillleben zum Labor: Fernrohre, verhüllte Skulpturen und Figurinen, farbige Flüssigkeiten über Bunsenbrennern, Phiolen und andere Symbole aus Freimaurerei und Alchemie drängen sich, dazwischen immer wieder schwer gerahmte Spiegel, in denen sich der Blick wie in Bilderrätseln verliert.
    Am Schluss sind Beispiele aus den letzten Jahren in den USA zu sehen. Optimistisch prangende Früchte, mächtige Muscheln und Meerestiere feiern das neue Erlebnis einer Welt in Wohlstand, den Reichtum an Farbe, Form und Stofflichkeit. So öffnet der schon todkranke Beckmann ein letztes Mal verblüffende Grenzbereiche zu anderen Gattungen, vermischt Malerei und Wirklichkeit, Virtualität und Realität. Kein neuer Blick auf Max Beckmann - aber eine beeindruckende Ausleuchtung vieler bisher übersehener Facetten seines Werks! Selten gezeigte Werke aus Privatbesitz und öffentlichen Sammlungen Europas, Berlin, München und Winterthur sowie aus Boston, Saint Louis und Washington machen diese Ausstellung zum bedeutendsten Beckmann-Ereignis zum 125. Geburtstag des Künstlers.