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Anschläge in Brüssel
"Es kann nie hundertprozentige Sicherheit geben"

Jan Philipp Albrecht, Mitglied der Grünen im Europäischen Parlament, war zum Zeitpunkt der Anschläge nur wenige hundert Meter von der betroffenen Metro-Station entfernt. Angesichts der Tatsache, dass man Anschlägen nicht hundertprozentig aus dem Weg gehen könne, müsse man in der EU jetzt alles daran setzen, den Terror gemeinsam zu bekämpfen, sagte er im DLF.

Jan Philipp Albrecht im Gespräch mit Thielko Grieß | 22.03.2016
    Der Grünen-Politiker Jan-Philipp Albrecht
    Der Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht (Bodo Marks / dpa)
    Thielko Grieß: Ich begrüße Jan Philipp Albrecht am Telefon, Mitglied des Europäischen Parlaments, ein grünes Mitglied. Guten Tag, Herr Albrecht.
    Jan Philipp Albrecht: Ja guten Tag.
    Albrecht: Ich bin in meinem Abgeordnetenbüro im Europäischen Parlament, das ja wenige hundert Meter nur von dieser Metro-Station Malbeck entfernt ist, und wir sind auch alle gehalten, in unseren Büros oder in den Gebäuden zu bleiben, oder ganz zuhause zu bleiben für die, die noch nicht da sind.
    Grieß: Das Parlament hatte heute eigentlich einen normalen Arbeitstag vor sich?
    Albrecht: Wir hatten nicht nur einen normalen Arbeitstag, sondern mit einer sehr vollen Ausschusswoche, die ja auch sehr kurz ist wegen der Osterferien, viel auf dem Programm. Viele Termine werden jetzt kurzfristig abgesagt. Auch wir stehen natürlich jetzt vor der Herausforderung zu gucken, was können wir überhaupt noch leisten. Aber ich glaube, es ist auch richtig, nicht ganz in Untätigkeit zu verfallen, gerade für uns, die in dem Bereich Innen- und Sicherheitspolitik jetzt gerade arbeiten.
    "In dem Moment ändert sich das Stadtbild sofort"
    Grieß: Noch eine Frage zu Ihnen auch als womöglichen Augenzeugen. Was haben Sie heute Morgen auf dem Weg ins Parlament gesehen, beobachten können?
    Albrecht: Ich bin heute relativ früh schon hier zum Platz Luxemburg. Das ist der Platz direkt vor dem Europäischen Parlament. Wir hatten ein Frühstück mit unserer Parteichefin Frau Peter und da ist uns die Nachricht sozusagen direkt nach acht Uhr zu Ohren gekommen von den Anschlägen in Brüssel. Dann sind wir zu Fuß rübergegangen zum Parlament und in genau dem Moment muss es tatsächlich auch in dieser Metro-Station zu diesem Anschlag gekommen sein, und in dem Moment ändert sich natürlich das Stadtbild sofort. Die Menschen ziehen sich alle zurück und versuchen, ihre Angehörigen zu erreichen, das geht uns natürlich nicht anders, und versuchen, letztendlich allen Gefahrensituationen aus dem Weg zu gehen.
    "Wir sind in einer Europäischen Union, die im Fokus dieser Angriffe steht"
    Grieß: Wir bekommen hier, Herr Albrecht, gerade Eilmeldungen mit einem Statement des belgischen Premierministers Charles Michel, der in einer Pressekonferenz davon spricht, dass es sich bei diesen Anschlägen um Terroranschläge gehandelt habe. Richten sich diese Terroranschläge auf Belgien oder auf die Europäische Union?
    Albrecht: Ganz sicher lässt sich das nicht mehr trennen. Wir sind in einer Gemeinschaft europäischer Staaten, wir sind in einer Europäischen Union, die im Fokus dieser Angriffe steht. Unsere liberalen demokratischen Grundstrukturen, der Rechtstaat, die Grundrechte, die werden hier angegriffen, und ich glaube, das wäre falsch, wenn wir immer darin zurückfallen würden zu sagen, oh, hier ist in Frankreich was passiert, hier ist in Belgien was passiert und vielleicht auch mal woanders in Europa. Nein, es ist mitten in Europa. Wir sind zusammen in dieser Situation und wir müssen auch zusammenhalten, und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass jetzt die Behörden der EU-Länder ganz eng zusammenarbeiten und wir auch die Konsequenz daraus ziehen, dass wir uns nicht mehr nebeneinander her um diese Fragen kümmern können.
    Grieß: Ist dieses Nebeneinander denn nicht längst vorbei, spätestens seit dem 13., 14. November und Paris?
    Albrecht: Das ist ganz sicher der Fall. Wir haben zwischen den Behörden in Frankreich und Belgien insbesondere schon sehr gute Zusammenarbeit jetzt gesehen. Aber wir haben keine wirklich organisierte umfangreiche Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zwischen den Sicherheitsbehörden, noch immer nicht. Das kann sich auch nicht von heute auf morgen ändern. Das ist ein Prozess. Aber es ist wichtig, dass in diesem Prozess der politische Wille ganz deutlich geäußert wird, dass es in diese Richtung gehen muss und dass wir uns nicht zurückziehen in den Nationalstaat und sagen, wir machen die Grenzen dicht. Dieser international agierende Terrorismus, der hier auch nach Europa kommt, der zeigt mehr als deutlich, dass diese Grenzen uns nicht schützen.
    Keine ausreichende Ausstattung der Polizeibehörden
    Grieß: Und solange sich Europa im Prozess befindet, können Terroristen (mutmaßlich, fügen wir hinzu zu diesem Zeitpunkt) all dies ausnutzen?
    Albrecht: Es ist jedenfalls so, dass wir derzeit verwundbar sind. Das liegt auch daran, dass wir über Jahre in Systeme und Datenbanken investiert haben, die viel Geld und Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, ohne gleichermaßen oder auch stattdessen in die bessere Ausstattung von Polizeibehörden und die bessere Zusammenarbeit, den besseren Austausch von Informationen in Europa zu kümmern. Das muss jetzt zügig schnellstens nachgeholt werden und daran müssen wir jetzt arbeiten.
    Grieß: Und Belgien ist überfordert?
    Albrecht: Das glaube ich nicht. Ich glaube, Belgien hat gezeigt, auch der belgische Premier, dass sie hier mit dieser Situation umgehen konnten. Sie haben natürlich sehr deutlich nach dem 13. November auch reagiert mit der höchsten Terrorstufe, die ja auch jetzt wieder ausgerufen ist, so dass klar ist, hier versucht man alles, um dem Herr zu werden. Aber ich glaube auch, dass Belgien alleine das nicht wird lösen können. Wir brauchen die Unterstützung dort.
    "Es kann nie hundertprozentige Sicherheit geben"
    Grieß: Aber da muss ich doch noch einmal nachfragen. Sie haben gerade gesagt, Belgien zeige, dass es mit der Situation umgehen kann. Heute Morgen hat es Anschläge gegeben, bei denen Menschen gestorben sind.
    Albrecht: Das ist absolut richtig. Aber der belgische Premier hat eben auch am Anfang gesagt - und das gehört mit zur Wahrheit dazu -, dass diese Bedrohung da ist, und er hat selbst im November letzten Jahres, als die Paris-Anschläge stattgefunden haben, deutlich gemacht, es wird auch in Belgien solche Anschläge geben. Wir können das nicht hundertprozentig ausschließen, es kann nie hundertprozentige Sicherheit geben. Wichtig ist, dass man angesichts der Tatsache, dass wir diesen Terroranschlägen nicht hundertprozentig aus dem Weg gehen können, alles daran setzt, die Ursachen und die Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern, und zwar gemeinsam in Europa. Daran müssen wir arbeiten, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen jetzt neu anfachen zu lassen, oder auf einfache, vermeintlich einfache Lösungen zu setzen. Es wird eine harte Arbeit sein, die Sicherheit zu verbessern in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie, die wir ja gemeinsam verteidigen wollen gegen diese Angriffe.
    Grieß: Jan Philipp Albrecht, Mitglied des Europäischen Parlaments, grünes Mitglied dieses Parlaments, jetzt zugeschaltet aus Brüssel. Herr Albrecht, herzlichen Dank für Ihre Eindrücke und Ihre Analysen und Ihre Zeit heute Mittag.
    Albrecht: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.