Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Bio-Currywurst als Fortschritt verkaufen

Die Kunst der Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollte auf dem Kongress im Theater Freiburg in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung thematisiert werden. "Wir befinden uns hier mitten im grünen Spießertum ", bewertet Deutschland-Reporter Christian Gampert diesen Versuch als misslungen. Nur "ganz bestimmte politische Positionen" seien befördert worden.

Christian Gampert im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 29.01.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Veränderung ist das Zauberwort, der Schlüsselbegriff unserer Zeit. Veränderung ist immer prima, wer dagegen ist, ist doof, nämlich konservativ. Meist wird für Veränderung demonstriert, bloß wenn es um einen neuen Bahnhof geht, dann möchte man Veränderung verhindern.

    Nun fand im Theater der Grünen- und Studentenstadt Freiburg im Breisgau gerade ein Kongress über Veränderung statt, den Christian Gampert für uns verfolgt hat. Bei der ja ziemlich wechselhaften Forderung nach Veränderung, Herr Gampert, geht es da eigentlich nicht um etwas anderes, nämlich ist der Wille zur Veränderung nicht eigentlich der Wille zur Macht?

    Christian Gampert: Ja. "Wille zur Macht" ist eigentlich ein gutes Stichwort. Das kann man aber natürlich im grün-alternativen Freiburg nicht ganz so laut sagen. Man möchte doch lieber die sanfte Veränderung, aber die dann weltweit. Und wenn der Kongress heißt, "Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft", die man vorantreiben will, dann muss ich als Außenstehender schon die Frage stellen, ist denn ein Theater überhaupt in der Lage, eine Art wissenschaftlichen Kongress zu diesen Themen zu organisieren.

    Nach der Erfahrung dieses Symposions würde ich eher sagen nein.

    Die finanzierende Böll-Stiftung ist da doch sehr tätig gewesen und man hatte im Laufe dieser Tage doch den Eindruck, einem grünen Treffen beizuwohnen. Man war doch ziemlich unter sich, das grün-alternative Milieu, das vor allem in Freiburg ja aus älteren Menschen besteht, stellte doch den großen Teil des Publikums.

    Und interessanterweise lässt man sich da auch ungern belehren. Zum Beispiel von dem Philosophen Gernot Böhme, ein Vertreter der "Graswurzel-Revolution", musste man sich eben sagen lassen, dass die globale Teilhabe an Veränderungen doch nicht so richtig auf dem Programm steht – im Gegenteil: Der Kapitalismus ist stärker denn je. Das wollte man nicht so recht wahr haben, da gab es dann auch Widerspruch.

    Müller-Ullrich: Wie kommt denn so ein Kongress überhaupt ins Theater zunächst mal? Ist da nur der Saal gebraucht worden?

    Gampert: Nein. Ich glaube, dass die Intendantin Barbara Mundel ganz klar auf Stadtteilarbeit und solche Sachen setzt, statt sich um gutes Theater zu kümmern. Die haben auch einen Abend im Programm, der die Geschichte der Grünen thematisiert als Erfolgsgeschichte - und zwar ohne Fragezeichen. Also, wir befinden uns hier mitten im grünen Spießertum. Und ein solcher Kongress hat, glaube ich, schon zum Ziel, ganz bestimmte politische Positionen zu befördern - man bleibt unter sich, man redet überhaupt nicht über die Euro-Krise, über die europäische Einigung, über den Arabischen Frühling vielleicht am Rande mal. Und wenn dann einer sagt, Leute, da liegen Tote auf der Straße, lohnt das dafür, dass die Islamisten dann an die Macht kommen, dann herrscht betretenes Schweigen.

    Nein, man möchte unter sich bleiben und sagen, ja, wir haben doch hier in Deutschland schon einiges erreicht, die Frauenquote, die Abschaffung der AKW, das Abschalten der AKW. Damit ist man doch relativ zufrieden und alles, was darüber hinausgeht, das wird argwöhnisch betrachtet.

    Gernot Böhme – das sollte ich vielleicht doch ein bisschen ausführen – hat eindeutig gesagt, der Kapitalismus sitzt gut im Sattel – das sagt er als Alt-68er – und die technologische Entwicklung ist letztlich noch schlimmer, weil sie uns dazu bringt, Dinge wegzuwerfen, die funktionieren. Und da hätte man nun weiter diskutieren können, aber nein, man machte Planspiele zur nächsten Bundestagswahl, eine Politologiestudentin veranstaltete das, das war auch ganz nett eigentlich, weil man sehen konnte, wie wenig von politischer Programmatik dann durchsetzbar ist zum Beispiel in Koalitionsverhandlungen.

    Da wird ja alles wieder zerredet und am Ende werden Entscheidungen nur verschoben. Es ist ja ein Wesen unseres demokratischen Systems, dass Entscheidungen nicht getroffen werden, dass sie ad ultimo vertagt werden, wie man ja auch sieht jetzt zum Beispiel bei dem Rettungsschirm. Der wird immer weiter gespannt, immer weiter, und man will es nicht wahr haben, dass eventuell die ganze Chose nicht so ganz stimmen könnte.

    Müller-Ullrich: Dieses grüne Milieu, das Sie gerade beschrieben haben, das zeichnet sich ja zunächst einmal durch eine große Veränderungsfeindlichkeit aus, wenn auch von Veränderung ständig die Rede ist – den Stuttgarter Bahnhof haben wir schon erwähnt, aber überhaupt der technische Fortschritt ist ja etwas zum Stillstand zu bringendes. Und vom Klima wollen wir mal gar nicht reden. Oder doch?

    Gampert: Na ja, weiß ich nicht, ob man das so fassen kann. Da gibt es schon gute Ansätze von unten. Aber sobald es global wurde, da kam gar nichts.

    Im Gegenteil: Diese Podiumsdiskussion, die den Abschluss des gestrigen Tages bildete - "(Wie) geht Veränderung?" auch da das Thema -, da wurde eine halbe Stunde lang über Frauenquote geredet und Claudia Roth, die Grünen-Bundestagsabgeordnete, durfte sich sehr, sehr weit ausbreiten und gab dann am Ende an, bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen, wo sie als Beraterin tätig war für den DFB, habe sie durchgesetzt, dass man Bio-Currywurst essen konnte im Stadion. Ja, meine Güte, wenn das der Fortschritt ist, ich weiß nicht, ob wir dann dabei sein wollen.

    Müller-Ullrich: Christian Gampert, vielen Dank für diesen Bericht aus Freiburg. "(Wie) geht Veränderung?", das war der Titel dieses Kongresses.