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Blix: Iran spielt das Spiel am Abgrund mit Bedacht

Mit dem Öl-Embargo wollte die EU-Länder Druck auf das iranische Atomprogramm ausüben. Nun will der Iran die Ölexporte sofort stoppen. Noch seien nicht alle diplomatischen Möglichkeiten erschöpft, das Land zum Einlenken zu bewegen, sagt der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Hans Blix. "Die Iraner werden sich davor hüten, irgendetwas zu unternehmen, was eine militärische Reaktion der Gegenseite rechtfertigen könnte", so Blix.

Hans Blix im Gespräch mit Anne Raith | 28.01.2012
    Anne Raith: Für den amerikanischen Verteidigungsminister ist das iranische Atomprogramm eine der größten gegenwärtigen Bedrohungen. Obgleich niemand genau weiß, wie weit der Iran mit einem solchen Programm ist und obgleich der Iran stets betont, Uran ausschließlich für den zivilen Nutzen, nicht aber für Atomwaffen anzureichern. Um die Iraner zum Einlenken zu bewegen, zu erneuten Verhandlungen über das Atomprogramm, haben sowohl die USA als auch die EU Konsequenzen gezogen. Das Ölembargo der Europäer ist eine von ihnen. In Kraft treten soll es im Juli, doch der Iran könnte der EU mit einem sofortigen Lieferstopp zuvorkommen. Über einen solchen soll das Parlament in Teheran morgen beraten. Doch wohin steuert diese Auseinandersetzung. Vor der Sendung hatte ich die Gelegenheit mit Hans Blix zu sprechen. Der Schwede war von 1981 bis 1997 Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, die dieses Wochenende wieder Inspektoren in den Iran sendet. Nach dem Embargo droht der Iran nun die Ölexporte zu stoppen, wie bedrohlich ist die derzeitige Situation. Ist da mehr als Säbelrasseln?


    Hans Blix: Nun, es ist sicherlich eine sehr risikobehaftete Situation. Wir hatten diese Entscheidung durch die Europäischen Union, US-amerikanische Flugzeugträger sind im Golf eingelaufen, britische und französische Kriegsschiffe sind ebenfalls dorthin gefahren. Jeder Funke könnte Feindseligkeiten auslösen. Ich kann es nicht beurteilen, was die Iraner vorhaben, ob sie etwas tun, ob sie etwa die Meerenge verminen. Es gibt Berichte, wonach die nach Griechenland, Italien und einige andere Länder ihre Exporte einstellen wollen. Es ist schwer vorherzusagen, in jedem Fall ist es eine sehr gefährliche Lage.

    Raith: Was könnten denn die Konsequenzen sein? Wer, würden Sie sagen, sitzt am längeren Hebel? Europa oder der Iran?

    Blix: Was die Rechtfertigung der Situation angeht, so ist die Geschichte doch sehr viel tiefer zu sehen als das, was sich jetzt am Golf abspielt. Catherine Ashton hat erklärt, es sei das Ziel des Öleinkaufsembargos, die Iraner zurück an den Tisch zu bringen, um zu sprechen. Aber worüber zu sprechen? Geht es nun darum, zusammenzusitzen, oder geht es darum, den Iran dazu zu bringen, sich gewissen Forderungen des Westens zu beugen? Etwa der Forderung nach einer Einstellung der Urananreicherungsaktivitäten? Iran hat erklärt, dass er keine Atomwaffen anstrebe. Sie weigern sich aber hartnäckig, diese Aktivitäten, zu denen sie nach ihrer Meinung unter dem Nonproliferationsabkommen berechtigt sind, einzustellen. Da stehen wir. Und da frage ich mich doch: Ist es möglich, ein Land durch Einschüchterung davon abzubringen, nukleare Anreicherung zu betreiben? Oder ist es nicht besser, ihnen durch Angebote nahezulegen, sie zu überzeugen, davon abzustehen? Also Zuckerbrot statt Peitsche?

    Raith: Was könnte denn in dieser Situation ein Angebot sein?

    Blix: Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben lange mit Iran recht erfolgreich verhandelt. Sie haben verschiedene Angebote gemacht, Hilfe für den Iran beim Beitritt zur Welthandelsorganisation, sehr wertvoll. Sie haben ferner auch Hilfe bei der Nutzung der Atomenergie angeboten – nicht bei der Anreicherung –, Investitionen wurden angeboten, durchaus konkrete Angebote wurden auf den Tisch gelegt. Reichte das aus, das ist die Frage. Man muss sich fragen, ob man vielleicht nicht durch noch mehr Verheißungen die Iraner von einem Anreicherungsprogramm abbringen kann.

    Raith: Das ist aber anscheinend nicht der Fall?

    Blix: Nein, da haben Sie nicht recht. Das berichten die Medien oft, die diplomatischen Kanäle seien erschöpft. Aber es zeigt eine Unbekanntschaft mit der Situation, gerade im Vergleich zu Nordkorea. Die USA haben Nordkorea im Gegenzug für einen Verzicht auf nukleare Programme diplomatische Beziehungen angeboten, sie haben die Zusage eines Nichtangriffspaktes angeboten. Vergleichen wir das mit Iran: Seit 1979 haben die USA mit dem Land keine Beziehungen mehr, mehrere Flugzeugträger der Amerikaner sind im Golf unterwegs. Wir sind also Welten entfernt von diesem Nichtangriffspakt. Es gibt weiterreichende und hochinteressante Vorschläge. Mit am schwierigsten umzusetzen wäre der Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone. Das würde den Verzicht auf Wiederaufbereitung und Anreicherung beinhalten. Israel müsste auf die Atomwaffen verzichten, der Iran müsste auf seine Anreicherungsprogramme verzichten, Ägypten und Saudi-Arabien müssten ebenfalls auf ihre nuklearen Anreicherungsprogramme verzichten. Ein alter Vorschlag, der unter anderem auch in Helsinki bei einer UNO-Konferenz besprochen werden wird vor Ende des Jahres. Zurzeit ist die Situation zu angespannt, um das umzusetzen, es ist aber in jedem Fall ein weiterführender, wichtiger Vorschlag.

    Raith: Herr Blix, Israel hat aber gerade erst gestern vor einer unumkehrbaren Entwicklung des iranischen Atomprogramms gewarnt. Wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario, das Sie schildern, gerade jetzt in dieser angespannten Situation?

    Blix: Kurzfristig wird so etwas nicht umzusetzen sein, dazu ist die Situation jetzt viel zu angespannt. Jetzt wird es darum gehen, zunächst mal Dampf herauszunehmen. Aber ich habe von Umfragen in Israel gehört, wonach die Mehrheit der Israelis es vorziehen würden, wenn kein Land Atomwaffen hätte, statt zwei Ländern. Also, im Augenblick geht es tatsächlich darum, die Spannungen zu mildern.

    Raith: Wie könnte das jetzt aussehen?

    Blix: Nun, man könnte zum Beispiel eine Standleitung einrichten, um jeden Fehler, jedes Versehen zu vermeiden, durch das ein Funke ausgelöst werden könnte. Darüber hinaus hat es vom US-Außenministerium plötzlich eine Erklärung gegeben, wonach die rote Linie für die USA nicht durch die Fähigkeit zur Herstellung einer Atomwaffe überschritten werde, sondern durch die tatsächliche Herstellung. Was schon ein Unterschied ist. Die USA betrachten also die Fähigkeit zur Herstellung von Waffen nicht als Kriegsgrund zurzeit.

    Raith: Für wie gefährlich halten Sie denn die iranischen Atompläne im Moment? Wie weit ist der Iran bei der Entwicklung von Atomwaffen?

    Blix: Wir wissen es nicht. Manche sagen, sie seien weit entfernt, andere sagen, innerhalb eines Jahres wäre es möglich, andere sagen, sogar noch eher. In jedem Fall bräuchten sie bis zu 90 Prozent angereichertes Uran. Im Augenblick hat Iran größere Mengen an auf vier Prozent angereichertem Uran für die Atomkraftwerke sowie kleinere Mengen von bis zu 20 Prozent angereichertem Uran für medizinische Forschungszwecke in dem Reaktor nahe Teheran. Wo auch immer sie zusammenkommen in Istanbul, in jedem Fall sollten die Iraner zugestehen, dass IAEA-Inspektoren weiterhin im Lande sind, um zu überwachen, dass nicht mehr als 20 Prozent angereichertes Uran zustande kommt, dass keine Mengen entstehen, die nicht mehr überschaubar sind. Iran bräuchte nicht so viel zu ändern. Es würde die einfache Erklärung ausreichen, diese Bedingungen einzuhalten, sodass man sicherstellen kann, dass nicht Mengen an angereichertem Uran zusammenkommen, die es ermöglichen, die Atombombe zu bauen.

    Raith: Warum sollte der Iran einlenken mit Blick auf die Sanktionen? Wer könnte denn in dieser Situation den ersten Schritt machen?

    Blix: Nun, wenn sie sich um einen Tisch zusammensetzen und miteinander sprechen, das wäre doch schon etwas, ja. Oder wenn es auch nicht direkte Gespräche sind, so gibt es doch Zeitungen und Blogs und andere Kommunikationsmöglichkeiten zuhauf. Daran scheitert es nicht. Aber im Augenblick sind beide Parteien sozusagen eingegraben. In den USA stehen Wahlen bevor, die amerikanische Regierung will sicherlich keinen Krieg, aber sie darf nicht auch weich und nachgiebig erscheinen. Im Iran wiederum gibt es ganz unterschiedliche Parteien und das Nuklearprogramm ist sehr beliebt im Volk. Viele befürchten, dass hier vom Iran erwartet werde, er solle sich unterwerfen so wie in den alten Zeiten des Kolonialismus, etwa gegenüber Nasser. Also, als wollte man jetzt die Iraner maßregeln. Also, sehr viel Psychologie steckt in der ganzen Lage.

    Raith: Herr Blix, Sie sind kein Prophet, aber was glauben Sie, wohin wird dieser Konflikt steuern, auch nach dem Wochenende, nach der möglichen Parlamentsentscheidung in Teheran?

    Blix: Ach, ich bin ja normalerweise optimistisch. Ich glaube nicht, dass es zu einem Krieg kommt. Die USA haben ja erklärt, dass sie das Ganze runterfahren wollen mit ihren militärischen Bemühungen, dass sie nicht zwei Kriege gleichzeitig führen wollen, höchstens einen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie nach dem Rückzug aus Irak und Afghanistan jetzt dort einen dritten Krieg anfangen wollten.

    Raith: Und was den Iran betrifft?

    Blix: Ich glaube, die Iraner werden sich davor hüten, irgendetwas zu unternehmen, was eine militärische Reaktion der Gegenseite rechtfertigen könnte. Dieses Spiel am Rande des Abgrunds spielen sie doch mit Bedacht und ich glaube, gerade deswegen ist es auch wichtig, eine Standleitung einzurichten und Mittler bereitzustellen, die mit den Menschen reden können.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.