Dienstag, 23. April 2024

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Avi Primor: Israelis haben den Glauben an Netanjahu verloren

Benjamin Netanjahu habe seine Glaubwürdigkeit verloren. "Die wiederholten Slogans, die man von ihm hört, und die jetzt hohl ankommen, überzeugen die Leute nicht mehr", sagte Avi Primor, Präsident der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Außerdem sei das Thema "Angst" im Wahlkampf zu oft wiederholt worden.

Avi Primor im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.01.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Plan des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war klar: Würde er jetzt vorgezogene Neuwahlen herbeiführen, könnte er seine Mehrheit in der Knesset ausbauen. Die Prognosen der Demoskopen, die schienen ihm günstig. Aber in den letzten Wochen, da schmolz sein Vorsprung sehr dahin. Gestern Abend haben also die Wahllokale geschlossen.

    Am Telefon begrüße ich Avi Primor, den ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, jetzt Vorsitzender der israelischen Gesellschaft für auswärtige Politik. Schönen guten Morgen!

    Avi Primor: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Primor, Netanjahu führt vorgezogene Neuwahlen herbei und steht jetzt geschwächt da. Hat er sich also verzockt?

    Primor: Ja, offensichtlich. Er hat ja vorgezogene Wahlen verkündet vor fast einem Jahr. Er wollte das im Mai oder Juni 2012 machen, da hatte er die besten Chancen gehabt. Dann hat er aber einen Trick herbeigeführt, hat die größte Oppositionspartei Kadima in die Koalition einbezogen und einen Monat später musste er sich von ihr verabschieden, also da hat er alles verspielt. Dennoch hat er immer noch, wenn auch schlechte Chancen, die allerbesten, um die Regierung wieder aufzubauen, eine schwache Regierung, eine wackelige Regierung, aber er hat die besten Chancen, Ministerpräsident zu bleiben.

    Heckmann: Wie die aussehen wird, dazu kommen wir gleich. Aber vielleicht noch mal zu der Frage, was den Ausschlag gegeben hat, wie diese herben Verluste doch für Likud und für Netanjahu zu erklären sind.

    Primor: Ich glaube, dass er die Glaubwürdigkeit allmählich verloren hat. Seine Chance ist, dass die Leute nicht wissen, was sie wollen, und sie hören keine Botschaft von anderen Parteien, die sie überzeugt. Aber den Glauben an Netanjahu haben sie verloren. Die wiederholten Slogans, die man von ihm hört und die hohl jetzt ankommen, überzeugen die Leute nicht mehr – es sei denn, die Leute, die persönlich mit dem Likud verbunden sind.

    Heckmann: Slogans in welchem Bereich?

    Primor: Außerdem hat sich der Likud auch sehr verändert. Die moderaten Elemente des Likuds wurden rausgeschmissen und die Partei wird heute übernommen von den extremistischen Elementen in dieser Partei.

    Heckmann: Sie sprechen von Slogans und hohlen Phrasen. In welchen Bereichen?

    Primor: Zum Beispiel alles steht darauf, dass die Leute Angst haben müssen. Man muss Angst haben, Angst vor den Palästinensern, Angst vor der arabischen Welt, Angst vor dem Arabischen Frühling, Angst natürlich vor dem Iran, Angst vor der Außenwelt, die uns verrät, die Europäer verraten uns, die Amerikaner sind auch nicht mehr unsere Freunde, also alles ist gegen uns. Die Leute haben sehr leicht Angst in Israel, das stimmt, schneller als anderswo, aber es gibt da auch eine Grenze, besonders wenn man das zu oft wiederholt.

    Zweitens hat er Reformen versprochen in verschiedenen Bereichen; es gab keine Reformen nirgends. Und die Wirtschaftslage wird düsterer. Die Leute wissen, dass sie nächstes Jahr große Wirtschaftsprobleme haben werden, und hören von Netanjahu überhaupt keinen Vorschlag für irgendeine Verbesserung oder Reform.

    Heckmann: Dennoch hat er die besten Chancen, Regierungschef zu bleiben, haben Sie gerade eben selber ja auch betont. Was wird denn jetzt kommen, eine gemäßigtere Regierung, die mehr in die Mitte rückt?

    Primor: Netanjahu hat wahrscheinlich – das steht noch nicht ganz fest – eine ganz, ganz knappe Mehrheit des rechten Lagers: rechtsextrem, ultrareligiös und wie gesagt extremistischer als vorher, weil seine eigene Partei jetzt extremistischer ist. Aber die Frage ist, ob er sich so eine Regierung wünscht, die sehr wackelig sein wird und von der ganzen Welt dann fast boykottiert wird.

    Heckmann: Er hat ja schon davon gesprochen, dass er eine breite Regierung bilden möchte.

    Primor: Ja. Eine breite Regierung ist wiederum die Frage, was für eine breite Regierung. Wenn er mit den Moderaten und mit den Liberalen geht, kann er auch seine Unabhängigkeit verlieren, weil diese Liberalen und Moderaten große Ansprüche haben. Die wollen eine Wende in der Politik, die er eigentlich nicht haben will. Also was er sagt, wenn man gut zuhört: Er will eine sehr breite Partei haben. Das heißt, er will sowohl die Extremisten als auch die Moderaten. Das wird natürlich nicht halten können, weil da drinnen, innerhalb dieser Koalition, diese verschiedenen Fraktionen nicht gleichermaßen arbeiten können. Das bedeutet vorgezogene Wahlen in kurzer Zeit.

    Heckmann: Welche Rolle wird denn der rechte Politstar Naftali Bennett in Zukunft spielen, der ja auch sehr stark abgeschnitten hat?

    Primor: Ja! Naftali Bennett hat sehr viel Charisma und das ist wahrscheinlich Teil seines Erfolges. Er sieht wie etwas Frisches aus, neu aus, ein Hightech-Man, er spricht die Sprache der modernen jungen Israelis. Aber er ist ein Rechtsextremist, er ist für die Siedler, er ist gegen jegliche Verhandlungen mit den Palästinensern, gegen jegliche Zugeständnisse den Palästinensern gegenüber, gegen einen Palästinenserstaat. Also das alles kann mit den Moderaten nicht zusammengehen. Man kann von sozialen Fragen gemeinsam sprechen, aber irgendwann wird die Politik die Hauptrolle spielen, weil wir in einer Krise leben, weil wir in einem Konflikt leben, weil die Außenwelt uns nicht in Ruhe lassen wird, solange wir keinen Friedensprozess haben, und da wird es krachen zwischen Bennett und den Moderaten in einer ganz großen Koalition.

    Heckmann: Was heißt das, Avi Primor, für den Friedensprozess mit den Palästinensern, wenn man davon überhaupt noch sprechen kann?

    Primor: Wenn die Moderaten an der Regierung teilnehmen, dann werden sie natürlich dazu drängen, dass man mit den Palästinensern wieder echt – man muss dieses Wort betonen -, echt verhandelt. Netanjahu wird das nicht wollen, seine rechten Koalitionspartner so wie Bennett werden es bestimmt nicht nur nicht wollen, sondern verabscheuen, und das wird alles dann von dem Ausland abhängig sein, also sprich die Amerikaner. Wenn die Amerikaner sich einmischen, wenn die Amerikaner wirklich uns zu echten Verhandlungen mit den Palästinensern drängen wollen, dann werden sie wahrscheinlich nun Partner in dieser Regierung haben, nämlich die Gemäßigten, die Teil an der Koalition nehmen werden, was Netanjahu ja auch anstrebt. Das heißt, ein Druck von außen kann wirksamer sein.

    Heckmann: Präsident Obama, pardon, hat ja gerade seine zweite Amtszeit angetreten und muss nicht auf seine Wiederwahl irgendwie Rücksicht nehmen. Erwarten Sie denn von ihm, dass da so ein entsprechender Druck kommt?

    Primor: Er steht nicht mehr vor Wahlen. Er ist in Sachen Nahost, war in Sachen Nahost immer sehr ehrgeizig, weil er meint, dass eine Lösung im Nahen Osten ein amerikanisches, und zwar ein dringendes amerikanisches Interesse ist, hat er selber geschrieben und gesagt. Er hat jetzt zwei Mitarbeiter, die da in dieser Sache sehr behilflich sein können: Carry, der Außenminister und Hagel, der Verteidigungsminister. Die Frage ist, ob er den politischen Willen dazu hat, weil er ja andere Probleme hat, die erheblich wichtiger und besonders dringender für ihn sind. Das ist die Wirtschaft, das Chinaproblem und so weiter und so weiter. Das ist eine Frage der Prioritäten des amerikanischen Präsidenten. Können kann er es, die Mittel dazu hat er zur Verfügung. Frage ist, ob er es will.

    Heckmann: Wir werden das weiter beobachten – herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und Einordnungen. Avi Primor, ehemals israelischer Botschafter in Deutschland, schönen Tag noch und schöne Grüße.

    Primor: Danke, Herr Heckmann. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.