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Besser, weil die Besseren hingehen

Seit dem "PISA"-Debakel vor zehn Jahren ist die deutsche Bildungslandschaft in Aufruhr. Wenn es jemanden gibt, der davon profitiert, dann sind es die Privatschulen. Doch sind sie wirklich besser als staatliche Schulen? Oder verschärfen die Privatschulen die soziale Spaltung des Landes?

Von Sandra Pfister |
    Die Deutschen und ihre Privatschulen - das ist eine Hassliebe. Die Deutschen lieben ihre Privatschule, weil sie ihnen die Möglichkeit gib, endlich die althergebrachten, aber bis heute nicht in die Fläche getragenen Ideen der Reformpädagogik zu verwirklichen. Aber zugleich verneinen die Deutschen die Privatschule. Und das voller Leidenschaft. Bildung ist keine Ware, heißt es. Privatschulen machen aber genau das aus ihr.
    Dem hält Füller zu Recht entgegen, dass die meisten Privatschulen größtenteils öffentlich finanziert sind und sich nur in freier Trägerschaft befinden – also nicht gewinnorientiert arbeiten dürfen. Gerade einmal 50 Schulen in Deutschland wollen aus Bildung tatsächlich ein Geschäft machen – unter anderem die bekannte Phorms AG, die an sieben Standorten in ganz Deutschland Grundschulen und Gymnasien betreibt.

    Die meisten deutschen Privatschulen sind arm. Wenn der Staat zweimal nicht überweist, machen sie Pleite.

    Bei den freien Alternativschulen führt dies häufig tatsächlich zu einer sozialen Exklusivität:

    Ohne Elterngelder geht es nicht. Die Art, wie die Schulen damit umgehen, ist aber unterschiedlich. Das hat tatsächlich zur Folge, dass manche Kinder leider draußen bleiben müssen.
    Die Schulgelder an den 1200 konfessionellen Schulen liegen zwischen im Schnitt 60 Euro an katholischen und durchschnittlichen 120 Euro an evangelischen Schulen. Weil der Staat nach einer Bewährungsphase nur 70 bis 90 Prozent der Kosten erstattet, die er für Schüler seiner eigenen Schulen veranschlagt, sind viele Schulen in ihrer Existenz gefährdet. Füller formuliert pointiert:

    Die Privatschule ist keine Bedrohung des Schulsystems, sondern selbst eine bedrohte Spezies.
    Füller bedauert dies, weil er den Privatschulen zutraut, Ideenschmieden für die gesamte Schullandschaft zu werden. Dass Privatschulen vielfach unterfinanziert sind, das allein entkräftet allerdings noch nicht den Vorwurf, die Schulen zögen nur die gesellschaftliche Elite an. So gilt beispielsweise für die Waldorfschulen:

    In der sozialen Zusammensetzung sind die Waldorf-Schulen ziemlich exklusiv. Mehr als 40 Prozent der Väter von Waldorfschülern sind Akademiker. Die Waldorfschulen sind also insgesamt eine Veranstaltung des Bildungsbürgertums für sich selbst.
    Das trifft mehr oder weniger auf alle Schulen in privater Trägerschaft zu. Privatschulen, so konstatiert auch Füller, seien inzwischen ein wichtiges Instrument zur Abgrenzung zwischen den sozialen Milieus in der Mittelschicht. In viel stärkerem Maße finde soziale Absonderung aber dadurch statt, dass bildungsbeflissene Eltern ihre Kinder verstärkt auf Gymnasien schickten – ob privat oder staatlich, das sei für die abnehmende Bildungsgerechtigkeit sekundär. Die Privatschule, so Füllers Résumé, nehme in Deutschland auch deswegen so eine untergeordnete Rolle ein, weil das Gymnasium gewissermaßen die staatlich organisierte Privatschule für das Bürgertum ist.
    Zwischen Elite-Schnöseln und Trümmerkindern – welche Leistungen können Privatschulen tatsächlich erbringen? In den PISA-Studien haben deutsche Privatschulen im Schnitt besser abgeschnitten, allerdings, wie auch Füller feststellt, weniger, weil sie qualitativ besser sind, sondern, weil sie im Schnitt die ehrgeizigeren, bildungsbeflisseneren Kinder rekrutieren können. Füller hat sich in allen existierenden Formen von Privatschulen umgetan: den konfessionellen Schulen, den reformpädagogisch orientierten, den Waldorf-Schulen, denjenigen, die er als "Graswurzeldemokratenschulen" beschreibt, und nicht zuletzt den Schulkonzernen, die Bildung als lukratives Geschäft für sich entdeckt haben. Um ihnen gerecht zu werden, hat er nicht die mittelmäßigen Einrichtungen besucht, sondern die renommiertesten unter ihnen ausgewählt. Bei ihrer Bewertung legt er eine Messlatte an, die die meisten staatlichen Schulen immer noch reißen und die auch durchaus nicht unumstritten ist:

    Der Maßstab unserer Untersuchung lautet: Hat die Privatschule ein Konzept individuellen Lernens? Wendet sie moderne Methoden der Schulentwicklung an? Achtet sie auf ein möglichst breites Spektrum an Schülern?
    Das Ergebnis: Viele Privatschulen sind – das ist nicht neu - innovativer als staatliche Schulen und könnten Reformmotor für staatliche Schulen sein. Der Masse der Schulen in konfessioneller Trägerschaft attestiert Füller allerdings, didaktisch nicht mehr auf dem neuesten Stand zu sein – ebenso wenig wie viele Waldorfschulen.

    Ein gemischtes Bild ergibt sich bei jenen Schulen, die explizit einen reform- oder alternativpädagogischen Ansatz verfolgen. Am besten schneiden die freien Alternativschulen ab. Sie unterscheiden nicht mehr nach Schularten. Sie verteilen keine Noten mehr, sondern bei ihnen sind jene Lernberichte selbstverständlich, die in der staatlichen Schule nur mühsam Einzug halten.
    Füller dekliniert die Schulformen der Reihe nach durch, um ihre Eigenheiten zu beschreiben. Dabei wechseln sich Reportage-Elemente und beschreibende Passagen mit meinungsfreudigen Einschätzungen ab. Aus seinen Empfehlungen lässt sich eine klare Präferenz für reformpädagogische Modelle herauslesen. Vieles davon spitzt er am Ende seines Buches noch mal in einer Checkliste zu, die bei der Auswahl einer geeigneten Privatschule helfen soll. Unglücklicherweise hat Füller für seine Porträts auch die Odenwaldschule als Vorzeigeschule der Reformpädagogen sowie das Kolleg St. Blasien als Privatschule der Jesuiten ausgewählt, das "Flaggschiff unter den katholischen Internatsschulen". Gerade die Ausführungen zu deren Lehr- und Lebenskonzept werden aber von der tagesaktuellen Debatte über den Missbrauch an diesen Schulen überformt und sind nicht mehr up to date. Dafür kann Füller nichts, aber es schmälert die Aussagekraft dieser Kapitel. Im übrigen ist sein Buch ein sehr eingängig zu lesender Gesamtüberblick über die Situation der Privatschulen in Deutschland. Es charakterisiert die einzelnen Schulformen und ihre Vor- und Nachteile für all jene, die konkreten Beratungsbedarf haben. Füller beantwortet aber auch die wichtigsten Strukturfragen und kommt zu dem plausibel begründeten Ergebnis, dass Privatschulen keineswegs dafür sorgen, dass es in unserem Land ungerechter zugeht. Im Gegenteil, Füller begrüßt Privatschulen als Reformmotor – und nach der Lektüre seines Buches ist man geneigt, ihm zuzustimmen.

    Christian Füller: "Ausweg Privatschulen? Was sie besser können, woran sie scheitern". Edition Körber-Stiftung, 250 Seiten für 16 Euro, ISBN: 978-3-89684-077-6.