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Bohuslav Martinu: "Ariadna"

Auch der Komponist der nächsten Musik war gebürtiger Böhme, auch seine Partituren überstanden verschiedene Wechsel und Schrecken der Zeit. Bohuslav Martinu (1890 bis 1959) lebte lange Zeit in Paris, floh nach dem Einmarsch der Deutschen in die Vereinigten Staaten und ging nach dem Krieg nicht in seine nun stalinistisch regierte Heimat, sondern nach Italien und zuletzt in die Schweiz. Dass er zu den innovativsten Bühnenkomponisten der 30er Jahre gehörte und später in den 50ern mehrere bedeutende Musiktheaterwerke erschuf, ist heute Spezialwissen und gehört zu jenem Part Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, die der Reaktivierung und Verbreitung bedarf. Das Prager Label Supraphon hat sich diesem Nachholbedarf bereits vor Jahren gestellt. Im frisch erschienenen Supraphon-Gesamtkatalog 2001 finden sich zahlreiche Martinu-Werke aus neuester Produktion. Ergänzt werden sie durch spektakuläre Aufnahmen aus den Archiven. Zu diesen gehört zweifellos Vaclav Neumanns Einspielung des Bühnen-Einakters "Ariadna" vom April 1986, die seit Kurzem wieder auf dem Markt erhältlich ist. Das Werk entstand binnen weniger Wochen in Martinus vorletztem Jahr und wie schon der Vorkriegs-Erfolg der Julietta basiert es auf einem surrealistischen Text von Georges Neveux. Von Zeiterfahrung geprägt, führt das Stück zu einem der zentralen Sujets der griechischen Mythologie: dem Tod des eigenen-ICHs. Minotauros und Theseus, sein Bezwinger, sind sich bei Martinu sehr ähnlich. Beide begehren Ariadna und werden von dieser geliebt. Der Minotaur, der erlegt werden soll, erscheint jedoch nicht als Monster, sondern als zweites Ich der Theseus-Figur. Minotaur ist die innere Angst, aber auch jener Teil Mensch, der sich der Liebe hingibt, und deshalb erschlagen sein soll. Bewusst greift der Komponist für diesen psychoanalytisch-zivilisationskritischen Stoff auf frühbarocke Formen zurück. Drei Instrumentalsinfonien gruppieren drei geschlossene Szenen, vom Vokalstil her regiert Monodie - freilich nicht ohne auf die eigene musikalische Sprache und Instrumentierung zu verzichten. Überdeutlich erinnert die Schlussarie der Ariadna an Monteverdi; als Idealbesetzung für diese Koloraturpartie hatte Martinu sich Maria Callas gewünscht, diese hat nie ein böhmisches Werk interpretiert. Der Schluss der Oper ist in gewisser Weise wieder ein maritimes Sujet: Während Ariadna zu klagen beginnt, sticht Theseus mit seiner Mannschaft in See. Wer sich seiner Gefühle entledigt, vor dem ist jeder Weg fraglos und klar. * Musikbeispiel: Bohuslav Martinu - aus: "Ariadna" Norman Philipps als Theseus und die amerikanische Sopranistin Celina Lindsley in der Titelpartie von Bohuslav Martinus Einakter "Ariadna". Vaclav Neumann dirigierte die Tschechische Philharmonie. Diese mehr oder weniger historische Aufnahme von 1986 erschien in diesem Jahr beim Prager Label Supraphon. In Deutschland wird es über Koch international in München vertrieben. Hier erschien auch die anfangs angespielte neue CD mit Kantaten des böhmischen Barock-Komponisten Josef Leopold Václav Dukát.

Frank Kämpfer |