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"Beide Seiten mussten ja Federn lassen"

Respekt zollt Thomas König dem 80-jährigen Heiner Geißler für dessen Vermittlungsarbeit - vermisst jedoch eine "Runde der Schlichtung" nach dem wochenlangen Austausch von Argumenten. Ob Stuttgart 21 wahlentscheidend bleibe, lasse sich nicht vorhersagen.

01.12.2010
    Friedbert Meurer: Ganz Deutschland hat die letzten Wochen gespannt darauf gewartet, wie soll Heiner Geißler einen Schlichterspruch finden, dem sowohl Befürworter als auch Gegner des Bahnhofsprojekts "Stuttgart 21" zustimmen werden. Da hat Geißler schon sehr früh gesagt, dass ihm das wohl nicht gelingt. Sein Ziel sei es gewesen, die Emotionen abzukühlen und beide Seiten überhaupt um einen Runden Tisch herum zu versammeln, zum Demokratieprojekt rund um "Stuttgart 21". Dieses Demokratieprojekt hat gestern zunächst einmal seinen Abschluss gefunden mit dem Schlichterspruch, und darin sagt Geißler, er plädiert dafür weiterzubauen, aber unter Bedingungen.
    Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat gestern nach diesem Schlichtungsspruch mit dem Politikwissenschaftler Thomas König von der Universität Mannheim gesprochen und ihn gefragt, ob die Befürworter von "Stuttgart 21" Sieger der Schlichtung sind.

    Thomas König: Der Sieger würde ich jetzt nicht sagen. Beide Seiten mussten ja Federn lassen. Allerdings werden natürlich die vorgeschlagenen Änderungen ein zentrales Gebot der Gegner zumindest in Mitleidenschaft ziehen, nämlich die Frage nach der Höhe der Kosten.

    Dirk-Oliver Heckmann: Wird "Stuttgart 21" denn jetzt gebaut? Ist das damit entschieden?

    König: So wie es aussieht ja. Das war auch zu erwarten. Herr Geißler hatte ja schon im Vorfeld abgelehnt, alternative Lösungswege dort in Betracht zu ziehen, also beispielsweise die Frage eines Bürgerbegehrens oder eines Volksentscheides oder ein Moratorium bis nach der Landtagswahl - das wären ja noch weitere politische Lösungsmöglichkeiten gewesen -, sodass es jetzt wohl weitergehen wird, vielleicht nicht, wenn es einen kalten Winter gibt, unmittelbar, aber doch in mittlerer Sicht dürften dann die Bauarbeiten fortgesetzt werden.

    Heckmann: Aber wenn dann diese Tests, die jetzt gemacht werden, ergeben sollten, dass eine Effizienzsteigerung doch nicht so möglich ist, wie die Bahn es behauptet hatte, dann könnte das ganze Projekt noch mal zu Fall kommen?

    König: Nein, das glaube ich nicht, weil die Bahn macht ja diese Tests und es war ja schon in der Vergangenheit sehr schwierig festzustellen, was dann jetzt eigentlich Grundlage immer der Berechnungen war. Also ich gehe mal davon aus, dass diese Tests nicht dahingehend ausfallen werden, dass das Projekt noch mal grundlegend gefährdet wird.

    Heckmann: Geißler hatte kaum seinen Schlichterspruch zu Ende vorgetragen, da erschallten die ersten Rufe von Demonstranten "oben bleiben", "oben bleiben" und "Mappus muss weg". Das heißt, Sie gehen auch davon aus, dass die Proteste weitergehen?

    König: Die Proteste gehen insofern weiter, dass natürlich von vornherein feststand, dass es keinen Kompromiss geben kann. Es ging ja um die Frage Stuttgart oben oder unten, und letztlich hat sich Herr Geißler für unten ausgesprochen nach Abwägung der Argumente, die getroffen worden sind. Etwas schade fand ich, dass der Bund nicht anwesend war als der Hauptverantwortliche für dieses Projekt und auch der Hauptfinanzier. Von daher, muss man sagen, sind natürlich die Gegner im Moment etwas empört, sie werden auch weiter protestieren und haben ja auch die Möglichkeit, wenn "Stuttgart 21" für sie so wichtig ist, dass sie es dann bei der kommenden Landtagswahl in Rechnung stellen können.

    Heckmann: Apropos, wie stark wird das Thema denn die Landtagswahlen in Baden-Württemberg bestimmen?

    König: Na ja, das war immer ein Thema oder vielleicht das Thema, was im Hintergrund stand. Man wollte also möglichst bald, also noch vor der Weihnachtszeit, zu einem Ende kommen, damit dieses Thema den Landtagswahlkampf, von dem ja vor allem die Grünen profitieren, von diesem Thema, nicht dominieren würde.

    Heckmann: Ist es denn so, dass dieses Thema wirklich den Grünen dann nutzen wird ausschließlich, oder hat Heiner Geißler der CDU den Wahlsieg möglicherweise sogar beschert mit seinem Schlichterspruch, weil viele Menschen sich doch vielleicht möglicherweise sagen werden, er hat doch jetzt für den Weiterbau plädiert, also ist es auch gut?

    König: Das ist sicherlich so. Allerdings: Eine zentrale Sorge, die die Leute haben - das betrifft vielleicht gar nicht nur "Stuttgart 21" -, ist ja die Frage nach der Kostensteigerung und dem Kostenumfang. Es handelt sich ja um mehrere Milliarden und nach diesem Spruch ist zumindest sicher, dass es nicht günstiger werden wird, sondern voraussichtlich noch teuerer werden wird. Das heißt, die Bahn hat natürlich jetzt auch die Möglichkeit, immer zu argumentieren bei etwaigen Kostensteigerungen, dass das ein Resultat der Schlichtungsempfehlung sei. Ich glaube, dass das die Leute doch etwas beunruhigen wird, wenn wir bei solchen Projekten auf der einen Seite eine Landesbeteiligung, ich sage mal, in Höhe von 500 Millionen im Moment haben und im gleichen Atemzug ein Sparpaket im Landtag verabschiedet wird im Umfang von 500 Millionen.

    Heckmann: Und das könnte die Wahlentscheidung maßgeblich beeinflussen?

    König: Das ist immer sehr schwer vorherzusagen, weil wir beobachten, jetzt mal auch aus wissenschaftlicher Sicht gesprochen, dass sich politische Themen nicht so lange halten, also meistens doch eine Halbwertszeit haben von wenigen Wochen, und bis zur Landtagswahl sind es noch einige Wochen und wir wissen nicht genau vorherzusagen, welches Thema vielleicht dann noch letztlich dominant sein wird.

    Heckmann: SPD und Grüne fordern weiterhin einen Volksentscheid. Heiner Geißler hatte ja gesagt, die gesetzlichen Voraussetzungen seien dafür nicht erfüllt. Aber könnte man die nicht schaffen, oder hätte man die nicht schaffen können?

    König: Also bei allem Respekt vor der Leistung von Heiner Geißler – wir müssen ja mal konstatieren: Hier hat sich wirklich ein 80-Jähriger über mehrere Wochen bemüht, die Parteien zu Argumenten zu bewegen – muss man sagen, hat mir eine Runde gefehlt, eine Runde der Schlichtung, die genau diese verschiedenen politischen Lösungsoptionen noch mal aufgezeigt hätte. Zum Beispiel im Falle des Volksentscheids lag ein Gutachten vor über einen Antrag der SPD, die ja eigentlich für das Projekt ist und die einen Antrag gestellt hat, ich möchte das mal vergleichen mit der fingierten Vertrauensfrage von Gerhard Schröder. Daraufhin ist ein Gutachten zu dem Entschluss gekommen, dass eben man diesem Vorschlag nicht folgen sollte. Das interpretiert Herr Geißler nun so, als gäbe es nicht die Möglichkeit eines Volksentscheids. Es gibt aber ein zweites Gutachten, auch von einem Verfassungsrechtler, der sagt, es gibt sehr wohl eine Möglichkeit, und man hätte eben abwägen sollen, inwieweit hier eine vernünftige Möglichkeit bestanden hätte.

    Heckmann: Das heißt, Geißler ist über diesen Punkt ein wenig hinweggegangen?

    König: Ich glaube, dass Geißler sozusagen von den politischen Alternativen schon mal einige von vornherein ausgeschlossen hatte.

    Heckmann: Weshalb?

    König: Na ja, ich würde mal behaupten, dass also die Frage, dass man hier auch der Landesregierung nicht allzu sehr in die Quere kommen möchte, doch auch ausschlaggebend war, und ein Volksentscheid hätte für die Landesregierung sicherlich und für Herrn Mappus vor allem Schwierigkeiten in seiner eigenen Fraktion bedeutet.

    Heckmann: Das heißt, Geißler war nicht so unparteiisch, wie er eigentlich hätte sein sollen?

    König: Ich sage, es hat einfach noch diese letzte Runde gefehlt, in der man sich eben auch die Argumente ausgetauscht hätte darüber, welche Alternativen – und es gab insgesamt drei; ich nenne sie noch mal: die Möglichkeit eines Volksentscheids zum einen, dann die Möglichkeit eines Moratoriums dahingehend, dass dann nach der Wahl eine neu legitimierte Regierung die Entscheidung noch mal aufnimmt, oder drittens eben, und dafür hat man sich letztlich entschieden, für ein modifiziertes Weitermachen ohne weitere Konsequenz.

    Meurer: Dirk-Oliver Heckmann sprach mit dem Politikwissenschaftler Professor Thomas König von der Universität Mannheim über den Schlichterspruch zu "Stuttgart 21".

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