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Ausstellung "Perle des Reichs"
Wie die Nazis Wien sehen wollten

Das Architekturzentrum Wien widerlegt in einer Ausstellung die einst weit verbreitete Annahme, dass Hitler kein besonderes architektonisches Interesse an der Stadt gehabt habe. Eine Menge Pläne - lebendig angereichert mit Filmen und anderen Dokumenten - zeigen, wie Wien im nationalsozialistischen Sinne inszeniert werden sollte.

Von Beatrix Novy | 07.04.2015
    Der Blick über Wien vom Stephansdom.
    Wien selbst sollte mit gartenstädtischen Großsiedlungen beglückt werden. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Fünf "Führerstädte" hatte Adolf Hitler für sein künftiges großdeutsches Reich erkoren: München, Berlin, Hamburg, Nürnberg, Linz. An ihrer monumentalen Umgestaltung wurde im Büro Albert Speer intensiv geplant. Und Wien? Mag sein, dass Hitler seine erfolglosen frühen Jahre im Wiener Männerwohnheim nicht vergessen konnte, Wien war jedenfalls zweite Wahl. Nach dem Krieg wirkte sich diese Zurücksetzung entlastend aus. Günstig auch, dass es Dokumente wie Entwürfe, Pläne, Schriftverkehr von österreichischen Architekten mit NS-Auftraggebern kaum zu geben schien. Einem war das aufgefallen: Als Klaus Steiner, aufgewachsen in einer hitlertreuen Familie im Salzkammergut, in den 60er-Jahren in Wien Architektur studierte, suchte er vergeblich nach einer Publikation über die Jahre zwischen 1938 und '45; zwischen dem Roten Wien, also dem sozialistischen Wohnbauprogramm der 20er-Jahre, und dem Wiederaufbau schienen sich Architekten und Planer durch die Bank vornehm zurückgehalten zu haben. Da gab's eine Forschungslücke, Klaus Steiner machte sich daran, sie zu schließen.
    "Zumal ich Anfang der 60er denken konnte, dass viele noch leben, habe ich mir Handbuch des Reichsgau Wien besorgt, alte Telefonbücher, so bin ich über die Telefonbücher und Amtskalender auf die Namen der Leute gekommen, in der Hoffnung, i triff mal jemanden."
    Rund 4.000 Dokumente umfasste 30 Jahre später Klaus Steiners Sammlung: Pläne und Korrespondenzen, die er von oft widerwilligen Architekten, eher noch von ihren Witwen und Kindern bekam, Akten, die er in Antiquariaten fand.
    "Und zwar nie als Akt aus der NS-Zeit, sondern: da liegt a Haufen Papier."
    Daraus gestaltete das Architekturzentrum Wien, angereichert mit Filmen und eigenen Dokumenten eine lebendige Ausstellung. Als Adolf Hitler am 9. April 1938, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, seinen Jubel-Einzug in Wien hielt, hatte er für die Stadt durchaus gute Worte: Er nannte sie "eine Perle", und wollte sie "in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig" sei. Das war das Stichwort für viele Architekten, mit eigenen, nur teilweise von Behörden gestützten Planungen aufzuwarten, wie eine Stadt im nationalsozialistischen Sinn inszeniert und umgeformt werden könnte.
    Josef Hoffmann, dessen Wiener Werkstätten bis heute imageprägend sind, durfte 1939 einen hakenkreuzgesättigten Opernball ausrichten, zusammen mit dem dezidiert modernen Oswald Haerdtl. NS-Wahrzeichen auf den Wienerwald-Hausbergen, Festarchitekturen und wallende Stoffbahnen mit Hakenkreuzen auch in den Straßen inszenierten den Stadtraum, generöse Neu- und Umbauten von Kinos und Theatern sorgten für gute Laune bei Bewohnern und beauftragten Architekten. Letztere wurden darüber hinaus jetzt auch, wie überall im Reich, gebraucht
    "Für die Planung der Gebiete, die man zu erobern und zu besiedeln gedenkt."
    Denn der Perle Wien war durchaus eine tragende Rolle zugedacht, als Vorposten des Deutschtums nach Südosten, dort, wo demnächst die erbgesunde Siedlerfamilie Heimstätten benötigte. Auch Wien selbst sollte mit gartenstädtischen Großsiedlungen beglückt werden; viele Architekten waren beteiligt an dieser ideologischen Offensive gegen das populäre Wohnbauprogramm des sozialistischen Roten Wien der 20er-Jahre. Die nur 3.000 Siedlungshäuser, die schließlich gebaut wurden, traditionell mit Schrägdach, waren keineswegs eine Nazi-Spezialität.
    "Es haben ja viele diese Planungen fortgesetzt, diverse Wohnsiedlungen, da hat man natürlich die alten Pläne genommen, Hakenkreuz ausgekratzt und gebaut."
    Kontinuität, dieser heikle Begriff, in dem sich das Weiterwirken von Architekten über die NS-Zeit hinaus ausdrückt, kann sich fast nie auf Stil-Kriterien beziehen. Nazitypisch allerdings ist der mit Rücksichtslosigkeit gepaarte Hyper-Monumentalismus, der die berühmte Wiener Ringstraße über den Donaukanal hinauswachsen lassen sollte: direkt in die jüdische Leopoldstadt, die bei dieser Gelegenheit praktischerweise ganz verschwunden wäre. Die kolossale Gestaltung der Magistrale hätte ein kolossales Auftragsvolumen für Architekturbüros ergeben. Die Wiener Ausstellung urteilt nicht, vielmehr: will nicht urteilen über die, die ihre Chance bei den Nazis ergriffen und nach dem Krieg als angesehene Baumeister weitermachten, das wäre wohlfeil ohne genaue Darstellung der einzelnen Biografien. Hier wird nur der so lange beschwiegenen Wahrheit die Ehre gegeben.
    "Was ich gelernt habe: Viele Architekten wären gern Albert Speer gewesen."
    Und das Bauen für Diktaturen ist ja nicht aus der Mode. Sie müssen heute nur ein bisschen weiter entfernt liegen.