Norbert Krön, 1965 in München geboren, arbeitet selbst als Fernsehjoumalist für verschiedene Kultursendungen. Die archaische Existenzfrage, von der er hier spricht, ist der Kern seines Debütromans. An ihr scheitert die Autoprojektion des Erfolgsmenschen Michael Lindberg. Es ist die Frage nach der Fähigkeit, sich fortzupflanzen. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Doch nach mehreren Untersuchungen beim Urologen steht fest, dass Michael Lindberg zeugungsunfähig ist. Im Zeitalter von Gentechnik und Reproduktionsmedizin ist eines unbegreiflicherweise nicht machbar: das Lindberg-Baby. Von ferne klingt das Schicksal des Flugpioniers Charles Lindberg an, der den atlantischen Ozean überquerte. Die Entführung seines Kindes, das als "Lindberg Baby" in die Schlagzeilen geriet, stand in seltsamem Gegensatz zur Heldentat dieses ersten wahren Autopiloten. Es war der Widerspruch zwischen selbstbestimmter Aktivität und dem Erlebnis völliger Ohnmacht.
Dieser Kontrast bestimmt auch Norbert Krons Roman, verleiht ihm Spannung. Der Text ist mit Prolog und Epilog wie eine griechische Tragödie aufgebaut. Er hat etwas von einer Schicksalssymphonie. Der nicht realisierbare Kinderwunsch bricht als archaisches Fatum in das selbstbestimmte, kontrollierte Leben des Michael Lindberg ein. Plötzlich erkeimt er die Sexualität als "völlig unsinnigen Akt", wie es heißt. Männliche Sterilität ist nach wie vor ein Tabuthema in einer Zeit, in der die Fortpflanzungsmedizin so viel verspricht. Der Autor:
Wir leben in einer Welt der technischen Machbarkeit, also in einer Welt der männlichen Vernunft. Und obwohl seit mindestens einem Jahrzehnt dieses Thema der männlichen Sterilität eigentlich bekannt ist, ist es nach wie vor ein totales Tabu. Und warum ist die Gen-Debatte und das Klonen so unglaublich angesagt? Weil da die männliche, die technische Vernunft wieder Erfolge feiert, weil sie da sich wieder beweisen kann. Und das scheint mir sehr typisch, dass auch im Rahmen dieser Gen-Debatte immer nur über die Möglichkeiten gesprochen wird, die da kommen, und über die faktische Realität. Und um die ging's mir auch ein bisschen in dem Roman: Zu zeigen, dass man mit diesen Mitteln heute tatsächlich überhaupt noch keinem helfen kann irgendwie, das wird in dieser Debatte nie erwähnt. Aber das ist der Entwicklungsprozess, den er durchmacht, die Erkenntnis, dass mit diesen gentechnischen Möglichkeiten, die da am Horizont stehen, den Existenzfragen, um die es geht, die sind damit nicht zu lösen. Also, er erkennt, dass, selbst wenn es eine technische Möglichkeit gäbe, ihm über dieses Problem hinwegzuhelfen, über das biologische Problem, dass das, dieses Loch, das sich m ihm auftut, nicht gefüllt wäre.
"Wenn der Autopilot ausfällt, kannst du nur noch beten", pflegte Michael Lindbergs flugbegeisterter Vater zu sagen. Sollte er, der Sohn, kinderlos bleiben, würde ihm am Flughafen niemand nachsehen, überlegt er sich. Wenn der Mittdreißiger heute an seinen Vater denkt, fällt ihm vor allem ein mächtiger, spießiger Ohrensessel ein: Der Thron des Patriarchen, in dem er schweigend saß. Sprachlosigkeit bestimmt immer noch das Verhältnis des erwachsenen Sohnes zu seinen Eltern. Es ist ein Qualitätsmerkmal des Romans, dass er die sogenannten Neuen Väter nicht verklärt, sondern Elternschaft durchaus ambivalent darstellt,
Durch den unausgesprochenen Kinderwunsch erodiert die perfekte, aseptische Lebensgemeinschaft mit Bea allmählich und geht zu Bruch. In einer Welt, in der ununterbrochen geredet wird, werden die existenziellen Konflikte nicht thematisiert. Michael Lindberg ist ein wissendes Opfer von NLP, der Neurolinguistischen Programmiersprache. Unentwegt versucht er sich mit Schlagworten wie "yes state" oder "future state" in einen künstlichen Zustand mentaler Zustimmung zu versetzen. Als Mann, der die Bilder berufsmäßig zum Sprechen bringt, will er sein Schicksal mit einer dubiosen Fernsehtat sublimieren. "Talk der Täter' heißt folgerichtig die geplante Talkshow, bei der ein resozialisierter Verbrecher als Moderator agiert. Um Lindbergs Sehnsucht zu illustrieren, bedient sich der Autor deterministischer Vokabeln und vieler Kursiveinschübe. Das artet stellenweise in hilfloses Macho-Gehabe aus, etwa wenn Lindberg von seiner neuen Geliebten als einer "Priesterin des Jetzt" spricht. Ohne seinen Helden zu verraten zu wollen, karikiert Krön dessen Denk- und Sprechweise:
Das ist ja für mich eigentlich ein Roman über Subjektivität heute. Wie funktioniert Subjektivität in unserer Welt, die von Codes geprägt ist, die von Bildern geprägt ist, die einen Warencharakter haben. Der Roman, der in der Ich-Form geschrieben ist, zieht sich ja sozusagen in dieser Subjektsprache immer wieder selber auf. Der Held hat diese Selbstmanagmenttechniken drauf. Und diese Programmiersprache, mit der er voranschreitet, wird je nach seiner aktuellen Lage immer wieder neu entworfen. Und diese Kursivierungen verweisen da drauf, dass eben er sich in so einem Kosmos von Zitaten und eben von Programmierungen befindet. Mir war das wichtig, durch die Kursivierung eine, ja, auch eine Selbstironie, er weiß natürlich selber, dass er hier eine Programmiersprache anwendet. Er ist ja kein dummer Held, sondern er ist schon ein sehr reflektierter Held. Und ich glaube, wir wissen heute alle in unserer Subjektivität, dass wir nicht authentisch sind, sondern dass wir permanent auch wiederum Codes und Programmierungen anwenden. Und das drückt diese Selbstdistanz in dem Sich-Entwerfen, drückt diese Kursivierung aus.
Norbert Krön gehört neben Norbert Niemann zu den Gründungsmitgliedern des Forums der 13. Diese Autorengruppe rund um die Literaturzeitschrift "Konzepte" widmet sich dem schwelend aktuellen Verhältnis zwischen Ästhetik und Politik. "Autopilot" lässt sich auch als süffige Kritik an den Medien lesen, vor allem an der Sensationslust des Fernsehens, Michael Lindberg, ohnmächtiger Mann der Tat, wird in einer packenden Schlussszene als Hauptdarsteller seiner eigenen Tragödie vorgeführt. Doch sein Auftritt mit der Waffe bei der Premiere von "Talk der Täter" bleibt eine Phantasie - sie verblasst im Scheinwerferlicht. Krön:
Diese Tradition oder dieser Versuch, an eine Tradition gesellschaftlichen Erzählens anzuknüpfen, die wir vor allem damals auch in der Zeitschrift "Konzepte" versucht haben, dieser Versuch gilt auch für dieses Buch. Und da sind vielleicht manche Leute irritiert, weil´s eben ja doch, was hat das, wo ist das politisch, das Buch, sozusagen. Aber für mich ist das Politische und das Gesellschaftliche wirklich eher darin, so den gesellschaftlichen Raum zu beschreiben oder auch das Funktionieren einer Wirklichkeit oder von Subjektivität. Und hier sind es natürlich die Medien, die eher für mich exemplarisch und nicht unbedingt konkret zu verstehen sind. Also, sie sind der gesellschaftliche Raum, der für mich sehr metaphorisch für unsere Wirklichkeitsverfertigung steht. Und dann zu zeigen, wie sozusagen ein Subjekt diese Wirklichkeit erschafft und wie das funktioniert wiederum, eben mit seinen Ich-Programmierungen, das halte ich dann tatsächlich für einen gesellschaftlichen Ansatz.