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Berner Oberland
Dem "Geist von Spiez" auf der Spur

In einem Hotel in Spiez am Thunersee in der Schweiz soll es gewesen sein, wo sich jener Mannschaftsgeist entwickelte, der die deutschen Spieler bei der Fußball-WM 1954 zu ihrem "Wunder von Bern" beflügelte. So recht erlebbar war er aber wohl nur in der Rückschau - mit verklärtem Blick.

Von Werner Bloch |
    Ein Blick auf das Hotel Belvédère in Spiez am Thunersee in der Schweiz, dem einstigen Quartier der deutschen Nationalelf während der WM 1954.
    Das Hotel Belvédère in Spiez am Thunersee in der Schweiz war Quartier der deutschen Nationalelf während der WM 1954. (picture alliance / dpa / Thomas Burmeister)
    "Deutschland im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Das ist eine Riesenüberraschung, das ist eine Riesensensation. Das ist ein echtes Fußballwunder, ein Wunder, das allerdings auf natürliche Weise zustande kam."
    Das Wunder von Bern - es kam tatsächlich in einer natürlichen Umgebung zustande. Vorbereitet wurde es zwischen Berg und See, zwischen Jungfrau, Mönch und Eiger und dem Berner Oberland. Spiez, ein kleiner Ort am Thuner See, mit einem prächtigen mittelalterlichen Schloss, ein verschlafenes Dorf wie aus einer Bilderbuchschweiz, fast ein Klischee.
    Dass dieser Ort im Dornröschenschlaf helfen würde, deutsche Geschichte zu schreiben, ja sogar Weltgeschichte, sieht ihm wirklich keiner an. Im Sommer rührt sich in Spiez wenig mehr als ein Rasenmäher und ein paar Ruderboote. Doch genau hier soll er entstanden sein, der geheimnisvolle Geist, der die Bundesrepublik der Fünfzigerjahre veränderte: der Geist von Spiez.
    Wie in einem Land, wo Milch und Honig fließen
    "Das ist ja auch wie ein festgemeißelter Begriff: der Geist von Spiez. Wenn man sagt, da sagen viele 1954 und so, der Geist von Spiez. Man hat dann geschrieben: Mit dieser grandiosen Kameradschaft entstand dann der Geist von Spiez."
    Johann Schlüper, Gründer des Deutschen Fußballmuseums. Schlüper ist in die Schweiz gereist, an den Ausgangspunkt des ersten deutschen Fußballmärchens, den Geburtsort des Wunders. Um diesem Mysterium nachzugehen, laufe ich mit Johann Schlüper den berühmten Uferweg ab, auf dem Sepp Herberger mit seinen Spielern wandelte und jedem einzelnen seine taktische Konzeption erklärte und ihn motivierte.
    "In Bezug jetzt dieses Weges auf das Wunder von Bern ist da vielleichte Folgendes zu sagen: Also, Deutschland lag in Trümmern, und da war das natürlich eine ganz besondere Auszeichnung für die Spieler, die mitdurften hierhin. Und die müssen sich ja wohl vorgekommen sein wie in einem Land, wo Milch und Honig fließen. Man sieht das ja selber, wenn Sie sich hier umschauen, diese herrlichen Berge, da waren natürlich kaum Häuser."
    Der Uferweg führt zunächst am alten Saathaus aus vorbei, einem mittelalterlichen Schuppen auf Stelzen. Links das schmale, elegante Schloss, darunter am Hang Weinberge. Spiez hat eine der höchstgelegenen Reblagen nördlich der Alpen.
    Der Weg schlängelt sich durch Wiesen und am Freibad vorbei und kauert sich dann unter hohe Buchen, deren Äste auf den See hinausragen.
    "Und dann gibt es ja immer diese Sache mit diesen Einzelgesprächen. Und dann hat der sich den einen oder anderen genommen und ist mit dem ein bisschen am Wasser vorbei gelaufen. So ist das hier entstanden hier, dass hier über den Uferweg die tollsten Schlachtpläne entstanden sind für die Spiele, du die hatte der Herr Herberger vor der Weltmeisterschaft schon genau ausgearbeitet, und da wird das hier nicht mehr so gravierend gewesen sein."
    Möglichkeiten zur Flucht vor Sepp Herberger
    Immerhin haben sich die Spiezer am Uferweg auch künstlerisch daran versucht, den Geist von Spiez einzufangen. Holzskulpturen überraschen den Wanderer, recht grobe, bäuerlich-einfache Skulpturen von Helmut Rahn, Sepp Herberger und Fritz Walter, die eher an die furchterregenden Gestalten der Basler Fasnacht erinnern.
    Rund 30 Minuten sind es von hier bis Faulensee, dem Anlegeort der großen Fähren auf dem Thunersee. „Kraftort am Wasser“ nennt sich Spiez jetzt. Und in den Werbebroschüren heißt es: „Die schönste Bucht Europas.“ Nun ja. Man kann mit dem Boot über den See fahren, hat Blick auf den Niesen, den Hausberg von Spiez, der wunderbar von Paul Klee gemalt wurde, der hier aufwuchs.
    "Im Westen ist die deutsche Mannschaft auf dem Weg ins Endspiel. Zunächst einmal im Ruhequartier in Spiez. Alles bester Laune, Turek und Ottmar Walter werden fotografiert. Eine Skatrunde, Mai, Erhard und Eckel.
    Und nun eine kleine Kahnpartie. Zeichen der Kameradschaft: alle Mann in einem Boot."
    Im Sommer scheint Spiez wie ein südlicher, sonnenverwöhnter Ort. Palmen wachsen am Thuner See, die Luft ist so klar wie in Italien, alles atmet eine südliche Heiterkeit. Der See erinnert an das Mittelmeer.
    Dieser See gibt den Spielern auch die Möglichkeit der Flucht, wenn Herberger allzu streng wird.
    "Die Spieler durften nix. Man muss ja davon ausgehen, dass die Spieler ganz junge Burschen waren, 22, 23, 24 Jahre alt, die meisten wenigstens. Und die hatten auch schon mal andere Sachen im Sinn. Da ist man natürlich schon mit dem Boot rausgefahren, hat schon mal 'ne Zigarette geraucht, also so weit ins Innere des Sees, dass niemand gucken konnte. Und auf der anderen Seite vom See waren einige Spielerfrauen untergebracht, und man erzählt sich, dass das Schiff auch das eine oder andere mal bis zur anderen Seite gerudert ist."
    Mannschaftsbesprechungen im Salon rouge
    Zentrum des deutschen Fußballidylls ist das Hotel Belvedere. Der patriarchalische Nachbau eines Schlösschens, mit Erkern und Terrassen, ein ehemaliges Luxushotel, das merkwürdigerweise der Schweizer Fleischerinnung gehörte. Horst Eckel, einer der beiden überlebenden Spieler der Mannschaft von 1954, genannt "Der Windhund", erinnert sich:
    "Herberger hat immer die Hotels selbst ausgesucht. Das war eine Spezialität von ihm. Und er hat immer seine Spieler so zusammengelegt, dass sie zusammengepasst haben. Das war nicht nur so auf dem Fußballplatz so, sondern auch wenn man zu Bett ging, dass die richtigen Leute beisammen waren."
    Im Salon rouge, in dem damals die Mannschaftsbesprechungen stattfanden, ist jetzt eine Ausstellung zu sehen, unter dem Titel „Das Wunder von Bern“. Mauerstücke aus dem abgerissenen Wankdorfstadion werden präsentiert, als handele es sich um die Berliner Mauer.Fotos bezeugen, wo Sepp Herberger am liebsten stand, nämlich auf Glasveranda, wo heute Abend ein Festessen gegeben werden. Genau nach dem Originalrezept von 1954.
    "Das Menu haben wir ein bisschen abgeändert, original gab es eine doppelte Rinderkraftbrühe mit einem Blätterteiggebäck, in der Vorspeise gab es gebratene Forelle mit brauner Butter und Kartoffeln, das haben wir ein bisschen abgeändert, weil wir haben ein bisschen viel Butter, im Gebäck und im Fischgang.
    Zum Dessert gab es eine Vacherin glace, also eine Eistorte und das alles mit Sahne ausgekleidet."
    Solche Essen kann auch der Tourist heute im Hotel Belvedere genießen. Der Geist von Spiez wirkt weiter. Nicht nur in dem Film "Das Wunder von Bern", dem millionenschweren Kassenschlager, der allerdings gar nicht in Spiez, sondern in Gunten gedreht wurde, auf der anderen Seite des Sees.
    Der "Geist von Spiez" - er war aber so recht erst in der Rückschau erlebbar, er wurde im Nachhinein definiert mit verklärendem Blick. Zu jenem geheimnisvollen Fluidum, das aus den Deutschen Weltmeister machte, wurde er erst, als die Mannschaft nach Deutschland kam.
    "Direkt nach dem Spiel haben wir ja noch gar nicht gewusst, was da geschah. Das haben wir erst bemerkt, als wir deutschen Boden betreten haben. Das war ganz verrückt, die Leute haben Blumen und Geschenke reingebracht in den Zug, an allen Bahnhöfen. Und wir dachten: Was ist denn da los? Bis wir in Berlin waren und dann haben wir auch gewusst, dass wir Weltmeister sind."