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Berlin
Architektur-Wettstreit am Ku-Damm

Im Berliner Westen lebt der architektonische Charme der Fünfzigerjahre wieder auf, während am Leipziger Platz im ehemaligen Ostteil der Stadt in der Tradition der Neunzigerjahre aufgehübscht wird. Die deutsche Hauptstadt erlebe einen kulturellen Wettstreit, sagt der Architekturkritiker Nikolaus Bernau.

Nikolaus Bernau im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Bikini-Haus an der Budapester Straße (rechts) – gegenüber liegt der Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche.
    Bikini-Haus an der Budapester Straße (rechts) – gegenüber liegt der Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche. (Foto: Deutschlandradio, Marietta Schwarz)
    Christoph Schmitz: In Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" läuft der alte Curt Boi als Poet Homer vollkommen verloren über eine endlose Brache. Dort, auf dem Todesstreifen, hatte einst das Leben des Potsdamer Platzes pulsiert, daneben das des Leipziger Platzes. Auf dem Potsdamer Platz ist nach der Wende schnell die hochfahrende Postmoderne gewuchert. Auf dem Leipziger Platz in den letzten Jahren ein strenges Oktogon mit Büros, Wohnungen und Einkaufszentren. Soweit der ehemalige Berliner Osten. Rund um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche im Westen wurde es nach 1989 immer trüber. Bis auch sich auch hier seit Kurzem einiges verändert.
    Das Kino Zoo-Palast ist in seinem alten Glanz herausgeputzt worden, das neue Luxushotel Waldorf-Astoria ist entstanden. Und morgen wird nach umfangreicher Sanierung das sogenannte "Bikini-Haus" wiedereröffnet. 1957 war es nach Plänen der Architekten Paul Schwebes und Hans Schozsberger errichtet worden, sechs Etagen, Flachdach, wobei die mittlere Etage offenblieb, wodurch der Eindruck einer zweiteiligen Anlage erweckt wurde, Bikini-artig eben. Der belgische Künstler Arne Quinze hat den Sanierungsplan entwickelt. Was ist aus dem vermufften 50er-Jahre-Bikini geworden? Das habe ich den Architekturkritiker Nikolaus Bernau zuerst gefragt.
    Nikolaus Bernau: Ja, ob das so vermufft war, das ist schon mal die große Frage, weil der Bau war einfach runtergekommen. Der war auch richtig runtergewirtschaftet worden, zum letzten Mal Ende der 70er-Jahre richtig durchgreifend restauriert oder überarbeitet worden. Damals wurde übrigens auch diese berühmte Bauchschnalle geschlossen, also das Stück, wo man durchgucken konnte, zumindest nach der Idee der Architekten. Zweifellos: Dieser Bau ist erfrischt worden. Die Fassaden glänzen wieder wie neu, wie man so schön sagt. Und er ist auch erheblich verändert worden, unter anderem dadurch, dass die gesamte Rückfassade abgerissen wurde. Die war aber eines der berühmtesten Teile, die wurde sogar in Broschüren mal abgebildet, mit ganz tollen dramatisch-plastischen Treppenhäusern im Stil von Le Corbusier. Die breite Passagenhalle ist jetzt nur noch so ein schmales Gängli, und ganz wichtig ist natürlich: Oben auf das Dach kamen Aufbauten drauf. Das heißt, der ehemalige Sechsgeschosser ist heute ein Achtgeschosser.
    Schmitz: Die Rückfassade ist eine große Glaswand, durch die man in den Zoo hineinschaut.
    Bernau: Die Glasfassade rückwärts, da kann man in den Zoo auch reingucken. Das ist ein wunderbares Gimmick, ein wunderbares Element, und das ist eben Teil einer großen Shoppingmall, was da entstanden ist im Zentrum der Stadt – ganz klar!
    Schmitz: Jetzt allgemeiner gefragt: Wie entwickelt sich der Berliner Westen, dort an dieser Stelle, an der Gedächtniskirche und am Zoo, mit Kino, Zoo-Palast und Waldorf-Astoria-Hotel und jetzt dem neuen Bikini-Haus?
    Bernau: Es ist natürlich eine große Restaurierung und Rehabilitierung des Westens. Wie Sie schon sagten: Der ist nach 1989 ziemlich abgeschmiert, auch ökonomisch. Er hatte auch vorher übrigens schon erhebliche Probleme. Über den Niedergang des Kurfürstendamms wurde schon lange gelästert und geklagt. Und nach 1989 konzentrierte sich plötzlich alles auf Mitte. Das verlagert sich jetzt zurück in den Westen, nämlich schlichtweg auch das ökonomische Kapital, das sucht neue Anlagepunkte, und im Osten ist praktisch alles zugebaut. Deswegen will man da jetzt was machen und da sind natürlich auch die wohlhabenden Leute, die gute Geschäfte wie jetzt im Bikini-Haus zum Beispiel überhaupt goutieren können.
    Rehabilitierung der Fünfzigerjahre-Architektur
    Schmitz: Ist das eine Rehabilitierung der 50er-Jahre-Architektur im Westen?
    Bernau: In Westberlin auf jeden Fall. Die 50er- und 60er-Jahre sind in Berlin – das ist ein bisschen ein großer Unterschied zum Beispiel zu Köln – nicht so gut angesehen gewesen. Das hat sehr lange gedauert, bevor man entdeckt hat, was für tolle Bauwerke da entstanden sind, wie schön die Details sind, wie schön die Farben sind, wie elegant die Materialien sind. Das ist jetzt auch so eine Wiederentdeckung der alten Westberliner Geschichte. Es hat natürlich auch was damit zu tun, dass in den letzten 20 Jahren die Ostberliner Geschichte so im Vordergrund stand, also die Stalin-Allee. Und plötzlich entdeckt man: Hallo, das Hansa-Viertel ist eine ganz tolle Angelegenheit gewesen, oder das Zentrum rund um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, die ja – man darf es auch nicht vergessen – gerade mit großem Aufwand saniert wird und ihren ganzen Glanz der 60er-Jahre wiederkriegt – dieser irrwitzige blaue Innenraum!
    Schmitz: Am anderen Ende des Tiergartens ist ein Oktogon-Komplex am Leipziger Platz, inklusive Shoppingmalls entstanden. Welcher architektonische Geist weht dort im ehemaligen Ostteil der Stadt?
    Bernau: Na ja, das ist auch das Schöne! Da ist wieder so ein Widerspruchsgeist sozusagen, weil im Westen wird die Moderne der 50er- und 60er-Jahre wiederentdeckt und im Osten wird in wager Anlehnung an das, was man als Preußen kaiserzeitlich bezeichnen könnte, gebaut: mit Pilastern und teilweise sogar mit Säulen und Gesimsen und hübsch gerahmten Fensterchen etc. Das ist ebenfalls eine riesige Shoppingmall, die ebenfalls in harter Konkurrenz stehen wird auch mit dem Westzentrum, weil es auch dort um Luxus-Shopping geht.
    Schmitz: Konkurrieren in Ost und West zwei Baukonzepte?
    Bernau: Ganz klar – zwei architektonische Konzepte, die gegeneinander stehen. Der Westen besinnt sich auf seine große Tradition der 50er-, 60er-Jahre, die ja auch eine Tradition war, zu sagen, wir sind der freie Teil der Stadt, wir sind der Teil, der amerikanisch, der französisch, der skandinavisch geprägt ist, im Gegensatz zur stalinistischen Hauptstadt der DDR. Und der Osten pflegt weiterhin diese, in den 1990er-Jahren angelegte Idee, wir wollen deutsche Hauptstadt sein mit dem Bewusstsein, wir waren mal preußische Hauptstadt. Das sind schon zwei Konzepte, die da gegeneinander stehen und die unterschiedlich auch um Kunden werben.
    Schmitz: …, sagt Nikolaus Bernau über neue Berliner Architekturen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.