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Bad Landeck
Wo Goethe und Friedrich der Große ihre Leiden kurierten

Der seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Südwest-Polen liegende Landstrich Niederschlesien gilt als bäderreichste Region Europas. Auch Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich der Große kurierten ihre Leiden im damaligen Bad Landeck. Polnisch heißt der kleine, historisch bedeutsame Kurort unweit der tschechischen Grenze heute Ladek Zdroj.

Von Gisela Jaschik |
    Das Kurhaus "Wojciech" in Ladek Zdroj, dem ehemaligen Bad Landeck.
    Das Kurhaus "Wojciech" in Ladek Zdroj, dem ehemaligen Bad Landeck. (picture alliance / dpa)
    Hohe Fichten und Laubbäume links und rechts, ab und zu kreuzen Fuß- und Radwanderer den Weg, der sich in Serpentinen Ladek Zdroj entgegen schlängelt. Glatzer Bergland hieß dieser zwischen Schlesien, Böhmen und Mähren gelegene Landschaftszipfel in den Sudeten früher, zu deutscher Zeit. Eine gute Autostunde südlich von Breslau liegt das polnisch-tschechische Grenzgebiet – dünn besiedelt seit eh und je - umgeben von Bergmassiven mit klangvollen Namen wie Reichensteiner und Glatzer Schneegebirge. Bad Landeck begrüßte seine in Pferdekutschen anreisenden Kurgäste wohl schon vor Jahrhunderten mit einer Schatten spendenden Allee. Kilometerlang bis zum Ortseingang säumen alte Eichen dicht an dicht den Weg. Tunnelartig, bis es schlagartig hell wird: alte Dächer und Türme tauchen auf. Wie eine Oase wirkt Ladek Zdroj auf den ersten Blick. Ein gemütlicher Ort mit dem Charme vergangener Zeit. Malerisch auf einer Hochebene gelegen, der innersudetischen Senke. 440 m über dem Meeresspiegel. Eine schmale Brücke führt über das Flüsschen Landecker Biele, heute Biala Ladecka. Gleich hinter dem plätschernden Gebirgsbach geht’s zum Rynek oder auch Ring, wie der Marktplatz mit seinen alten Giebelhäusern im Volksmund einst hieß.
    Ungewöhnlich geschäftiges Treiben herrscht rund um das klassizistische Rathaus: Heute ist Floh- und Kunsthandwerkermarkt. Leszek ist aus Breslau gekommen. An Wochenenden belädt er seinen Transporter mit Tellern und Tassen aus der alten schlesischen Porzellan-Manufaktur Tillowitz, mit Tischlampen aus Messing und handgedrechselten Stühlen. Seine Schätze breitet er auf Decken aus. Der 60jährige kennt Flohmärkte weit und breit. In Ladek Zdroj ist er besonders gern: "Einmal pro Monat, drei Tage – Freitag bis Sonntag. Viele Leute von Kurort kommen her. Stadt für Touristen, das ist eine Attraktion auch. Kurort-Hotel müssen Sie oben gehen – zwei Kilometer, ja, in die Richtung."
    Vorher aber betrete ich das Rathaus, ein gelb-weiß getünchtes Schmuckstück aus dem 19. Jahrhundert. Ich bestaune die doppelläufige Freitreppe und den hohen Glockenturm. In der ersten Etage treffe ich auf Grzegorz Szczygiel. Der stellvertretende Bürgermeister von Ladek Zdroj ist jung und eloquent. Spontan bietet er an, mich durch die kleine Stadt zu führen: "Ich versuche es. Warum nicht? Geben sie mir eine Sekunde. Heute ist übrigens mein sechster Tag im Amt. Der Neue auf diesem Posten. Aber, ich lebe schon lange in Londeck. Ich hoffe, es wird ein gutes Erlebnis für sie."
    Deutsch verstehe er zwar ein wenig, aber das Sprechen falle ihm schwer, sagt er entschuldigend und ist schon mitten drin im Thema Ladek Zdroj. Im Kern besteht der 6.000 Einwohner-Ort aus zwei Stadtteilen, sagt Grzegorz: die Altstadt und das Kurviertel. Ein Weg am Fluss entlang verbindet beide. Wir umrunden das Rathaus, und ich frage, wie alt Ladek eigentlich ist. Grzegorz muss passen: "Wir wissen es nicht wirklich. Wir haben Informationen aus der Geschichte über Gebäude von 1241. Damals war ein großer Krieg in unserer Region."
    Beim Ursprung des Namens Landeck ist der Vize-Bürgermeister sich jedoch sicher: "Der Ortsname beruht auf dem deutschen Wort "Land-Ecke.” Man sieht es auf der Landkarte: Diese Region liegt wirklich abseits von allem - in der Ecke. Es gibt auch keine Arbeit hier. Autobahnen, alles ist weit weg von hier."
    Der Turmbläser, dessen musikalische Töne traditionell täglich um 12 Uhr vom Rathausturm erklingen, unterbricht kurz das Gespräch. Hübsche Blickfänge sind die pastellfarbenen barocken Hausfassaden mit ihren Schneckengiebeln und auch die Laubengänge an der Nordseite des Rings. Cafés gibt es, Galerien, kleine Läden. Erhalten blieb das skulpturenverzierte Wohnhaus des später berühmten Bildhauers Michael Klahr der Ältere: "Bad Landeck ist auch ein Künstlerstädtchen. Gegenüber vom Rathaus sind kleine Galerien zu entdecken. Man kann den Künstlern bei der Arbeit zuschauen."
    In den 90er-Jahren wurden etliche der historischen Bürgerhäuser originalgetreu wieder aufgebaut. Aber andere dämmern eher grau und vernachlässigt vor sich hin, warten noch auf Renovierung. Zu hoffen sei auf weitere Geldsegen von der EU, die auch schon das Pflaster auf dem Marktplatz finanziert hat, sagt Grzegorz: "Yes, all was renovated. Now we are looking for money, which can start us the rest of renovated this buildings which you see." Im frühen Mittelalter jedoch, so erzählt Grzegorz beim Rundgang weiter, war Bad Landeck Station an einer wichtigen Handelsstraße: zwischen dem Baltikum und Italien: "Bernstein! Das war unsere erste Straße. Und die zweite Straße unserer Region war die Salzstraße von Krakau nach Prag."
    Der einst als Handelsplatz gegründete Ort entwickelte sich früh zum Kurort: Vermutlich schon seit dem 13. Jahrhundert wurden mineralhaltige Thermalquellen genutzt, die ganz in der Nähe in den Bergen entdeckt worden waren. Badehäuser entstanden, Kurgäste strömten nach Landeck. Das Landecker Bad gilt als das älteste der ehemaligen schlesischen Grafschaft Glatz und als eines der ältesten in Europa. Das Quellwasser sei bis heute wirksam. Grzegorz nickt eifrig: "Unser Quellwasser ist einzigartig. Es ist radium- und schwefelhaltig. Man riecht es. Es ist wunderbar heilsam für den Körper. Ob bei Knochenbrüchen, Kreislauf- oder Hautproblemen. Ich denke, ältere Deutsche werden sich noch erinnern, wie gut dieser Kurort ist."
    Die heilsame Wirkung der Landecker Quellen mit ihrem hohen Gehalt an Schwefel, Radium und Fluor sprach sich herum. Wer es sich leisten konnte und etwas auf sich hielt, reiste zur Bade-Kur nach Bad Landeck. So verbrachte Johann Wolfgang von Goethe Ende August 1790 seinen 41. Geburtstag in dem beliebten Kurort. Von Weimar aus war der Dichter in die schlesisch-böhmische Ecke gereist. Schon im August 1765, vor genau 250 Jahren weilte Friedrich der Große zur dreiwöchigen Kur in Bad Landeck. Später kam Russlands Zar Alexander der Erste. Preußens König rührte kräftig die Werbetrommel für den schlesischen Kurort – Nach seiner Rückkehr schrieb er begeistert:
    Zitat: "Die Bäder von Landeck haben mir den Gebrauch meiner Füße wieder gegeben und gegenwärtig scheint es mir fast, als habe ich die Gicht nie gehabt."
    Obwohl nirgendwo in der Altstadt Hinweise auf die Berühmtheiten vergangener Jahrhunderte zu finden sind, die damals über holprige Waldwege dorthin rumpelten um die Thermalanlagen zu genießen, sind sie nicht vergessen, wie der neue Mann im Rathaus versichert:
    "In unserer Stadt-Chronik sind alle berühmten Namen und Daten verzeichnet. Wir haben eine Menge Informationen und einige Objekte im Kurviertel, die an sie erinnern. Im Marienbad sind Baderäume für die Kurgäste nach berühmten Gästen benannt. Besucher sollen wissen, welch interessante und wichtige Menschen diesen Ort besucht haben."
    Original erhalten, 450 Jahre alt ist die steinerne Johannes-Brücke über die Landecker-Biele, die wir auf dem Weg ins Kurviertel überqueren: "Es ist ein Miniatur-Nachbau der Karlsbrücke in Prag. In Glatz haben wir eine ähnliche Brücke. Wir haben in Londeck einiges im Kleinformat, in Glatz ist die mittlere und in Prag die große Version." Wenige Minuten am Flussufer entlangspaziert, ist bald das Kurviertel erreicht: Jung und Alt flanieren vorbei an gepflegten Blumenbeeten. Weiße Parkbänke umrahmen kurzgeschnittene Rasenflächen, exotische und einheimische Bäume spenden Schatten. Kinder vergnügen sich an einem kreisrunden Brunnen mit Pfiff.
    Eine herrschaftlich anmutende breite Treppe führt hoch zum Kurhaus Wojciech – das ehemalige Marienbad. Der wuchtige Neo-Renaissancebau mit den beiden Seitenflügeln und der grünen Rundkuppel ist unbestritten Augenweide Nr. 1. Aber das Schönste komme erst noch, schwärmt Grzegorz vielversprechend: "Innen ist es echt erstaunlich, weil alles im Barock- und Neo-Renaissance-Stil gebaut ist. Beim Schwimmen fragt man sich überwältigt: Oh, mein Gott, wo bin ich? Und außerdem das Wasser. Man fühlt, dass es dem Körper guttut."
    Und tatsächlich: Zwar müffelt es gewöhnungsbedürftig schwefelartig, um nicht zu sagen nach faulen Eiern, aber: das Plantschen im kreisrunden Marmorbecken im detailgetreu restaurierten Badehaus aus dem 17. Jahrhundert, entspannt und lullt geradezu ein. Kein Wunder, bei der Wassertemperatur von fast 30 Grad. In Rückenlage genießen die Badenden – auch Kurzbesucher wie wir sind durchaus gern gesehen - im Mineralwasserbad den Blick auf die kunstvoll handbemalten türkischen Fliesen unter der hohen Kuppel. Im Angebot sind auch entzündungshemmende und schmerzlindernde Moorpackungen und Fluorid-Schwefelbäder, als Behandlung gegen Osteoporose. Auf breiten Marmorstufen über uns Stuckdecken, geht es eine Etage höher zur Trinkhalle. Ebenfalls kreisrund und hoch über dem Planschbecken. Aus unzähligen vergoldeten Wasserhähnen zapft jeder, der mag, Landecker Wasser aus verschiedenen Mineralquellen. Wer sich auskennt, hat eigene Flaschen dabei. Wie dieses Ehepaar aus Danzig, Marczenna und Robert. In Ladek sind der Journalist und die Lehrerin zum ersten Mal: "Zuerst geht es um die Geschichte von diesem Land und was zu finden ist: Kloster, Kastell, Burg und eigenes Klima. Schöne Berge und nicht zu hoch und Wasser auch. Meine Frau sagt, ich soll viel Wasser trinken. Aber ich trinke lieber Bier oder Wein. Ich trage ein paar Flaschen. Ich bin gesund."
    Eine Frau füllt an einem anderen Hahn gleich mehrere große Flaschen mit dem Heilwasser. Es helfe gegen Osteoporose sagt sie und zählt weitere Leiden auf, die durch die Landecker Quellen gelindert würden: "Osteoporose, dobra!"
    Beim Flanieren zwischen den erst kürzlich aufwendig und liebevoll renovierten klassizistischen Hotels und Badehäusern, Villen und Cafés, treffe ich auf Adam Urbaniak. Der Musiker aus dem Oppelner Land und seine Frau touren mit nostalgischen Liedern auf französisch und deutsch durch die Kurorte der Region: "Dieses Städtchen ist sehr schön, meine Frau singt Lieder von Edith Piaf, Marlene Dietrich."
    Zwischen Fußweg und Blumenbeeten stehen unerwartet Info-Tafeln: mit ausführlichen Texten und überlebensgroßen Abbildungen von Goethe und Friedrich dem Großen. Auch zur langen deutschen Geschichte des Kurviertels mit seiner architektonischen Perle, dem Marienbad, sind historische Fotos zu bestaunen. Die Texte aber leider nur in polnisch. Ladek Zdroj ist ein polnischer Kurort - mit weit überwiegend polnischen Gästen. Aber auch Deutsche kommen, Engländer und sogar Amerikaner, versichert Klaudia Kapral. Die junge Frau an der Rezeption des Marienbades zaubert deutsch- und englischsprachige Farb-Prospekte über den uralten Kurort Ladek und seine moderne Heilbehandlung hervor: "Besucher und Kurgäste kommen wegen des Quellwasser für die Gesundheit, aber auch wegen der Geschichte. Dieser Landstrich war früher deutsch. Die meisten Menschen wollen sehen, was sich im Ort verändert hat. Jedes Jahr haben wir Gäste aus Deutschland. Die meisten aus Deutschland, aber auch aus den USA und Großbritannien."
    Die letzten deutschen Einwohner Bad Landecks wurden Mitte 1946 zwangsvertrieben. An ihrer Stelle neu angesiedelt wurden damals Heimatvertriebene aus Ostpolen. Manche ehemaligen Landecker, beziehungsweise ihre Nachfahren kehren bis heute zurück – als Tagesbesucher, Urlauber, Kurgäste. In der Ecke zwischen Bergmassiven versteckt, liegt Ladek Zdroj zwar noch immer abseits von allem. Aber nun auch in einem grenzenlosen Europa. Die tschechische Grenze nur einen Steinwurf entfernt. Ausflügler aus ganz Europa erkunden problemlos die nahen grenzüberschreitenden Wanderwege zwischen Polen und Tschechien. Zäune und Grenzkontrollen sind endlich passe, freut sich Grzegorz Seczygiel, der Vize-Bürgermeister von Bad Landeck: "Ja, heute ist es toll. Wir haben keine Grenzen mehr. Es ist die beste Zeit. Ich hoffe, keine dumme Politik wird das je zerstören."