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Schwindendes Ehrenamt

Am 5. Dezember wirft der Internationale Tag des Ehrenamts ein Licht auf die 23 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ohne einen finanziellen Nutzen für das Gemeinwohl engagieren. In Sport sind neun Millionen Menschen aktiv. Doch die Vereine haben es zunehmend schwer, die Posten zu besetzen.

Von Ronny Blaschke | 30.11.2013
    In riesigen Hallen der Berliner Verkehrsbetriebe werden die U-Bahn-Waggons der Hauptstadt gewartet. Seit mehr als vierzig Jahren ist Gerd Liesegang für die BVG tätig, lange als Schlosser, inzwischen in der Fortbildung. Länger ist Liesegang nur dem Fußball treu geblieben. Mit zwölf Jahren hatte er sich in einem Kreuzberger Verein eingeschrieben. Er wurde Jugendbetreuer, Trainer, Bezugsperson. Seit 2004 ist Liesegang Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes. Er hat Projekte gegen Gewalt und Diskriminierung auf den Weg gebracht. Pro Jahr stehen ihm dreißig Urlaubstage zu. Zwanzig davon nutzt er für den Fußball, sagt er. Jeden Tag steht Liesegang um vier Uhr auf, damit er nach Dienstende ab 14 Uhr Fußballtermine wahrnehmen kann.
    "Wenn ich raus muss tagsüber, dann muss man ja auch mal zum Senat. Wenig, die dafür Verständnis haben, dass man manchmal nur nach 15, 16 Uhr könnte, sondern die verlangen dann vormittags um zehn zum Gespräch, und dann muss man eben einen guten Weg finden. Na ja, ein, zweimal die Woche muss man schon mal raus, um irgendwas zu erledigen. Du darfst ja deine Arbeit auch nicht vernachlässigen. Wenn sie hier Angriffspunkte haben und sagen: hallo, deine Arbeit schleift. Ich mache jetzt Termine für das nächste halbe Jahr, wo ich Unterweisungen mache, und bastele darum die Fußballtermine. Dass ich dann sehen kann, wann muss ich wo weg. Und ich hatte ja meinem Chef auch gesagt, wenn der meint, das wird übertrieben, da soll er auch ehrlich sein und mir das auch sagen."
    Die Zivilgesellschaft wird von 580.000 Vereinen getragen, sieben Mal so viele wie vor fünfzig Jahren. Mehr 90.000 Vereine sind es im Sport. Sebastian Braun ist Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin. In vielen Forschungen hat Braun das Bürgerschaftliche Engagement im Sport untersucht.
    "Sie haben generell in ländlichen Regionen noch traditionellere Strukturen der Einbindung in die vor Ort gelegene Vereinskultur. Das heißt, Sie finden dort in aller Regel auch höhere Engagementquoten als in städtischen, wesentlich mehr durch Mobilität und Wechselbewegung geprägten urbanen Räumen. Das heißt, in einem ländlichen, gut situierten bayerischen Raum werden Sie mehr Engagement mobilisieren, teilweise auch noch durch religiöse Bindung als im städtischen Ballungsraum Berlin. Aber generell sagt man einfach, der im Verein hochgradig Engagierte ist eher noch männlicher Natur. Zweitens: Er hat Familie, ist also sehr stark sozial in die Gesellschaft integriert, hat ein höheres Bildungsniveau und relativ breite soziale Netzwerke und soziale Kontakte. Also eigentlich das, was man unter einer gut integrierten Persönlichkeit versteht, die sich dann auch im öffentlichen Raum für gesellschaftliche Belange einsetzt."
    Die meisten Vereine – relativ zur Einwohnerzahl – gibt es im Saarland, die wenigsten in Hamburg. Das geht aus einer Studie hervor, die vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft erhoben wurde. Vereine für Bildung oder soziale Dienste haben in den vergangenen zehn Jahren eine Gründungswelle erlebt. Im Sport verläuft die Zahl der Neugründungen auf bescheidenem Niveau. Die Vereine haben es schwer, Posten zu besetzen. Das geht aus dem Sportentwicklungsbericht hervor, der vom Deutschen Olympischen Sportbund, dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft und der Sporthochschule Köln herausgegeben wird. Neun Prozent der Vereine nehmen dieses Problem als Existenz bedrohend war. Sebastian Braun:
    "Erklärungen dafür sind vielfältig. Eine davon ist, dass wir in den Organisationen, in diesen traditionellen Organisationen noch sehr stark auf die Ochsentour setzen. Traditionelle Bindungen, aus der Familie kommend, favorisieren: also einmal auf Schalke, immer auf Schalke, und der Sohnemann entsprechend auch. Und dass die Lebenswege von Frauen wie von Männern heute zunehmend weniger diese traditionellen Bindungen überhaupt noch an einer Organisation erlauben – angesichts zunehmender Mobilität. Aber die Wünsche sind auch gar nicht mehr in dem Maße da, ein Leben lang einer Organisation treu bleiben zu wollen. Sondern man macht sich eher punktuell projektartig für bestimmte Initiativen stark, will sich dann aber auch nach bestimmter Zeit wieder rausziehen. Also gesamtgesellschaftliche Modernisierungsprozesse im Endeffekt."
    Auch der demografische Wandel spiegelt sich im Ehrenamt: Langsam wächst die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich über Training und Wettkampf hinaus in ihren Vereinen engagieren. Der stärkste Zuwachs von Ehrenamtlichen ist bei Menschen zu erkennen, die älter als 65 Jahre sind. Wie soll der Sport darauf reagieren? Tobias Leuckefeld, Lehramtsstudent in Berlin, berichtet von einer Initiative des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC.
    "Ich bin jetzt als Lehrer von Hertha BSC tätig an einer Grundschule. Die machen da jetzt ein Kooperationsprojekt, das vom Senat ins Leben gerufen wurde. Das nennt sich Profivereine machen Schule. Da bin ich im Zuge dieses Projektes jeden Tag an einer Grundschule mehrere Stunden tätig und unterstütze da die Sportlehrer in ihrer Tätigkeit."
    Etwa siebzig Prozent der Jugendteams werden von Betreuern gestützt, die keine Qualifizierung haben. Tobias Leuckefeld zeigt, dass es anders geht. Der 27-Jährige will im Sommer sein Studium abschließen. Er ist seit vier Jahren als Trainer aktiv, zunächst bei einem Kiezverein, seit kurzem als Assistent der unter Elfjährigen von Hertha BSC. Er betreut dort Feriencamps und soziale Projekte. Leuckefeld verkörpert die junge Generation, die persönlich von ihrem Ehrenamt profitieren möchte.
    "Ich selber mache das halt aus dem Grund, weil ich halt Lehramt studiere, und später halt auch in Klassen stehe und unterrichten werde, Sport, Sozialkunde und Geschichte. Und von daher dachte ich, wäre das ein guter Einstieg, um erstmal in diesem Beruf Fuß zu fassen. Und mich da ein bisschen daran zu gewöhnen, wie die Abläufe sind, welche Qualitäten und Merkmale man berücksichtigen muss. Was man vorweisen muss, um gezielt mit einer Gruppe von Kindern oder Jugendlichen arbeiten zu können, um bestimmte Ziele zu verfolgen."
    Langsam wächst das Netzwerk zwischen Vereinen, Schulen und Universitäten. Doch auch das belegen Studien: Junge Menschen, die sich für ein Ehrenamt entscheiden, bleiben dem Sport oft bis ins hohe Alter verbunden.