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Bloß nicht vom Leid erzählen

Somerset Maugham ist fast ein ganz guter Schriftsteller. Er hat alles, was man dazu braucht, einer zu sein: Begabung, Bildung, Fleiß, Moral und Mut zum Unmoralischen, Weltkenntnis und Hingabe an das Wort und das Leben. Er ist wohlinformiert und bescheiden, sieht die Welt aus der Distanz, mit der man sie sehen muss, er weiß von der Natur des literarischen Stoffes und verfügt über das ganze Vokabular, das nötig ist, um seine Vision vom Leben zu gestalten. Nur schmuggelt er im letzten Augenblick immer einen himmelschreienden Kitsch in seine Texte, etwas klug und verdächtig Wirkungsvolles, einen Mord, eine Intrige oder eine Liebesgeschichte.

Von Klaus Modick |
    Manche Schriftsteller reißen sich die Wörter buchstäblich aus dem Leib, andere ziehen den passenden Ausdruck mit einer natürlichen, lockeren Bewegung aus der Tasche ihres Überziehers hervor. So ein Schriftsteller ist Maugham. Er besitzt qualitätvolle Überzieher und ausgezeichnete Wörter. Zu mehr reichte es nicht, leider.

    Fast ein ganz guter Schriftsteller! Diese in scheinbare Wertschätzung raffiniert versteckte, bis zur Boshaftigkeit kritische Charakteristik W. Somerset Maughams stammt von seinem Zeitgenossen Sandor Márai. Zwar pflegte auch und gerade Márai seine Romane mit fein dosierten Prisen Kolportage, mit Morden, Intrigen und Liebesgeschichten, wirkungsvoll zu würzen, weshalb seine Kritik des um seinen Welterfolg beneideten Kollegen zu einer unfreiwilligen Selbstcharakteristik geriet.

    Doch ist Márais giftiges Kurzporträt höchst aufschlussreich, weil es die beiden ästhetischen Vorbehalte auf den Begriff bringt, mit denen Maughams Werk häufig und bis heute als gehobene Unterhaltungsschriftstellerei abqualifiziert wird, nämlich plotverliebte Effekthascherei und ein oberflächlicher Plauderton ohne sprachlichen Tiefgang - kurzum: Weniger Kunst als Kolportage, mehr U als E.

    Wohl avancierte Maugham nach schwierigen Anfängen als Dramatiker seit den zwanziger Jahren zu einem überaus erfolgreichen Romancier, zum internationalen Bestsellerautor, dessen Werke sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen; wohl genoss er den Erfolg und führte selbstbewusst das Leben eines Großschriftstellers und Gentlemans. Aber im Erfolg sah er auch das Bleibende, als er einmal bemerkte, dass nur das wahrhaft Populäre Bestand über den Tod eines Autors hinaus haben werde.

    Man kann nichts Überzeugendes schreiben, ohne selbst überzeugt zu sein. Die Bestseller verkaufen sich, weil sie mit Herzblut geschrieben sind. Die Autoren sind so geartet, dass sie aufrichtig die Wünsche, die Vorurteile, die Gefühle, die ganze Lebensauffassung des breiten Publikums teilen. Sie geben ihm, wonach es verlangt, weil sie dasselbe verlangen. Sie selbst bemerken sofort jede Spur von Unaufrichtigkeit und wollen nichts damit zu tun haben.

    Zu Beginn seines stark autobiographisch eingefärbten Altersromans "Auf Messers Schneide" sagt der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller, unmissverständlich: "Ich will gelesen werden." Trotz dieses Selbstbewusstseins des Erfolgreichen litt Maugham allerdings unter der Geringschätzung der Kritik und wollte nicht verwechselt werden mit Kitschiers und Kolportisten, weshalb er sich immer wieder genötigt sah, die ästhetische Relevanz seines Konzepts, das eben weit mehr war als ein billiges Erfolgsrezept, zu begründen.

    Man nimmt Stilprobleme furchtbar wichtig. Man versucht, besser zu schreiben. Man bemüht sich um einfache, klare und knappe Ausdrucksweise. Man liest einen Satz laut, bis es gut klingt. Man rackert sich verzweifelt ab. Und doch bleibt die Tatsache bestehen, dass die vier besten Schriftsteller, die es je gegeben hat – Balzac, Dickens, Tolstoi und Dostojewski – in ihrer jeweiligen Sprache sehr nachlässig schrieben. Dies beweist, dass die Ausdrucksweise völlig belanglos ist, falls man Geschichten erzählen, Charaktere erschaffen und Begebenheiten erfinden kann und falls man ehrlich und mitreißend ist. Immerhin ist ein guter Stil einem schlechten vorzuziehen.

    Und Maughams Stil ist gut, ist sogar erstklassig, nur dass man ihm eben die Mühe nicht anmerkt, mit der Maugham sich diese lockere Eleganz erarbeitet hatte. Sein Arbeitsjournal, das "Notizbuch eines Schriftsteller", von dem hier die Rede ist, zeigt nicht zuletzt Maughams beständigen Kampf um Nuancen und Details, beispielsweise an folgenden Einträgen, in denen es um Farbschattierungen geht:

    Die Blätter der Ulmen, dunkler als Jade. – Ein Grün, wie man es bei altem Emailleschmuck findet, noch durchscheinender als Smaragd. – In den letzten Sonnenstrahlen gewannen die Farben der Landschaft nach dem Regen eine neue, fast übertriebene Pracht, die einen Augenblick an die satten Töne von Limoges-Email erinnerte. – Wie ein Limoges-Teller in üppigen Farben leuchtend. – Im tiefen, durchscheinenden Schatten hatte das Wasser die dunkle, schwere Üppigkeit von Jade.

    Dies ist keineswegs die prunkvolle Impressionen-Sammlung eines Ästhetizisten, sondern die Dokumentation eines literarischen Suchvorgangs nach der Beschreibbarkeit von Naturschönheit, Vorarbeiten und Skizzen, die Maugham zu seinen Romanen und Erzählungen heranzog, aber nur selten übernahm, fast immer umarbeitete oder auch ganz verwarf. Er zog die Worte also keineswegs, wie Márai unterstellte, wie ein Taschenspieler bedenkenlos aus dem Überzieher; vielmehr ergab sich als Resultat solcher Übungen und Arbeitsprozesse dann jener unverwechselbare Ton Maughams, den Jean Améry folgendermaßen charakterisierte:

    Er pflegt ein ruhiges, fließendes, urbanes angelsächsisches Erzählertum. Seine Rede führt er mit äußerster, erzählerischer Ökonomie, mit einer raffinierten Sparsamkeit des Ausdrucks, wie sie einem Gentleman ansteht, der sowohl die krude, indiskrete Sachlichkeit, als auch den poetischen Überschwang als peinlich und leicht lächerlich vermeidet.

    Insofern war Maugham ein Genie des traditionellen Erzählens, ein Genie, das immer Handwerker blieb, ein Handwerker freilich, der sich nie genialisch gebärdete, höchstens leicht snobistisch - idiosynkratisch allerdings gegenüber den experimentellen Erscheinungen einer literarischen Moderne, die auf die politischen Katastrophen und Umwälzungen des Zwanzigsten Jahrhunderts mit sogenannter Formenzertrümmerung reagierten und sich von der als irrelevant empfundenen Geschlossenheit einer erzählten Geschichte abwandten. Während manche seiner zeitgenössischen Kollegen sozusagen zerlumpt im Trümmerfeld wühlten, blieb Maugham mit Krawatte und seidenem Einstecktuch gelassen im Sessel des Erzählers sitzen:

    Ich lege Wert auf Form, und meines Erachtens ist eine Form nur zu erreichen, wenn man der Geschichte einen Abschluss geben kann, der keine berechtigten Fragen mehr offenlässt. Selbst wenn man es über sich bringen könnte, den Leser in der Luft hängen zu lassen, möchte man doch wenigstens als Erzählender nicht mit ihm zusammen in der Luft hängen.

    Allergisch reagierte Maugham auch auf die zweite große Tendenz der sogenannten, allzu oft auch selbst ernannten, künstlerischen Avantgarde seiner Zeitgenossenschaft, nämlich
    die ideologiekritische Ausrichtung der Literatur, ihre Funktionalisierung in den ideologischen, politischen und sozialen Konflikten im Gefolge der russischen Revolution. Klipp und klar notierte er:

    Die politische Lage vermag aus einem armseligen Buch ebensowenig ein gutes zu machen, wie die Notwendigkeit des Broterwerbs für Frau und Kinder aus einer Lohnarbeit ein Kunstwerk macht.

    Als Maugham 1917 im Auftrag des britischen Geheimdienstes Russland bereiste, um Eindrücke und Informationen über die revolutionären Ereignisse zu sammeln, formulierte er als Reflex auf die Leidensästhetik eine Art Ästhetik des Glücks, die man getrost auch als sein ethisches Programm lesen darf:

    Ich empfinde nichts als Abscheu gegen die literarische Verherrlichung des Leidens, die in letzter Zeit so beliebt geworden ist. Ich habe nie festgestellt, dass Leiden den Charakter verbessern. Die Hauptwirkung des Leidens ist, dass es die Menschen engherzig macht. Sie werden egozentrisch. Ihr körperliches Befinden und ihre persönliche Lage gewinnen eine unverhältnismäßige Bedeutung.

    Ich selbst habe unter Armut und unerwiderter Liebe gelitten, unter Enttäuschungen, Desillusionen, Mangel an Gelegenheiten und Anerkennung, Mangel an Freiheit; ich weiß, dass ich dadurch missgünstig und unbarmherzig wurde, auch reizbar, selbstsüchtig, ungerecht; erst Erfolg, Glück und Wohlstand haben mich zu einem besseren Menschen gemacht. Leiden aber vermindern die Vitalität. Sie wirken eher vergröbernd als veredelnd auf das moralische Feingefühl.


    Und, so darf man hinzufügen, auch auf das ästhetische Feingefühl: Weder Armut noch Leiden gebären Großes, sondern Glück und Wohlstand. Daraus spricht nun aber nicht etwa die arrogante Mitleidlosigkeit eines wohlbetuchten Snobs, der es sich im Salon bequem macht, während um ihn herum die Welt zu Grunde geht, sondern die vorurteilsfreie Unbestechlichkeit eines scharfen Beobachters und Menschenkenners. Im Roman mit dem lachhaft unpräzisen deutschen Titel "Südsee-Romanze", der im Original "The Narrow Corner" heißt, sagt Maugham über seinen Protagonisten in eigener Sache:

    Gut und böse bedeuteten ihm nicht mehr als gutes oder schlechtes Wetter. Er nahm es hin, wie es kam. Er beobachtete, aber er richtete nicht. Er lachte.

    Im "Notizbuch" wird diese Beobachterperspektive genauer analysiert, als notwendige Haltung des Autors zu Welt und Menschen:

    Für einen Schriftsteller ist es wesentlich, unablässig die Menschen zu studieren. Man hat jemanden vor sich, mit seinem Charakter, auf eigenen Füßen stehend, mit hundert Eigenarten; aber das Bild ist verschwommen und verworren. Da er sich selbst nicht kennt, wie könnte er dem Betrachter etwas über sich mitteilen? So gesprächig er auch sein mag, er bleibt stumm. Welche Reichtümer er auch zu bieten vermag, er verbirgt sie um so wirksamer, als er selbst nicht weiß, dass es Reichtümer sind.

    Will man aus diesen schwer fassbaren Schatten einen Menschen formen, muss man bereit sein, stundenlang unwichtige Erzählungen über sich ergehen zu lassen, damit man schließlich die Andeutung oder die nebenbei gemachte Äußerung erntet, die einen Einblick vermittelt. Um die Menschen kennenzulernen, muss das Interesse eher um ihrer selbst willen als zum eigenen Nutzen auf sie gerichtet sein, so dass man auf das, was sie sagen, einfach deshalb Wert legt, weil sie es sagen.


    Maughams "Notizbuch" zeigt eindrucksvoll, wie geduldig und präzise dieser Autor zuhören konnte. Auf seinen ausgedehnten Reisen durch die Inselwelt des Pazifik und nach Südostasien begegnete er zahlreichen sehr unterschiedlichen Menschen, die ihm Geschichten, manchmal ganze Lebensgeschichten und bizarre Schicksale erzählten, und Maugham notierte unermüdlich.

    Viele dieser Charakterskizzen und Lebensabrisse sind Rohmaterial fürs erzählerische Werk, manche lesen sich wie Romane im Miniaturformat, andere sind wie vollendete Kurzgeschichten, dem Leben abgelauscht, nicht erfunden, sondern gefunden. Neben den literarischen und ästhetischen Reflexionen ist es besonders diese welthaltige Authentizität, die den Reiz des "Notizbuchs" ausmacht. Maugham wusste sehr genau um das komplizierte Verhältnis zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

    Die Wahrheit ist nicht nur seltsamer als die Fiktion, sondern auch ausgefallener. Wenn man weiß, dass sich etwas tatsächlich abgespielt hat, gewinnt es an Eindringlichkeit und berührt eine Saite, die durch eine eingestandenermaßen erfundene Erzählung nicht zum Klingen gebracht wird. Um diese Saite zu berühren, suchten manche Autoren auf alle möglichen Weisen den Eindruck zu erwecken, dass sie nur die reine Wahrheit berichteten.

    Besonders in seinen Erzählungen hat Maugham diesen Kunstgriff häufig angewandt und perfektioniert, indem er die eigentlichen Geschichten in Rahmenhandlungen einfügte, die eine Erzählsituation simulierten beziehungsweise schufen. Der Autor fungiert gewissermaßen lediglich als Chronist jener Erfahrungen, die ihm zugetragen werden. Maughams "Notizbuch eines Schriftstellers" ist die Schatztruhe, in denen er das Gehörte und Gesehene aufbewahrte.

    Meine Sammlung soll kein Tagebuch darstellen. Ich notierte nur das, wovon ich dachte, dass es mir irgendwann einmal für meine Arbeit nützlich sein könnte, und obwohl ich die verschiedensten Gedanken und Gefühle persönlicher Art aufschrieb, geschah dies lediglich in der Absicht, sie früher oder später den von mir erfundenen Figuren zuzuschreiben.

    Die sehr schöne Ausgabe von Maughams "Notizbuch eines Schriftstellers" ist eine vom Autor 1949 selbst komponierte Zusammenstellung aus etwa fünfzehn solcher Notizbücher, die die Jahre 1892 bis 1944 abdecken, durchaus eine Art Nachlass zu Lebzeiten. Eine erste deutsche Ausgabe war 1954 in der Übersetzung Irene Muehlons erschienen, enthielt jedoch nicht den kompletten Text.

    Für die vollständige Neuausgabe hat Simone Stölzel die alte Übersetzung überarbeitet und um die gekürzten Passagen ergänzt. Eingeleitet wird das "Notizbuch" durch einen umfangreichen, biografischen Essay von Thomas und Sabine Stölzel, der zwar erfreulich materialreich und informativ ausfällt, allerdings unter allerlei Gestelztheiten und Stilblüten leidet.

    Was nützt alles Wissen, wenn es nicht zum rechten Handeln führt? Aber was ist rechtes Handeln?

    Das war für W. Somerset Maugham die Frage aller Fragen. Er war ein Ästhet, ein Gentleman und ein Snob, aber er verstand, darin Robert Musil verblüffend ähnlich, alle Ästhetik und damit auch seine eigene Literatur als Mittel zum ethischen Zweck:

    Ich gebe den Philosophen recht, die der Ansicht waren, dass der Wert der Kunst in ihrer Wirkung liege, und daraus den Schluss zogen, dass nicht Schönheit, sondern rechtes Handeln ihren Wert ausmache. Denn eine Wirkung ist wertlos, wenn sie nicht in dieser Weise wirkt. Wäre die Kunst lediglich ein Vergnügen, und sei es noch so vergeistigt, käme ihr keine große Bedeutung zu. Eine Kunst, die nicht zu rechtem Handeln führt, ist nichts anderes als Opium für die Intellektuellen.

    Deshalb wollte Maugham gelesen werden. Lesen wir ihn. Es lohnt sich.