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Börner: China auf dem langfristigen Weg zu mehr Demokratie

"Die Straße ist frei für marktliberale Kräfte in China", kommentiert Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels, den Machtwechsel. "Das wird ganz sicher der chinesischen Wirtschaft sehr nützen." Demokratie sei für die weitere Entwicklung des Landes unabdingbar, werde sich aber langfristig über Jahrzehnte entwickeln.

Anton Börner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.11.2012
    Jasper Barenberg: Worauf stellen sich deutsche Unternehmen ein, für die China ja ein wichtiger Handelspartner ist?

    - Das habe ich vor dieser Sendung Anton Börner gefragt, den Präsidenten des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels.

    Anton Börner: Also, ich denke, die wirklichen Signale haben wir schon in den letzten Wochen und Monaten gesehen, als die Linkskonservativen mehr oder minder ruhiggestellt wurden. Das heißt, die Straße ist frei für marktliberale Kräfte in China. Das wird ganz sicher der chinesischen Wirtschaft sehr nützen. Und das ist natürlich für die Weltwirtschaft eine gute Nachricht, weil man erkennen kann, die Chinesen werden sich weiter in die Globalisierung einbringen, sie werden weiter eine marktwirtschaftlich orientierte Politik betreiben. Und das wird das weltwirtschaftliche Wachstum sehr stark befördern. Das ist natürlich für Deutschland eine gute Nachricht, weil wir ja als klassischer Investitionsgüterexporteur damit gewaltig profitieren, denn die Aufgaben, die China vor sich hat die nächsten Jahrzehnte, sind auch gewaltig. Die chinesische Bevölkerung ist noch weit, weit weg von unserem Niveau und da muss noch sehr, sehr viel passieren in allen Bereichen, gerade auch im Dienstleistungsbereich. Und das ist ein für uns relativ neuer, jung, aber sehr stark wachsender Teil unserer Wirtschaft. Und da bin ich sehr, sehr optimistisch, dass wir da sehr gute Ergebnisse bekommen.

    Barenberg: Wie genau in den Einzelheiten wird das denn deutschen Unternehmen helfen, diese Entwicklung, die Sie skizziert haben, die Sie erwarten?

    Börner: Nun, ich glaube, das Wichtigste ist, dass in China der Reformprozess weitergeht, nämlich dass man sich weiter öffnet, dass man weiter in der Globalisierung, in dieser weltweiten arbeitsteiligen Wirtschaft eine gewaltige Rolle spielen möchte – auf der Exportseite der Chinesen, aber eben auch auf der Importseite, indem man weiter Know-how importiert, indem man weiter mit westlichen Firmen arbeiten wird, um die eigene Wirtschaft nach vorne zu bringen. Und China geht eben weg von dem billigen Werkbank-Image, das sie in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben. China wird ein Hightech-Land werden. Und da ist man eben international auf Zusammenarbeit angewiesen. Wenn man an große Projekte denkt, die können heute national nicht mehr gelöst werden. Das gilt für China auch insbesondere. Und da spielt die deutsche Wirtschaft in allen Bereichen, in unseren Klassikern, von Auto-, Maschinenbau, Chemie, Elektrotechnik, aber ganz besonders eben auch der Servicebereich, der Dienstleistungsbereich, eine ganz große Rolle. Und da sehe ich, dass wir die nächsten Jahrzehnte noch viel Freude haben werden.

    Barenberg: Aller Voraussicht nach wird ja Xi Jinping Parteichef werden, später dann auch Staatschef. Er ist seit fünf Jahren quasi aufgebaut worden für diese Aufgabe, für diese Position. Optimisten sagen, es ist ein weltoffener Reformer, der die politische Erneuerung Chinas vorantreiben und durchsetzen kann. Pessimisten sagen, dass er weder den Willen, noch den Spielraum hat, große Veränderungen durchzusetzen. Und dass er weiter auch wie seine Vorgänger auf Repression, auf Propaganda setzen wird, um den Machtanspruch der KP zu verteidigen. Wie ist Ihre Einschätzung?

    Börner: Ich glaube, wir müssen da mit unseren westlichen Denkkategorien sehr vorsichtig sein. Wenn wir von Machtanspruch der KP reden, dann haben wir immer so dieses Sowjetsystem im Kopf oder im Hinterkopf und denken vielleicht auch noch an die alte DDR oder an solche Dinge. Ich glaube, da wird man China nicht gerecht. Die Chinesen haben eine uralte Kultur, sie sind sehr geschichtsbewusst, sie denken nicht wie die Amerikaner in Quartalen oder wie wir Familienunternehmer vielleicht in Jahrfünften oder Jahrzehnten. Die denken in Generationen. Und ich denke, das ist die entscheidende Stellschraube. Die chinesische Politik ist sehr real bezogen. Die Chinesen sind sehr vorsichtig, sie sind sehr risikoscheu. Man versucht nicht, irgendetwas mal zu probieren. Dieses Trauma der Kulturrevolution, als Mao ja versucht hat, mit dem Sprung nach vorne irgendwas ganz Neues zu machen – er ist ja fürchterlich gescheitert. Der steckt in der chinesischen Bevölkerung, aber auch in der chinesischen Elite noch sehr, sehr tief verwurzelt drin. Das ist ein Teil ihrer Geschichte oder der jüngeren Geschichte, der überhaupt nicht aufgearbeitet ist, über den man auch überhaupt nicht spricht. Aber wenn man sich viel mit China beschäftigt, dann weiß man, dass das eben im Hintergrund ist. Und das fürchtet man unter allen Umständen, so was darf nie wieder passieren. Und da bin ich auch sicher, es wird auch nicht passieren. Deswegen geht man an die Entwicklung auch sehr, sehr vorsichtig heran. Alles, was so mit Sprüngen, mit Quantensprüngen, Revolutionen und so zu tun hat, ist in China sehr verpönt und sehr verdächtig. Man will eine langfristig angelegte Entwicklung haben, weil man das auch braucht, um die eigene Bevölkerung eben… Aus der Phase des Hungerns ist China längst raus, die Leute werden heute satt, es muss kein Chinese mehr hungern, aber jeder weiß noch, wie es war, als man hungern musste, das ist noch relativ präsent. Und man weiß, man kann in der Globalisierung nur überleben und eine bedeutende Rolle spielen, wenn man sich entwickelt. Und entwickeln heißt Marktwirtschaft, Innovation, kreativ, besser werden, gleich werden wie der Westen ...

    Barenberg: Aber Herr Börner, Sie haben eben gesagt und selber davon gesprochen, von diesen zwei Fraktionen, die wir so als Ahnung zur Kenntnis genommen haben in den vergangenen Wochen und Monaten. Sie haben das genannt die Linkskonservativen auf der einen Seite, die Marktliberalen auf der anderen Seite. Also es gibt ja Konflikte innerhalb der Führung, innerhalb der Strukturen der KP in China. Macht es denn einen Unterschied, ob ein Reformer eher oder ein Technokrat an der Spitze steht?

    Börner: Ich denke, es macht einen großen Unterschied, ob ein Ideologe, der seine Wurzeln noch im Maoismus hat, an der Spitze steht. Und das ist endgültig geklärt. Das kommt nicht, Gott sei Dank. Insofern wird man den Weg, den man jetzt eingeschlagen hat und von dem man ja gesehen hat, dass er sehr erfolgreich ist. Und von dem man gesehen hat, dass er letztlich ganz China nützt… Man muss die Ungleichgewichte lösen, die Ungleichgewichtsfrage lösen. Das heißt, man muss in Richtung Umverteilung sich öffnen. Aber das geht nur in marktwirtschaftlichen, offenen Systemen und nicht in geschlossenen, in stalinistischen oder maoistischen Strukturen.

    Barenberg: Wirtschaftlich liberal, politisch weiter repressiv – ist das ein Modell, das auch längerfristig zukunftsträchtig ist?

    Börner: Nein! Da bin ich fest überzeugt: Nein! Und zwar aus folgendem Grund: Sie können die Menschen nur dann auf breitester Basis auf Wohlstand bekommen, wenn das Individuum sich frei entfalten kann. Das heißt, Kreativität ist die Schlüsselfrage. Kreativ kann man aber nur sein, wenn man frei ist. Wenn man aber frei ist, stellt man Fragen. Und wenn das Individuum frei ist und Fragen stellt, wird es sich auch selbst entwickeln. Deswegen glaube ich, da bin ich fest überzeugt, dass langfristig der Weg zu einer Meinungsvielfalt, zu einem pluralistischen Gesellschaftssystem unverzichtbar ist. Und ich glaube auch, dass die Kommunistische Partei das auch versteht und auch entsprechend gar nicht verhindern will, sofern es nicht revolutionäre, sprunghafte Entwicklungen nach sich zieht, sondern sofern es sich über eine jahrzehntelange Evolutionsentwicklung äußert. In diesem Bereich, das ist, glaube ich, die große Kunst, und da müssen wir den Chinesen auch wirklich helfen, partnerschaftlich helfen, dass wir sie nicht in die Ecke stellen und zwingen, Dinge zu machen, wo sie noch nicht bereit dazu sind. Für Demokratie muss auch eine breite Bevölkerung gebildet werden. Das ist nicht der Fall. Das sind Voraussetzungen, die sind noch nicht da. Aber ich bin ganz sicher: Der Weg wird dahin gehen, weil sonst es nach vorne nicht weitergehen würde, sondern dann wäre der Sprung zurück in die Kulturrevolution, in ein maoistisches System. Und das wäre für die Welt und für China selbst verheerend.

    Barenberg: Woher nehmen Sie denn - Herr Börner, das zum Schluss - die Zuversicht, dass das so kommt? In den letzten Jahren hat ja nun eher die Repression zugenommen.

    Börner: Ja, ich glaube, dass man in China, dass die Elite der chinesischen Gesellschaft erkannt hat, dass sie keine andere Wahl haben, als nach vorne sich zu entwickeln, wenn sie eben nicht mehr zurück in ein System wollen, wo die Menschen verhungern. Und das ist das oberste Gebot für jeden chinesischen Politiker, das darf nicht mehr passieren. Das geht aber nur, wenn sie sich in der Weltgemeinschaft integrieren, wenn sie in diesem arbeitsteiligen, globalisierten, weltwirtschaftlichen Prozess ein Partner werden. Und Partner können sie nur werden, wenn sie Freiheit zulassen, und Freiheit bedeutet immer Meinungsvielfalt. Und das, glaube ich, wird letztendlich siegen. Ich bin fest überzeugt, die individuelle Freiheit wird den Sieg davon tragen. Das dauert vielleicht 30, vielleicht auch 50 Jahre, das weiß ich nicht. Aber da bin ich mir ziemlich sicher, dass das passiert.

    Barenberg: Anton Börner, der Präsident des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels. Danke für das Gespräch, Herr Börner.

    Börner: Danke!

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