Archiv

Bergell in der Schweiz
Auf den Spuren Alberto Giacomettis

Der Schweizer Alberto Giacometti gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Die Schweizer haben ihm sogar ihre 100-Franken-Banknote gewidmet. Geboren wurde er im wildromantischen Bergell oder Val Bregaglia, einem der "italienischen Täler", das noch heute voll von Spuren seines großen Sohnes ist.

Von Katrin Kühne |
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Berge im wildromantischen Val Bregaglia (Deutschlandradio/Katrin Kühne)
    Das wildromantische Bergell oder Val Bregaglia gehört, neben dem Val Poschiavo, zu den größten der sogenannten "Italienischen Täler" der Graubündener Alpenregion. Früher war es Teil der Herrschaft Como. Amtssprache ist deswegen bis auf den heutigen Tag Italienisch. Dort wurde der wohl bedeutendste Künstler der Schweiz, Alberto Giacometti, als Sohn des spät-impressionistischen Malers Giovanni Giacometti in Stampa geboren.
    Eine der bedeutendsten Kunstsammlungen von Alberto Giacometti befindet sich heute im Züricher Kunsthaus. Kurator Philipp Büttner begeistert sich für ein frühes Selbstbildnis von 1921.
    "Immer noch auch auf dieser ganz warmen Palette des Vaters beruhend, aber eben mit dieser Strenge. Wir sehen Alberto, der sich damals auch für ägyptische Kunst zu interessieren beginnt. Er möchte zeigen, ich bin einer, der Großes vorhat."
    Vater Giovanni ist der erste Lehrer des jungen Alberto. Weltbekannt aber wurde der Sohn nicht durch Malerei oder Zeichnungen, sondern durch seine extrem dünnen Bronze-Skulpturen.
    "Wenn Sie dann ins Bergell fahren, dann werden Sie erst in Maloja vorbeikommen, dann geht man ganz tief ins Tal runter, ins Bergell, wo Stampa liegt und es ist eigentlich sehr wichtig, um Alberto zu verstehen, dieses Bergell mit seinen Farben, auch seinen Gesteinsstrukturen kennenzulernen."
    Mit einem rollenden Weltkulturerbe, dem berühmten Bernina-Express, geht es nach St. Moritz. Auf der Suche nach dem Ursprung der Kunst Giacomettis heißt es dort allerdings: auf den Post-Bus umsteigen. Eine Reise, die der Bildhauer fast jedes Jahr im Herbst von Paris aus, wo er sein Atelier hatte, auch unternommen hat.
    Die Zeit scheint still zu stehen in den kleinen, alten Orten entlang der schäumenden Maira. Die hohen, südlichen Bergflanken rücken nahe heran.
    "Das ist eine Waldweide hinter dem Dorf von Stampa und wir sind hier in einem Lärchen-, Fichten-Mischwald am Übergang von der Ebene zum steilen Hang. Und an dieser Stelle können wir sehen, wie einige Bäume bis weit oben hin astlos sind und wie am Boden dann noch Steine liegen und an eine dieser Stellen erinnerte sich Alberto 1950 in Paris, als er das Werk "La Forêt", "der Wald", schuf, wo er sagte, diese Bäume erinnerten ihn an stehende Frauen."
    Kindheitserinnerungen, die auf ein künstlerisches Wesen schließen lassen
    Und die auf dem Waldboden verstreuten Steine wachsen als Köpfe aus der Basis der rund 50 cm großen Bronzeskulptur von Alberto.
    Dottore Marco Giacometti, schlank, hoch gewachsen, kennt die "Geheimen Orte" seines Verwandten, des Bildhauers. Der humorvolle Geologie-Lehrer ist über die Linie der Mutter und die seines Vaters mit Alberto verwandt.
    Geboren wird der große Künstler 1901 im Ortsteil Borgonovo, wo auf dem Friedhof von San Giorgio alle Giacometti begraben liegen, - auch er. Die Familie des Bildhauers lebt ab 1905 dann in Stampa selber, in einem heute noch rosaroten Haus an der Maira. Alberto verbringt dort im ersten Stock eine glückliche Kindheit mit seinen drei Geschwistern Diego, Ottilia und Bruno.
    Gegenüber vom Haus, auf dem anderen Ufer, weitet sich das Tal in Richtung des über 3.100 Meter hohen Piz Duan. Grün überwachsene Felsformationen verbergen dort eine Höhle.
    "Da kletterte der kleine Giacometti mit seinen kleinen Freunden hinein und als er dann dreißigjährig war in Paris, beschrieb der diese Situation: Von hier aus konnte er noch das Haus der Eltern sehen, aber er war schon für sich allein und er fühlte aber sich auch geborgen, weil in dieser Höhle fühlt er sich sicher."
    Und Alberto entwickelt sich auf der Suche nach höchster Expression schon bald zu einem Einzelgänger in seinem Schaffen. Ein Suchender, der seine Ton-Entwürfe immer wieder verändert, zerstört. Es sei denn, sein Bruder Diego, der mit ihm seit den 1920ern in Paris lebt, rettet sie.
    Beinahe jeden Herbst besucht der Künstler, später auch mit Ehefrau Annette, seine geliebte Mutter im rosaroten Haus in Stampa, wo ihn das vertraute Italienisch umgibt.
    Es gibt Fotos von Giacometti, als er am Fuß des Pizzo Badile in dem Granitgestein sitzt. Dieser harte, dunkelgraue Stein hat ihn vermutlich beeindruckt. Und dazu kommen noch diese Zacken, die manchmal in diesen Granitbergen emporstehen, wie hier oben Spazacaldeira."
    Der Besucher denkt sofort an eine der Skulpturen von Giacometti, wie etwa der berühmte drei Meter hohe "L'homme qui marche", der Schreitende Mann. Hinter dem mehrstöckigen ehemaligen Wohngebäude der Familie steht ein schöner Steinbau, die obere Etage aus altersdunklem Holz. Es ist -
    "- ein umgebauter Heuschober, das Atelier Giacometti von Stampa, wo Albertos Vater gewirkt hat, aber dann von Alberto selbst übernommen wurde und bis 1965 auch sein Arbeitsplatz in Stampa war."
    Vater Giovanni hat ein farbenfrohes, vom Pointillismus beeinflusstes Gemälde direkt auf die Holzwand getupft, Kettenraucher Alberto beim Zeichnen an Vaters Staffelei seine Zigarettenstummel mit dem Fuß sichtbar auf dem Holzboden ausgedrückt.
    Die Erben halten das Andenken an den Künstler hoch
    Vor der Ciäsa Granda steht Renata Giavanoli-Semádeni und plaudert mit einer Bekannten in "Bargaiot", dem weichen Dialekt des Bergells.
    Die Cousine von Lehrer Giacometti macht Führungen in dem wuchtigen Haus von 1581, das heute Talmuseum ist. Im Kellergewölbe wurde 1989 ein neuer Saal eröffnet.
    "Dahinten haben wir die Werke von Giovanni, auf der Seite die Werke von Augusto, hier sind die Werke von Alberto, mit dem bekannten Elie Lothar, das war eine der letzten Skulpturen, die er gemacht hat."
    An dem Portrait des Fotografen Elie Lothar hat Alberto bis kurz vor dem eigenen Tod 1966 gearbeitet. Viermal Giacometti sind in der Galerie vertreten - mit Portraits und Landschaften aus dem Bergell. Ein Cousin des Vaters, Augusto, ein ebenfalls in der Schweiz bekannter Maler, der im Haus rechts der Ciäsa Granda geboren wurde, Giovanni selber und seine Söhne, Bildhauer Alberto, Designer Diego; der dritte, Architekt Bruno, ist mit Büchern über sein Werk vertreten.
    Geradewegs zu von der Ciäsa Granda steht das, wie die meisten Gebäude hier, mehrstöckige Geburtshaus von Albertos Vater Giovanni, später Familien-Albergo Piz Duan.
    Der Salon des früheren Hotels ist heute Sitz des von Cousin und Cousine gegründeten "Centro Giacometti". Er soll einmal eine Ausstellung zur ‚Verquickung von Tal und Werk' des großen Schweizer Bildhauers beherbergen. Dessen Kunst stößt heute wie damals auf Unverständnis im Dorf, als die gemeinsame Großmutter der beiden noch ihren Laden in der Casa Piz Duan hatte.
    "Die Großmutter verstand das nicht und sie meinte, 'das ist, weil er immer im Herbst zu uns kommt, wenn die Sonne zurückgeht. Darum macht er graue Sachen.' Und er ist auch viel zu den Menschen ins Hotel gegangen oder ins Restaurant, hat mit denen etwas getrunken. Er hat über die Tiere, über die Kinder, über die Arbeit erzählt, aber nie über die Kunst."