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Berliner Volksbühne
Zwischen Narzissmus und komischer Aggression

René Pollesch inszeniert sein neues Stück "House for Sale". Im vergleich zu vorangegangenen Arbeiten wirkt es wie eine Sammlung liegen gebliebener Notizen: Verstreutes, Noch-Nicht-Gesagtes, Fußnoten.

Eberhard Spreng | 11.09.2014
    Da steht sie, putzig und emblematisch, naiv Puppenhäuschenhaft und unheimlich zugleich, die Urform des Hauses: Zwei Fenster, eine Tür, ein Giebeldach und ein Schornstein. Allein und mitten auf der großen Bühne, die hinten an einem großen roten Plastikvorhang endet. Den Bühnenboden bedeckt großflächig eine Schicht Herbstlaub. Die Farbe da hinten ist dann doch wohl eher kein politisches Signal, sondern das Abendrot und deutet auf das Ende einer Epoche, einen Zustand des Übergangs.
    In diese Welt stapfen drei feenhafte Damen mit langen duftigen weisen Kleidern und breitkrempigen Cowboyhüten, drei Countrysisters, die sich nicht entscheiden können, ob sie jetzt als holde Unschuld oder toughe Gang auftreten sollen. Ihre Sehnsucht, so viel wird ganz schnell klar, schickt sie mal in die eine, mal in die andere Richtung. Uneins sind sie unter anderem über die Frage, mit welchen Mittel z.B. gegen Nazis in New Jersey vorgegangen werden soll.
    "Wir sollten da hingehen und es denen mal richtig zeigen, so mit Knüppeln und Baseballschlägern."
    "Ich finde, eine beißende Satire ist auf jeden Fall besser als Gewalt."
    "Ich glaube nicht, dass sich Typen, die sich die Springerstiefel schnüren, von einer Satire umhauen lassen. Ein schöner Baseballschläger hingegen. Es ist ja nicht so, dass die Nazis nur deswegen noch da wären, weil es noch nicht genug Konzerte gegen Rechts gegeben hätte."
    Ob es in der Vergangenheit vielleicht an einem einzigen Konzert gegen Rechts gemangelt haben könnte, ist eine der leitmotivischen Fragen an diesem Abend. Was taugen Flower Power und Give Peace a Chance noch in einer Zeit, in der die neuen religiösen Kommunitarismen immer hemmungsloser zu Waffen greifen, um ihr so verstandenes Menschenwohl und Seelenheil durchzusetzen? Lose angelehnt ist Polleschs diesmaliges Theoriegeplauder an ein tschechowsches Vorbild: Drei Schwestern hadern hier mit ihrem Leben und mit dem Haus, das sie eventuell gerne verkaufen würden. Oder auch nicht.
    Mit dabei ist ein ruppiger Kerl, der dem Schwesterngeplauder handfestere, machoartige Sprüche entgegensetzt. Bärbel Bolle spielt den Big Earl mit Reibbrettstimme und fetter Sonnenbrille. Eine besondere Rolle kommt der Souffleuse Tina Pfurr zu, die es sich in dem weißen Häuschen bequem gemacht hat, immer wieder aber auch darinnen Hebel bedient, die lautlose Motoren aktivieren, die das kleine Gebäude in Bewegung versetzen: Es kann Auf und Ab fahren, um die eigene Achse kreiseln und dabei viel Laub aufwirbeln. Mit ihren kräftigen Armen wirkt sie dabei wie ein Busfahrer der städtischen Verkehrsbetriebe. Aus den Lautsprechern ertönt unter anderen der Song "House for Sale", Sophie Rois steuert u.a. ein herrlich hingehauchtes "I'm through with love" bei, und alle drei säuseln am Ende Elvis Costellos "Love Peace and Understanding".
    Lange Batikkleider haben sie sich jetzt im Stile der 70er Jahre übergestreift und ziehen sich nach ergebnislosen Theorieexkursionen in die Regression einer kitschigen Sweet Harmony Wunschwelt zurück. Grund dafür haben sie: Sie stellen fest, dass eine Religion wie der Buddhismus im Westen mittlerweile nur noch dazu dient, die Menschen für die Ausbeutungen in der neoliberalen Welt fit zu machen. Dann wieder lautet ihre These, dass sich die katholische Kirche nie um innere Werte kümmerte, sondern nur ums äußere Repräsentieren und dass ihr Gründervater Paulus einst zum Gründungsmythos der Kreuzigung Christi einen quasi leninistischen Pragmatismus hegte: Ein tolles Ereignis, auf das man eine neue Partei gründen kann. Das ist natürlich alles Pop: Nette Musik und Gedanken des unterhaltensten und kreativ fabulierendsten aller derzeit praktizierenden Philosophen, Slavoj Žižeks eben.
    Aber "House for Sale" wirkt, im Vergleich zu vorangegangen Arbeiten von René Pollesch, ein wenig wie eine Sammlung von auf dem Schreibtisch des Autoren-Regisseurs liegen gebliebenen Notizen: Verstreutes, Noch-Nicht-Gesagtes, Fußnoten. Polleschs drei Schwestern leiden an den falschen Hoffnungen, die alle abendländischen Utopien seit zweitausend Jahren antreiben: Dem in die Zukunft projizierten Heilsversprechen. Tschechows berühmter schöner Traum von der Welt in 200 Jahren ist einer dieser belastenden Spekulationen. Deshalb könnten Polleschs Damen ruhig in dem Haus bleiben, woanders, so ahnen sie am Ende, wird es nicht besser.
    Sophie Rois kann mit ungeheurer Nonchalance zwischen milden Narzissmus und komischer Aggression übergangslos wechseln. Christine Groß spielt ihre robuste Schwester und Mira Partecke einen naiv zarten Menschen, bei der man befürchten muss, schon eine Kollision mit einem Schmetterling könne sie womöglich außer Gefecht setzen. Die Drei tragen einen etwas melancholischen Abend, in dem alles in Bewegung ist, Ideologien, das Herbstlaub und ein House for Sale, in dem sie wohl doch noch lange bleiben, wenn es ihnen nicht einfach irgendwann davonfährt.