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Bildungsreise in den Weinbergen

Römische Legionäre mussten zwei Liter Wein am Tag trinken. Das war Pflicht. Warum das so war, warum Weinberge in Churfranken am Main terrassenförmig angelegt sind und was eine Häckerwirtschaft ist - das erfährt man auf dem Rotweinwanderweg.

Von Marion Trutter | 22.09.2013
    "Wir starten hier, ich hole jetzt mal was zu trinken. Wir laufen ungefähr bis zu der Hütte ne gute halbe Stunde. Da sehn Sie schon das Schild: "Rotweinwanderweg". Das ist ein Rotweinglas, was leicht gekippt ist, wo sich die Sonne drin spiegelt. Überall, wo Sie den Rotweinwanderweg laufen, begleitet Sie dieses Schild."

    Also folgen wir dem Weinglas – und dem Winzer Hans Färber. Der Mann in Bermudashorts und Karohemd hat in Großwallstadt einen kleinen Weinberg, und er ist Gästeführer auf dem Fränkischen Rotwein Wanderweg. Sechs Tage sind wir unterwegs – 70 Kilometer am Main entlang von Großwallstadt bei Aschaffenburg bis hinauf nach Bürgstadt.

    Die erste Frage ist natürlich: Wieso Rotwein Wanderweg? Warum ist dieser westlichste Zipfel Frankens so prädestiniert für Rotweinreben? Wirklich begreifen können wir das an der sogenannten Bodenstation Bürgstadt. Mitten in den Weinbergen steht da am Wegrand eine Infotafel unter einem schlichten Holzdach. Ein paar Stufen führen hinunter in eine Art Erdloch. Und da drinnen, so der Winzer Burkhard Hench, steckt das ganze Geheimnis des hiesigen Weines:

    "Da sieht man verschiedene Bodenformationen, was als Terroir, als Untergrund unseren Rebstöcken zur Verfügung steht. Man sieht das farblich abgegrenzt. Also wir haben oben den roten Buntsand, dann haben wir eine Lehmschicht dazwischen und sehr felsige Klüfte im Untergrund. Und das ist für uns in Bürgstadt ein ganz großer Vorteil gegenüber anderen Weinbaugebieten, dass wir hier sehr viel Rotwein anpflanzen können, denn Pinot Noir, also der Spätburgunder, Frühburgunder, Schwarzriesling, das sind einfach die Rebsorten, die gern den trockenen warmen Standort bevorzugen, und das finden Sie hier am Untermain, das heißt also in Churfranken, finden Sie das häufiger vor und das ist auch der Grund, warum hier die Rotweinstöcke dominieren."

    Davon können wir uns persönlich überzeugen: Über alte Wirtschafts- und Waldwege stiefeln wir gemütlich durch Weinberge und Wälder und erfahren ganz viel Wissenswertes über den Weinbau in Churfranken und wir werfen aus den Weinbergen einen Blick in die Geschichte. Angefangen hat das alles nämlich schon vor 2000 Jahren:
    "Wenn Sie jetzt mal den Blick über den Main hinüberwerfen, die Hänge, die Sie gegenüber sehen, das ist der Odenwald. Auf den Hängen des Odenwaldes läuft heute noch zum Teil sichtbar der Limes, das Vermächtnis, das uns die Römer hinterlassen haben, und die Römer waren das vermutlich auch, die hier bei uns in der Region den Weinbau angesiedelt haben. Die haben die Reben aus Italien und Griechenland hier bei uns eingeführt und es wurden hier die ersten Weine erzeugt zur Versorgung der Legionäre, die – so hört man – damals bis zu zwei Liter Wein täglich trinken mussten. Wein war damals eines der wenigen Getränke, die keimfrei waren, sauber waren. Und diese Menge Wein musste auch erzeugt werden, und das wurde hier an den Hängen vom Maintal scheinbar hervorragend praktiziert, sodass wir auch heute noch davon profitieren."

    Reinhold Hillerich ist Winzer in Erlenbach. Noch heute erlebt er jeden Tag, wie schwer es ist, den steilen Hängen am Main Land – und der Erde Wein - abzutrotzen. Ohne menschliches Zutun würde ein Regenguss den Boden samt Rebstöcken ganz einfach in den Main schwemmen.

    Also hat man fleißig terrassiert: Schon vor Jahrhunderten haben die Winzer tonnenweise roten Sandstein zu Mauern aufgetürmt, alles von Hand und ohne Mörtel. Zwischen den Mauern liegen nun kleine ebene Flächen für die Rebstöcke. Die Mauern speichern Wärme, die sie dann nachts wieder abgeben – perfekt für die Wärme liebenden Rotweintrauben. An manchen Hängen liegen sage und schreibe 100 solche Mauern übereinander – das sind allein in den Weinbergen von Klingenberg etwa 250 Kilometer Trockenmauern.

    Für uns Wanderer ist das ideal: Zum einen ist es ein wunderschönes Bild: Wie schmale rote Bänder ziehen sich die Sandsteinmauern durchs sanfte Grün der Reben. Außerdem sind die Wege auf den Mauern ausgesprochen bequem: Meistens führen sie auf halber Höhe am Main entlang, mit viel Weitblick – und wenig Anstrengung.

    Zum Einkehren und Übernachten geht's jeden Abend runter in eines der schönen Weindörfer am Fluss – nach Großwallstadt oder Elsenfeld, nach Erlenbach oder Klingenberg und oben dann nach Bürgstadt oder in die architektonische Perle Miltenberg. Vom Main wieder hinauf auf den Rotwein Wanderweg sind es am nächsten Tag dann nur ein paar Höhenmeter.

    "Jetzt stehen wir in den Terrassenweinbergen von Klingenberg vor dieser gigantischen Sandsteinkulisse, die quer terrassiert von Reben durchzogen wird. Wir sind jetzt hier in einem Weinberg, wo die Rebsorte Spätburgunder gepflanzt ist und hier sieht man auch mal schön, wie jetzt so das Wuchsverhalten einer Rebe ist: kleine Bündel mit wenig Beeren dran, sehr kompakte Beerenstruktur. Das ist so eine typische hochwertige Spätburgunderrebe, und das gibt hier in Klingenberg einen der besten Weine, die wir hier erzeugen am Untermain."

    Der elegante Spätburgunder ist zweifellos der Star in Churfranken. Der Wein für die besonderen Momente. Aber das ist längst nicht alles. Im Alltag süffeln die Churfranken gern einen einfachen, aber kräftigen Portugieser. Außerdem gibt es wunderbare Frühburgunderweine oder Spezialitäten wie die roten Rebsorten Regent und Domina. Und natürlich auch noch jede Menge weiße Sorten, die hier auch bestens gedeihen.

    Aus der Riesenfülle an Traubensorten keltert jeder Winzer seine persönlichen Weine. Und jeder hat dazu seine Geschichten zu erzählen. Um das alles zu erfahren, steuern wir abends am liebsten die nächste Häckerwirtschaft an.

    "Häckerwirtschaft ist vergleichbar mit der Besenwirtschaft oder Straußwirtschaft, wie sie in anderen Weinbauregionen genannt wird. Ich denke der Begriff Häckerwirtschaft kommt von Häcker oder Hacken, weil das früher die einzige Möglichkeit der Bodenbearbeitung hier in den steilen Weinbergen war. Die Winzer waren nur mit ihren Hacken unterwegs, um den Boden vom Bewuchs freizuhalten. Und drum wird das hier Häckerwirtschaften genannt. Der Winzer räumt seine Wohnstube aus oder hat einen separaten Raum, in dem er seine Häckerwirtschaft betreibt. Wir haben übers Jahr so rund 250 Häckerwirtschaften hier im Umkreis von 20 Kilometern."

    Jedes Jahr Anfang August räumt auch Reinhold Hillerich einen Raum in seinem Weingut zur Häckerwirtschaft um. Eine Woche lang sitzen dann in gemütlicher Runde Weinwanderer, Einheimische und Ausflügler zusammen. Auf den Tisch kommen natürlich die hauseigenen Weine – und dazu ein deftiges Vesper:

    "Ich könnte Ihnen mal einen schönen fruchtigen Bacchus anbieten. Dazu was Leichtes aufm Teller: einen schönen angemachten Ziegenkäse hier aus dem Odenwald. Wenn's Abend ist und Sie haben vielleicht ein bisschen mehr Hunger vielleicht ein paar kräftige Wildschweinbratwürste, dazu natürlich einen kräftigen Rotwein."

    Kenner setzen sich übrigens in der Häckerwirtschaft niemals alleine an einen Tisch. Egal, wie viele noch frei sind. Man setzt sich zu den anderen Gästen, kommt ins Gespräch – und philosophiert über das Leben.

    "Trinkt solang der Becher winkt, trinket alle Tage. Ob er auch im Jenseits winkt, ist ne andere Frage. Zum Wohl."
    Rotwein
    Der elegante Spätburgunder ist der Star in Churfranken. (AP)