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"Bonte Kerken"
Sakrale Kunstschätze im Oberbergischen

Evangelische Kirchen sind eigentlich für ihre geradlinige und schlichte Architektur bekannt. In der Region um Gummersbach in Nordrhein-Westfalen gibt es jedoch Ausnahmen: Fünf Dorfkirchen, die im Volksmund auch als "Bonte Kerken", also Bunte Kirchen bezeichnet werden, sind alles andere als schlicht.

Von Simon Schomäcker |
    Eine "Bonte Kerke" in Gummersbach-Lieberhausen (Oberbergischer Kreis/NRW)
    Eine "Bonte Kerke" in Gummersbach-Lieberhausen (Oberbergischer Kreis/NRW) (imago stock & people)
    Es ist Sonntagsgottesdienst in der Evangelischen Kirche in Gummersbach-Lieberhausen. Heute gastieren Chor und Bläserensemble der Evangelischen Südstadtgemeinde Wuppertal-Elberfeld in der Dorfkirche. Die Musiker möchten sich nach der Messe die vielen bunten Malereien in der Kirche erklären lassen. Außerdem ist ein Ausflug in das wenig entfernte Marienberghausen geplant. Dort gibt es eine ähnlich ausgemalte Kirche. Die Historikerin Verena Kessel leitet die Führung. Sie beginnt mit einem Überblick zur Geschichte des Lieberhausener Gotteshauses. Dieser kleine, von außen weiß getünchte Sakralbau wurde im 12. Jahrhundert errichtet. "Und dann hat man im 15. Jahrhundert die erste Ausmalung der Kirche gehabt. Das war noch eine katholische Ausmalung", sagt Kessel.
    Wandmalereien machten die Kirchen "Bunt"
    Die Decken- und Wandmalereien brachten den Dorfkirchen in Lieberhausen, Marienberghausen sowie in den Ortschaften Müllenbach, Wiedenest und Marienhagen den Namen "Bonte Kerken" ein. Das bedeutet schlicht und einfach "Bunte Kirchen". Auf den mit Kalkfarben angefertigten Gemälden sind zumeist Bibelszenen dargestellt, wie etwa das Jüngste Gericht, die zehn Gebote oder der Passionszyklus.
    "Das Interessante an diesen Kirchen ist ja ihre Ausmalung. Diese Malereien waren ja zum Teil übermalt, dann sind sie freigelegt und wieder übermalt worden", sagt Andreas Würbel von der Thomas-Morus-Akademie in Bergisch Gladbach. "Und diese Bildprogramme sind einfach ganz spannend, denn wir gewinnen dadurch einen Einblick in das Leben und die Theologie des Mittelalters."
    Das Übertünchen von Wandmalereien in Kirchenräumen war zur Zeit der Reformation weit verbreitet. Denn die evangelische Kirche sah in ihren Richtlinien keine bildlichen Darstellungen in Sakralbauten vor. In Lieberhausen aber gab es eine Ausnahme, erklärt Verena Kessel: "Ab 1586 haben wir hier eine evangelische Gemeinde. Und dann passiert etwas ganz Spannendes: Die Gemeinde ist so begeistert von ihrem neuen Glauben, dass sie anfangen, die alten Wandmalereien zu ergänzen und neue dazu zu malen. Also nicht das, was man normalerweise denkt: Eine Gemeinde wird evangelisch und die Bilder verschwinden - genau das Gegenteil passiert."
    Gemeinden freuen sich über ihre Kunstschätze
    Verena Kessel lenkt die Blicke der Besucher auf eine Darstellung der Seelenwaage. Auf dem Bild hilft Maria den Toten, in den Himmel zu gelangen, indem sie die entsprechende Waagschale herunterzieht. Diese Vermittlerinnenrolle war in den lutherischen Leitlinien nicht vorgesehen. "Aber der Gemeinde war das Bild so wichtig, sie machen etwas anderes: Sie kommentieren das Bild. Sie schreiben oben auf die gegenüberliegende Seite, dort haben Sie die große Schrifttafel, wo steht: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde, ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." Also diese ganz berühmte Stelle aus dem Römerbrief. Und mit der Tafel, mit der Kommentierung konnte das Bild dann eben bestehen bleiben.
    Ursprünglich dienten die Malereien in den Bunten Kirchen dazu, Bibelszenen auch Gottesdienstbesuchern zugänglich zu machen, die nicht lesen konnten. Diese Funktion haben die Bilder heute längst verloren. Dennoch freuen sich die Gemeinden über ihre Kunstschätze. Hin und wieder gibt es thematisch passende Gottesdienste, erklärt Michael Kalisch, Pfarrer an der Bunten Kirche in Wiedenest. "Wir machen regelmäßig Predigtreihen in unserer Kirche, in der Regel in den Sommerferien. Und da gibt es halt Predigtreihen, die zu den Wandmalereien passieren. Und im Moment sind wir in der Vorüberlegung, ob wir in der Passionszeit 2016 uns mit dem Passionszyklus in unserer Kirche beschäftigen."
    Seit dem Jahr 2009 findet außerdem in den Sommermonaten in allen fünf Dorfkirchen das "Bonte-Kerken-Festival" statt. Auf dem Programm stehen Vorträge zur Kunstgeschichte der Kirchen, außerdem Lesungen oder Konzerte, die die zuvor besprochenen Inhalte aufgreifen. Andreas Würbel von der Thomas-Morus-Akademie nennt ein Beispiel: "Wir versuchen, das natürlich auch auf das Thema anzupassen. Wenn es zum Beispiel um das Thema des Teufels geht, ist die Frage, wie wird der Teufel in den Wandmalereien dargestellt, welche Bedeutung hat der Teufel in der Theologie. Und das Thema des Teufelsgeigers haben wir dann musikalisch aufgenommen."
    Die Wuppertaler Musiker haben sich zwischenzeitlich auf den Weg zur Bunten Kirche in Marienberghausen gemacht. Hier waren nach der Reformation sämtliche Wandmalereien übertüncht. Die Gemeinde zeigte sich am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht begeistert von der Idee, die Kunstwerke freizulegen, weiß Verena Kessel. "Weil man hatte wohl schon ein bisschen da oben am Weltgericht gekratzt und gesehen, dass da diese Teufel drunter waren. Und die Gemeinde wehrt sich und sagt, sie wollen keine katholischen Teufel in einem evangelischen Raum haben. Es ist aber so, dass sich die Denkmalpflege und die Kunstbegeisterten durchgesetzt haben."
    Kuriositäten im Gewölbe
    Die eigentlichen Kuriositäten der Ausmalung in der Marienberghausener Kirche befinden sich im Gewölbe des Chorraumes. "Wenn Sie auf den Engel schauen, der hier nach Norden zeigt, auf den blauen Engel, der hier Essigschwamm und Lanze in der Hand hält. Und wenn Sie dann das blaue Gewand mit den Augen nach unten gehen, dann macht das rechts beim Fuß eine ganz ausbuchtende Falte. Und in der Falte sitzt ein Dudelsack blasendes Schwein", sagt Kessel.
    Diese lustigen Details heißen auch Drollerien. Davon gibt es in der Bunten Kirche von Marienberghausen einige. Verena Kessel erklärt, welche Funktion diese Darstellungen hatten. "Das ist die Möglichkeit, eben auch mal zu lachen, wenn man ganz streng gebetet hatte, ganz streng gefastet hatte. Man entdeckt es ja auch nicht sofort. Und es ist auch interessant zu wissen - der Dudelsack macht im Laufe der Geschichte eine Entwicklung durch. Am Anfang war das durchaus ein ganz nobles Instrument. Und im 15. Jahrhundert war es nur das Instrument der Spielleute, der Bauern. Und damit passte es eben auch wieder hier hin."
    Die Malereien in den "Bonten Kerken" erzählen viele interessante Geschichten. Allerdings sind aufwändige Arbeiten nötig, um die Kunstwerke auch für die Zukunft zu konservieren. Pfarrer Michael Kalisch: "In der Regel sagt man, so alle 20 bis 30 Jahre ist eine Gundreinigung, Konservierung oder Restaurierung an der Reihe. Ich hoffe, auch wegen des finanziellen Aspekts, dass das auch wirklich so ist. Denn der Aufwand ist wirklich groß und die finanzielle Belastung für eine relativ kleine Gemeinde ist schon immens, um das zu schultern und denkmalgerecht durchzuführen."