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Brüsseler Terroranschläge
"Terrorakte müssen polizeilich bekämpft werden"

Es müsse festgestellt werden, welche Reisebewegungen der Terroristen es gebe und wie die lokalen Netzwerke des Islamischen Staates funktionierten, sagte Irene Mihalic, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen für innere Sicherheit, im Deutschlandfunk. Sie hält aber nichts davon, nun in eine Kriegsrhetorik zu verfallen - denn es handele sich um widerliche Terrorakte und nicht um Krieg.

Irene Mihalic im Gespräch mit Rainer Brandes | 22.03.2016
    Ausschussmitglied Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) gibt am 05.02.2015 in Berlin vor der Sitzung des Untersuchungsausschuss des Bundestages in Berlin ein Statement ab.
    Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Rainer Brandes: Welche Konsequenzen haben die Anschläge von Brüssel für Deutschland? Welche Konsequenzen muss die Politik ziehen?
    - Diese Fragen kann ich jetzt mit Irene Mihalic besprechen. Sie ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Frau Mihalic, die Anschläge fanden mitten in der Hauptstadt Europas statt. Damit galten sie uns allen. Haben wir in Deutschland jetzt keine abstrakte Terrorgefahr mehr, sondern eine konkrete?
    Irene Mihalic: Ich glaube, dass die Terrorgefahr in Deutschland sowie in ganz Europa konstant hoch ist, wie wir sie auch schon in den letzten Monaten erlebt haben. Und ich glaube, dass man sich sowieso jederzeit auch hier in Deutschland darauf vorbereiten muss, dass eventuell solche Terroranschläge auch hier passieren könnten. Und da ist es natürlich wichtig, zu wissen, ob unsere Sicherheitsbehörden hier auch entsprechend aufgestellt sind, aber eben nicht nur in Deutschland, sondern auch in der europäischen Zusammenarbeit.
    Brandes: Sind unsere Sicherheitsbehörden denn da entsprechend aufgestellt, wie Sie sagen?
    Mihalic: Ja, das wollen wir auch erfragen, das müssen wir herausfinden. Wir hatten ja auch nach den Anschlägen von Paris das immer mal wieder thematisiert und auch zum Gegenstand unserer Anfragen und auch Debatten im Innenausschuss gemacht. Mein Eindruck ist der, dass es natürlich in der europäischen Zusammenarbeit, was die Frage von Informationsaustausch angeht, oder was auch polizeiliche Zusammenarbeit betrifft, dass da durchaus auch noch Luft nach oben ist. Ich glaube, da kann man noch eine Menge verbessern in der Zusammenarbeit. Und jetzt wird man natürlich sehen müssen nach den Anschlägen jetzt in Brüssel, wenn diese sozusagen ausgewertet sind. Wenn man da wirklich auch sehen kann, ob es da noch weitere Verbesserungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit gibt, dann muss man dem natürlich nachgehen.
    Brandes: Stichwort bessere Zusammenarbeit. Es gibt ja die Forderung, vor allem von Unionsseite, dass wir eine dauerhafte Schleierfahndung an den deutschen Grenzen brauchen, um Attentäter aufzuspüren. Würden Sie da mitgehen?
    Mihalic: Ich finde, jetzt ist gerade nicht die Zeit, Forderungen zu erheben, egal, in welche Richtung das jetzt geht, sondern ich finde, jetzt ist erst einmal die Zeit, genau zu analysieren, wie diese Terrorakte vorbereitet wurden, wie sie stattgefunden haben. Ich finde, jetzt muss man erst einmal die Polizei und auch die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit machen lassen, um dann zu sehen, woran hat es gelegen beziehungsweise welche Verbesserungspotenziale gibt es da, um solchen Attentätern auch tatsächlich zuvorkommen zu können. Wir Grüne haben deswegen im Bundestag auch einen Bericht im Innenausschuss in der nächsten Innenausschusssitzung setzen lassen. Wir wollen das da zum Thema machen. Und wir erwarten uns da natürlich auch von der Bundesregierung entsprechende Antworten beziehungsweise auch Vorschläge, welche Möglichkeiten es da für die deutschen Sicherheitsbehörden im europäischen Kontext gibt.
    Brandes: Und wäre da die Schleierfahndung eine solche Möglichkeit?
    Mihalic: Nicht vorschnell Forderungen erheben
    Mihalic: Ich finde, es wäre jetzt nicht gut, über verschiedene Maßnahmen zu spekulieren, ob das jetzt die Schleierfahndung ist oder ob das jetzt andere Maßnahmen sind. Ich halte das nicht für klug, jetzt Forderungen zu postulieren, bevor wir nicht genau wissen, wo tatsächlich Defizite in der Zusammenarbeit begründet liegen. Und das wollen wir uns erst einmal genau darlegen lassen. Ich finde, jetzt ist erst einmal angebracht, sich alles genau anzuschauen und nicht vorschnell Forderungen zu erheben, von denen wir noch gar nicht wissen, ob sie wirken.
    Brandes: Wir wissen ja bisher noch gar nicht, wer genau hinter den Anschlägen von Brüssel steckt. Nur der Islamische Staat hat sich dazu bekannt. Aber es gibt ja zumindest die Vermutung, dass der mutmaßliche Attentäter von Paris Abdeslam auch hier in den Planungen verwickelt sein könnte. Und der ist ja im vergangenen September offenbar durch Deutschland gereist, aber nicht verhaftet worden. Haben da also auch die deutschen Sicherheitsbehörden versagt?
    Mihalic: Um genau solche Deutschlandbezüge geht es, wenn wir das jetzt zum Thema auch im Innenausschuss machen. Das wollen wir natürlich genau wissen. Es ist wichtig, festzustellen, welche Reisebewegungen gibt es da und wie funktionieren auch die lokalen Netzwerke des Islamischen Staates. Ich finde, man darf sich jetzt nicht dieser Illusion hingeben, dass möglicherweise alles von einem zentralen Punkt irgendwo in Syrien aus gesteuert ist. Ich glaube, wir haben es hier tatsächlich auch mit regionalen gefestigten Strukturen zu tun. Und Terroristen vernetzen sich natürlich auch über diese Strukturen hinaus. Da muss man natürlich jetzt genau diese Deutschlandbezüge, wenn es die denn gibt, herausarbeiten. Und natürlich dann auch das Agieren unserer Sicherheitsbehörden in dem Bereich hinterfragen. Das wollen wir wirklich ganz genau wissen und deswegen machen wir das ja auch zum Thema.
    Brandes: Dafür braucht man dann natürlich auch das entsprechende Personal. Nun hat ja heute schon die Bundespolizei damit begonnen, die Grenzen zu Belgien zu kontrollieren. Aber viele Bundespolizisten sind ja im Moment noch gebunden in Bayern wegen der Flüchtlingsbewegungen. Das heißt, ist die deutsche Polizei damit eigentlich überfordert?
    Mihalic: Angespannte Personalsituation bei der Bundespolizei
    Mihalic: Der Punkt ist, dass wir wirklich eine sehr angespannte Personalsituation in der Bundespolizei haben. Das haben Sie völlig richtig gesagt. Viele sind an der österreichischen Grenze eingesetzt. Auch die Bundespolizei insgesamt trägt einen riesigen Überstundenberg vor sich her. Natürlich ist es da sowieso schon länger angebracht, nicht nur aufgrund der Anschläge jetzt in Brüssel oder anderswo, es ist grundsätzlich angebracht, sich über die Personalsituation der Bundespolizei erhebliche Gedanken zu machen. Und da mit einem vernünftigen Personalkonzept gegenzusteuern. Und die Versäumnisse, die wir in den letzten Jahren in der Personalpolitik erlebt haben, natürlich aufzuarbeiten. Ob die Bundespolizei oder ob die deutschen Sicherheitsbehörden jetzt aktuell tatsächlich gut aufgestellt sind, um auch solchen Gefahren zu begegnen, das sind natürlich Antworten, die muss die Bundesregierung geben. Und die erwarte ich von der Bundesregierung auch.
    Brandes: Frankreichs Präsident Hollande, der hat heute als Reaktion auf die Anschläge gesagt, wir sind im Krieg und es sei eine ständige Mobilisierung erforderlich. Wenn Sie das hören, haben viele bei uns in Deutschland noch gar nicht richtig verstanden, wie bedroht wir sind?
    Mihalic: Ich würde dringend davon abraten, jetzt in eine Kriegsrhetorik zu verfallen. Denn wenn wir tatsächlich von solchen Verbrechen von Krieg reden, dann würden wir ja sozusagen anerkennen, dass es sich bei dem Islamischen Staat tatsächlich um einen Staat handelt. Aber ich glaube eher, dass wir es hier mit einer terroristischen Struktur zu tun haben, die hier in Europa widerwärtige Terrorakte begeht. Und das sind schwerwiegende Straftaten, die müssen polizeilich bekämpft werden. Deswegen müssen wir hier auch mit polizeilichen Mitteln ran. Und diese Kriegsrhetorik, ich glaube, damit geht man einerseits diesen Terroristen auf den Leim, die sowieso ständig sagen, dass sie sich mit uns, auch mit unseren Werten, mit unserer Lebensweise im Krieg befinden. Und auf der anderen Seite verschleiert es sozusagen die Voraussetzungen oder das, was jetzt aktuell polizeilicherseits zu tun wäre. Deswegen würde ich dringend davon abraten, hier von Krieg zu reden.
    Brandes: ... sagt Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.