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Cannabis auf Kassenrezept
Bundesweit erstes Therapiezentrum geplant

Ab März 2017 ist Cannabis in Deutschland legal – als Medikament für schwerkranke Patienten. In München soll nun ein Therapie-und Informations-Center für Betroffene entstehen. Dort sollen sie sich mit anderen Patienten austauschen können - etwa darüber, inwiefern der Cannabis-Konsum das Autofahren beeinflusst.

Von Susanne Lettenbauer | 21.02.2017
    Ein Mann dreht sich einen Joint.
    Vor allem für Schmerzpatienten ist Cannabis oft eine sinnvolle Medizin. (dpa / picture-alliance / Christophe Morin)
    "Ich bin Alexandra Scheiderer, 43 Jahre, Schmerzpatientin."
    "Ja, ich bin Franz Wolf, 49 Jahre, auch Schmerzpatient."
    Die beiden Münchner Franz Wolf und Alexandra Scheiderer sind wieder voller Hoffnung. Seit bekannt wurde, dass in München in Kürze ein Cannabis-Therapie- und Informations-Center entsteht, haben sie das Gefühl, sie würden endlich ernst genommen, sagt Franz Wolf. Er gehört zu den 1200 Menschen in Deutschland, die zwar schon vor dem neuen Gesetz per Ausnahmegenehmigung legal Cannabismedikamente in Apotheken bekommen. Doch einen Arzt zu finden, der das Thema nicht mit spitzen Fingern anfasst, war bisher extrem schwierig. Außerdem mussten Patienten für die Medikamente selbst aufkommen. Franz Wolf:
    "Wenn Patienten ärztlich verordnet eine Medikation bekommen und dann alleine gelassen werden mit der wirtschaftlichen Situation, dann spricht das Bände. Das ist dem Gesetzgeber noch nicht aufgefallen, dass hier Menschenleben ruiniert werden und das spricht Bände."
    Das neue Zentrum könnte Aufklärungsarbeit leisten, dass Hanfpatienten nicht einfach nur Kiffer sind, ist Wolf überzeugt.
    Über 100 Cannabissorten für verschiedene Krankheiten
    Eine jahrelange Odyssee durch zahlreiche Arztpraxen könnte für sie dadurch zu Ende gehen, meint Alexandra Scheiderer, die seit 2005 nach vier Bandscheibenvorfällen Morphine und Psychopharmaka nimmt:
    "Ja vor allem, dass man endlich aus diesem Wirrwarr, von Arzt zu Arzt geschickt zu werden, herauskommt und vor allem dass wir auch diese Sorten bekommen, die für uns notwendig sind, denn es gibt ja über 100 Cannabissorten für verschiedene Krankheiten."
    Die Krankheitsgeschichte der Schmerzpatientin begann mit den Bandscheibenvorfällen, dann kamen spastische Anfälle hinzu, verursacht durch Schmerztabletten, meint ihr Arzt. Die extremen Folgeschäden hätten durch die Einnahme von Cannabistabletten verhindert werden können, ist sie überzeugt. Eine Ausnahmegenehmigung wie Franz Wolf hatte sie trotzdem bisher nicht bekommen. Alexandra Scheiderer:
    "Also ich bin ein Versuchskaninchen, das einfach nur weitergereicht wird und keiner hilft mir wirklich, das kann es einfach nicht sein... Ich will einfach Cannabis und damit kann ich fünf Medikamente weglassen, deshalb hoffe ich auf das Therapiezentrum."
    Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
    Eine von vielen Cannabissorten. Insgesamt gibt es über 100 Arten für verschiedene Krankheiten. (dpa / picture alliance / Abir Sultan)
    Franz Wolf besorgte sich den Hanf früher auf dem Schwarzmarkt. Mittlerweile seien sehr gute Medikamente als Tabletten, Öl oder Zäpfchen erhältlich. Nur wie viele Ärzte wüssten davon und würden sie auch nach dem 1. März, der Legalisierung von Cannabis als verschreibungspflichtiges Schmerzmittel, verschreiben? Genau da will Wenzel Vaclav Cerveny ansetzen, Ideengeber und Geschäftsführer des Cannabis-Zentrums München:
    "Wir werden also in diesem Therapiezentrum eine Arztpraxis haben mit zwei Ärzten, die sich ergänzten, wo wir uns auf Cannabistherapien spezialisieren. Das heisst die Leute haben eine Anlaufstelle, wo sie, wenn sie der Meinung sind, dass für ihre Krankheit Cannabis die vorteilhaftere Medizin wäre, sich von uns beraten lassen können, ob sie dafür in Frage kommen."
    Scheiderer: "Patienten werden immer stigmatisiert"
    Man wolle keine Kifferklinik werden, betont Cerveny. Es gehe nicht darum, vergnügungssüchtigen Jugendlichen zum kostenlosen Rausch zu verhelfen. Das ist auch nicht die Intention des Gesetzes. Deshalb bekämen Interessenten anfangs eine Art Prüfungs- und Beratungstermin. Dann würde die Krankenakte von den Ärzten begutachtet werden und erst danach in einem zweiten Termin würde die Behandlung besprochen werden.
    Eine auf Palliativmedizin spezialisierte Ärztin wird sich ab März in dem Münchner Cannabiszentrum gemeinsam mit einem Kollegen um die Betreuung der Patienten kümmern. Abgerechnet wird wie in einer ganz normalen Praxis für Kassen– und Privatpatienten. Doch die Praxis ist nur ein Teil des Angebots. Das Zentrum soll auf vier Beinen stehen, erklärt Cerveny. Das wichtigste sei die Information der Bevölkerung. Vorträge und Infoabende sollen aufklären, welche Anwendungsgebiete es für Hanf generell gibt.
    Passend dazu eröffnet ein Hanfcafé und Shop mit Kleidung und legalen Nahrungsmitteln. Besonders wichtig ist Alexandra Scheiderer die geplante Patientenlounge, in der sich die Patienten über ihre Erfahrungen mit Cannabis als Medizin austauschen können. Zum Beispiel, inwiefern das Autofahren beeinträchtigt wird. Alexandra Scheiderer:
    "Wenn ich jetzt lange Morphine nehme, kann ich auch Auto fahren und bei Cannabis ist das dasselbe, wenn ich Cannabis nehme und es ist von keinem von uns das Ziel sich weg zu schießen oder high zu sein, sondern wir wollen einfach normal sein. Auch die Patienten werden immer stigmatisiert und das Leben zur Hölle gemacht durch die Behörden."
    Aufklärungsarbeit steht also an vorderster Stelle. Das Cannabis-Therapie- und Informations-Center CTIC in München will Mitte März starten zunächst mit 10 Mitarbeitern Ziel der Gründer ist es, in jeder deutschen Großstadt ein solches Zentrum zu etablieren.