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Biologen mit Artenkenntnis sind Mangelware

Also ich gehöre noch zu den Glücklichen, die viel Freilandarbeit machen dürfen. Wir kartieren, sind an der FFH-Management-Planung, machen Vegetationsaufnahmen, kartieren bedrohte Arten, Libellen, Siebenschläfer, Haselmäuse.

Von Henning Hübert | 26.10.2004
    Der Diplombiologe Sven Büchner leitet ein typisches Projekt für Artenkundler: Die sachsenweite Suche nach der seltenen Haselmaus. Die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt hat dafür sein Projektbüro beauftragt, das in Friedersdforf in der Lausitz liegt und den langen Namen Büro für ökologische Studien, Naturschutzstrategien und Landschaftsplanung trägt. Sven Büchner ist nebenbei Hobbyimker, hat 30 Heidschnucken auf der Weide, ist, wenn es geht draußen. Wir treffen uns im Wald oberhalb von Bad Schandau. Klar: Für Sven Büchner besteht der Wald nicht bloß aus Bäumen:

    Naja, also dominierend ist hier die Fichte, über uns ist eine Lärche, Bergahorn, Eiche, Zittergras. Wir sehen einen jungen Fingerhut – der ist typisch für bodensaure Böden hier im Elbsandsteingebirge.

    Genau so eine Formenkenntnis haben die meisten Biologie-Studenten leider nicht mehr, beklagt der Dresdner Botanik-Professor Werner Hempel. 35.000 Dias von verschiedenen Pflanzen hat der Gräserexperte in seinem Arbeitszimmer untergebracht:

    DIRA Hempel: "Ich sehe, dass die Kenntnis der Formenvielfalt aus dem akademischen Leben immer mehr herausgedrängt wird. Die Stundenpläne sind gekürzt hinsichtlich Pflanzenbestimmungsübungen. Viele Exkursionen sind fakultativ, werden nicht unbedingt benotet. Es wird eine gewisse Tradition fortgeführt, aber im Grunde hat sich das Wesen der Biologie völlig geändert."

    Seit einem Jahr ist Hempel emeritiert, der neue Professor, der auf seinen Lehrstuhl an der TU Dresden folgte, ist Molekularbiologe. Reagenzgläser schwenken statt Arten bestimmen – diese Schwerpunktbildung im Fach Biologie hat seit zirka 30 Jahren die Kenntnisse über die Formenvielfalt immer weiter verkümmern lassen. Sven Büchner:

    Das wird nicht mehr ausgebildet. Oder in dem Umfang, wie es benötigt wird, nicht mehr ausgebildet. Leute, die das vor 10 Jahren noch gelernt haben, sind 10 Jahre am Markt nicht mehr gebraucht worden. Demnach sitzen die heute in anderen Berufen oder Berufszweigen - und kommen auch nicht mehr zurück.

    Bedarf nach Allround-Biologen besteht neuerdings wieder vor allem durch die Etablierung des Europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000 der EU. Die darin enthaltene FFH-Richtlinie Flora, Fauna, Habitat will Lebensräume von Pflanzen und Tieren schützen. Und die muss man erstmal kennen. Viel Arbeit für Biologen mit ausgewiesenen Artenkenntnissen. Die Aufträge gehen meist an private Projektbüros, die häufig auch Umweltgutachten erstellen, etwa beim Neubau von Verkehrswegen. Sven Büchner:

    Wir sind in Sachsen in der Situation, dass Biologen kräftig gesucht werden, aufgrund der anstehenden Managementplanungen für die FFH-Gebiete. Und Sachsen ist gerade dabei, für diese Gebiete eine Ersterfassung zu machen: Was ist da an Lebensraumtypen, an gefährdeten Arten? Und dafür braucht es Leute, die Libellen, Fledermäuse kennen, die einschätzen können, wie der Zustand der Population ist. Wir brauchen Botaniker, die von den Moosen bis zu den großen Gefäßpflanzen in der Vegetationsaufnahme alles beherrschen. Ich merke auch an den Bewerbungen in unserem Büro, dass es da oft hapert an den Kenntnissen.

    Biologie studieren bedeutet heute eben sehr viel Laborarbeit, Statistik am Rechner. Durch die breite Auffächerung des Faches ist die profunde Artenkenntnis oft an den Rand der Ausbildung gewandert. Pflanzenformen aus dem ff bestimmen können – das war vor einer Generation noch das Steckenpferd von fast jedem Gymnasiallehrer im Fach Biologie. Heute ist es fast schon ein Orchideenfach – allerdings mit guten Berufsaussichten.