Archiv

Bildung
"Schulrankings bringen pädagogisch nichts"

Die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat sich gegenüber Schulrankings offen gezeigt. Peter Silbernagel vom Philologen-Verband sieht sie hingegen kritisch. Die Schulpolitik dürfe die Verantwortung nicht auf die einzelnen Schulen abwälzen, sagte der NRW-Chef der Gymnasiallehrer-Vertretung im Dlf.

Peter Silbernagel im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Eine Lehrerin steht mit einer Schülerin und einem Schüler an einer Tafel und schreibt eine 1.
    Wer ist die Nummer 1? Von solchen Rankings hält Peter Silbernagel nichts. (dpa-Zentralbild/Jens Kalaene)
    Sandra Pfister: Die neue Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer, kann sich für Nordrhein-Westfalen Schulrankings vorstellen. Sie hat einer Zeitung gesagt, sie sei für Schulranglisten offen. Alles andere als offen dafür ist Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologen-Verbandes Nordrhein-Westfalen, also der Vertretung der Gymnasiallehrer. Guten Tag, Herr Silbernagel!
    Peter Silbernagel: Guten Tag, Frau Pfister!
    Pfister: Herr Silbernagel, was haben Sie gegen ein Ranking?
    Silbernagel: Also wir glauben, dass Schulrankings vom Pädagogischen her nichts bringen und dass sie die Schulen nur in eine Konkurrenzsituation hineindrängen und man quasi hier mit Schulen so umgeht, als ob es Wirtschaftsunternehmen sind. Aber das kann nicht zutreffen, und insofern sagen wir, Schulrankings, das sind falsche Signale, und das bringt uns nicht weiter.
    "Befürchtung, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden"
    Pfister: Aber aus der Perspektive der Eltern betrachtet, die nach diesen Schulrankings schon oft geschrien haben, die Eltern orientieren sich so an der Mundpropaganda - also was sagen andere Eltern, was sagen andere Schüler über eine bestimmte Schule. Das aber ist ja in jedem Falle alles andere als objektiv. Auf jeden Fall weniger als eine Auflistung zum Beispiel der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten oder von Abi-Durchschnittsnoten.
    Silbernagel: Nun sind aber auch solche Vergleiche von Schulformen oder von Einzelschule zu Einzelschule unterschiedlich, je nachdem wie die Schülerschaft sich zusammensetzt. Und für die Eltern ist es einfach wichtig, dass es in einer Schule ja eine Verantwortung der Lehrkräfte für die Schüler da ist und gleichermaßen in der Schule ein Gemeinschaftsgeist herrscht, der eben zu gutem Arbeiten anhält, aber es ist weniger für die Eltern wichtig, auf welchem Rangplatz die Schule steht. Es ist noch weniger wichtig, ob die Schule sagen kann, wir haben keinen Unterrichtsausfall, dabei aber vielleicht verschweigt, dass die Klassen besonders groß gemacht werden. Hier habe ich die Befürchtung, dass die Schulpolitik die Verantwortung auf die Einzelschulen abwälzt und gegebenenfalls auch die Eltern sich relativ schnell täuschen lassen.
    Pfister: Die Eltern lassen sich schnell täuschen, sagen Sie, aber da komme ich wieder auf den Punkt zurück: Im Moment stimmen Sie einfach mit den Füßen ab. Können da nicht Schulen, die vielleicht einen schlechten Ruf haben und den nicht mehr loswerden, obwohl sie seit Jahren eigentlich besser arbeiten als es ihr Ruf nach außen hin durchdringen lässt, können die nicht die großen Verlierer sein?
    Silbernagel: Also bei Schulrankings habe ich immer die Befürchtung, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden. Dass also einfach die Eltern auch nicht die komplexen Situationen, die sich in den Schulen darstellen, durch die Zusammensetzung des Kollegiums, durch die Möglichkeit, dass der eine oder andere in nächster Zeit pensioniert wird, damit fachspezifische Engpässe auftreten, wie sich die Schülerschaft unterschiedlich zusammensetzen kann, dass die Eltern dies gar nicht alles erfassen können. Die Eltern sollten sich zwar ein Bild von den Schulen machen, sie sollten Schulen besuchen am Tag der offenen Tür, sie sollten Mund-zu-Mund-Propaganda aufnehmen, aber sie sollten sich nicht verleiten lassen durch die Quoten von Abiturienten oder gar durch bestimmte Ergebnisse bei Vergleichsarbeiten die Qualität einer Schule danach zu beurteilen. Schulen sind keine Wirtschaftsunternehmen, sie operieren auch nicht nach Vermarktungsstrategien. Es geht hier um Leistungen, es geht um die Bereitschaft, die Verlockung, Leistung zu erbringen, aber das alles hat nichts mit Schulrankings zu tun.
    "Nicht die Verantwortung auf die Eltern abschieben"
    Pfister: Nur mal als Gegenbeispiel: In Großbritannien beispielsweise, da werden die Ergebnisse der Schulinspektionen öffentlich gemacht. Die Schulen erhalten dann Noten, an denen die Eltern sich sehr, sehr stark orientieren. Wäre es für Sie denkbar, beispielsweise die Bewertung von Schulinspektionen zu veröffentlichen, das mal als Anfang?
    Silbernagel: Wir haben große Bedenken, dass das, was in Nordrhein-Westfalen unter Qualitätsanalyse – das ist also vergleichbar mit Schulinspektionen – läuft, dass dies mit anderen Ländern vergleichbar ist, denn das Fachwissenschaftliche wird dabei nicht einbezogen. Es geht, darum zu sagen, wie gehen denn Schulen beispielsweise mit Heterogenität um. Das sind die Kriterien, an denen dann Qualitätsanalyse unter anderem auch zu Ergebnissen kommt. Da sagen wir, da muss, wenn man überhaupt Qualitätsanalyse sinnvoll gestalten will, auch das Fachwissenschaftliche, das, was also als Bildungsziel von einzelnen Schulformen verfolgt wird, miteinbezogen werden, mitberücksichtigt werden. Wenn das in anderen Ländern der Fall ist, dann ist das gegebenenfalls zu diskutieren, aber in Nordrhein-Westfalen sind wir weit davon entfernt, sodass die Sinnhaftigkeit von Qualitätsanalysen grundsätzlich auf dem Prüfstand steht.
    Pfister: Jetzt noch einmal umgekehrt betrachtet: Wenn ein Ranking dazu benutzt werden könnte, dass man sagt, das hier sind Schulen, die haben offenkundig Probleme, und das Ministerium daraufhin bereit wäre, mehr Geld, mehr Lehrer, mehr Förderpersonal in diese Schulen zu pumpen, könnten Sie sich dafür begeistern?
    Silbernagel: Gut, das ist natürlich etwas, was das Schulministerium eigentlich immer erheben sollte, nämlich eine Transparenz zu schaffen für sich intern über die Situation der Schulen. Und dann ist es aber nicht angeraten, den Eltern diese Daten mitzuteilen, sondern gegenzusteuern, beispielsweise wenn man weiß, es fehlen tausend Stellen in Nordrhein-Westfalen für die etwas über 600 Gymnasien, per se jetzt schon. Es fehlen Stellen, weil bei Inklusion viele Schulen nur Einzelstunden Inklusion praktizieren, dann muss das Schulministerium nachsteuern. Dann ist es nicht vernünftig, dieses den Eltern mitzuteilen und die Eltern in die Situation zu bringen, zu sagen, Moment, an der Schule gibt es eine Förderschullehrkraft, an der anderen nicht. Die Schulpolitik muss für gleiche Lebensverhältnisse sorgen und darf nicht die Verantwortung auf die Eltern abschieben.
    Pfister: Das sagt Peter Silbernagel, der Vorsitzende des Philologen-Verbandes in Nordrhein-Westfalen, und er antwortet damit auf einen Vorschlag von Yvonne Gebauer, der neuen Schulministerin von Nordrhein-Westfalen. Die hat gesagt, sie könne sich Schulrankings vorstellen. Vielen Dank!
    Silbernagel: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.