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Bodenreform in Schottland
Kommunen werden Landbesitzer

In Schottland besitzen nur wenige Familien den Großteil des privaten Landes. Das soll sich jetzt ändern. Kommunen erhalten in Zukunft das Recht, auch gegen den Willen der meist adeligen Eigentümer Land zu kaufen. Damit soll die nachhaltige Entwicklung der Gemeinden gefördert werden.

Von Kirsten Zesewitz | 26.02.2016
    Die Burgruine Urquhart Castle am Ufer des Loch Ness, Schottland.
    In Schottland besitzen nur 450 Familien einen Großteil des Landes. (picture alliance / ZB / Reinhard Kaufhold)
    Etwa 100 Leute haben sich im Gemeindesaal von Moffat eingefunden, Thema des Abends: der Kauf von 30 Hektar Wald aus dem Besitz des Grafen von Annandale. Sein Estate ist eines der großen Landgüter an der Grenze zwischen England und Schottland.
    Es sei eine einzigartige Chance, sagt der Moderator, den Wald im Sinne der Bürger zu nutzen – und nicht als kommerziellen Forst. Einige Männer lehnen sich tiefer in ihren Stühlen zurück, die Arme vor der Brust verschränkt:
    "Das ist eine große Verantwortung", sagt ein Mann in dicker Joppe und Boots, "wie werden wir den Wald unterhalten?"
    In der Tat ist es so, dass nicht die Gemeinde bei einem Kauf in Erscheinung tritt, sondern die Bürger selbst, als GmbH. Der schottische Staat fördert diese "community buy-outs", gerade wurde das Budget des Scottish Land Fund auf 10 Millionen Pfund erhöht.
    Landreform für nachhaltige Nutzung
    Professor James Hunter saß in der Expertenkommission, die die Landreform entworfen hat. Er lebt in den Highlands, dort, wo einzelne Familien riesige Güter besitzen.
    "Viele dieser Estates sind reines Prestige. Sie werden zum Jagen genutzt, die Landlords haben wenig Interesse, zu investieren. Ab und zu wechselt das Gut den Besitzer, oft Leute, die gar nicht im Ort leben – aber jahrhundertelang hat niemand in Betracht gezogen, die lokale Bevölkerung einzubeziehen."
    Vor 20 Jahren begannen erste Dörfer damit, sich von ihrem Landlord "frei zu kaufen": Die erfolgreiche Übernahme der Inseln Eigg, Lewis und Harris, zog eine ganze Bewegung nach sich: Auch das Gemeindehaus von Moffat ist ein Bürgerprojekt, das Grundstück gehörte früher zum Annandale Estate: Eine typische Situation in schottischen Gemeinden, sagt James Hunter.
    "Nehmen wir an, eine Gemeinde will ein Windrad bauen, besitzt aber kein Land! Sie hat also keine Chance, diese Kapitalanlage zu tätigen. Der Landbesitzer dagegen baut das Windrad – und streicht das Geld ein. Und das ist es, was die Dörfer dazu bringt, einen "community buy-out" zu wagen: Sie brauchen Land, um es zum Nutzen der Bürger einzusetzen, für Wohnungen, um Arbeitsplätze zu schaffen - und der Landflucht etwas entgegenzusetzen."
    Professor James Hunter hätte sich auch für die Landwirte mehr Rechte im neuen Gesetz gewünscht, schließlich hatte Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon eine "radikale Landreform" angekündigt: James Hunter zog sich irgendwann aus der Expertenkommission zurück – sein Vorwurf: Die Reform sei weich gespült worden.
    "Es geht darum, dass Bürger Verantwortung übernehmen, Unternehmen gründen"
    "Dieses Gesetz ist kein revolutionärer Akt, es reicht bei Weitem nicht an die Landreformen heran, die anderswo in Europa stattgefunden haben. Die Kritiker bürgerschaftlicher Landkäufe sagen, die Reform sei sozialistisch – ich finde, sie ist das Gegenteil: Es geht darum, dass Bürger Verantwortung übernehmen, Unternehmen gründen – und das ist Thatcherismus und kein Kommunismus."
    Seit zwei Stunden sitzen die Bürger von Moffat inzwischen im Gemeindesaal, der Moderator hat einige Mühe, ihre Sorgen zu zerstreuen – denn mit dem Land kommt unweigerlich die Verantwortung dafür.
    Ein paar Landwirte scheinen sich mit den Risiken von Waldbesitz auszukennen:
    "Was ist mit Schädlingen? - Und das Wild?"
    "Darum werden wir uns auch kümmern müssen!" Der Moderator wirkt hilflos, im Fall des Landkaufs bekäme Moffat einen Berater zur Seite gestellt, sagt er – bezahlt aus öffentlichen Mitteln.
    "Wir können nicht alle Probleme lösen", sagt er, "aber wir werden die Kontrolle über den Wald haben."
    In den nächsten Tagen soll die Machbarkeitsstudie in der Gemeindebibliothek ausliegen, dann will die Bürgerschaft den Förderantrag einreichen. Vielleicht wird der Wald im nächsten Jahr schon ihr gehören, denn immerhin haben 70 Prozent der Bürger von Moffat für den Kauf votiert.