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Caritas und Optiker wollen "Gutes Sehen für alle"

Jetzt ist die Zeit der Fotografen, denn das Licht und die Farben sind im Herbst besonders schön, jetzt ist aber auch die Zeit der Sehschwächen, denn die tief stehende Sonne und das frühe Dämmerlicht machen vielen Verkehrsteilnehmern Probleme. Wer in der Dämmerung Details nicht mehr erkennen kann, dem könnte vielleicht eine Brille helfen, wenn er sie bezahlen kann. Laut Caritas sind dazu aber immer weniger Bundesbürger in der Lage. Deshalb wollen der Wohlfahrtsverband und der Augenoptiker-Verband nun 3000 Brillen an arme Berliner verteilen, um auf die schlechte medizinische Versorgung von Hartz-IV-Empfängern aufmerksam zu machen.

Von Dieter Nürnberger | 10.10.2012
    Der Zentralverband der Optiker - also einer der beiden Initiatoren der Aktion Gutes Sehen für alle - sprach heute Vormittag selbst vom berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Das heißt, man ist sich natürlich bewusst, dass die Zahl 3000 angesichts der eingeschätzten Problemlage eher gering ist. Und geht es nach dem zweiten Initiator, der Caritas, dann sind diese 3000 Brillen für bedürftige Berliner auch nur ein Anfang. Andere Landesverbände dieses großen Sozialverbandes in Deutschland könnten die Aktion vielleicht auch fortführen, so die Hoffnung.

    Der Deutsche Caritasverband will sich mit dieser Verteilaktion dafür einsetzen, dass arme Menschen generell die Brille bekommen, die sie auch brauchen, sagt Peter Neher, der Präsident des Caritasverbandes. Er kann zwar keine konkreten Zahlen von Bedürftigen nennen, das Problem sei aber größer als viele vermuteten.

    "Das sind im Grunde alle Menschen, die von Arbeitslosengeld II leben und natürlich auch jene, die knapp darüber sind. Es ist eine somit relativ große Zahl. Sehen und nicht gut sehen hat ja auch etwas mit Lebensqualität und auch Sicherheit zu tun: Wenn Sie Dinge einfach nicht wahrnehmen können - beispielsweise im Straßenverkehr, dann ist dies auch im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich. Neben der Tatsache, dass Sie keine Zeitung oder ein Buch richtig lesen können. Das ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens, des Lebens überhaupt."

    3000 bedürftige Berliner haben bis Ende November die Möglichkeit, über die Vermittlung der Caritas eine individuell angepasste und vor allem kostenlose Brille zu bekommen. Man muss sich erst bei der Caritas melden und wird dort dann an Optiker verwiesen, die an der Aktion teilnehmen.

    Beide Verbände wollen damit natürlich auch auf die sozialen Rahmenbedingungen in Deutschland aufmerksam machen. Es ist ja längst so, dass die gesetzlichen Krankenkassen kaum noch etwas übernehmen, das hat auch immer wieder die Stiftung Warentest festgestellt. Nur noch unter bestimmten Bedingungen gibt es einen Zuschuss zu den Gläsern, sagt Warentest-Expertin Cornelia Nowak.

    "Es ist so: Wenn eine Sehhilfe als sogenannte therapeutische Sehhilfe notwendig wird, im Falle einer Augenerkrankung, dann würde die Krankenkasse den Zuschuss zur Brille zahlen. Oder, wenn wirklich eine sehr schwere Sehbeeinträchtigung vorliegt. Da muss man aber wirklich fast blind sein, nur noch ein ganz kleines Gesichtsfeld haben oder eine sehr geringe Sehschärfe - und zwar auf beiden Augen."

    Weil die Leistungen der Krankenkassen in den vergangenen Jahren immer mehr eingeschränkt wurden, greifen viele Betroffene nur noch zu sogenannten Lesehilfen, die es billig in Supermärkten oder auch in Drogerien zu kaufen gibt. Ein vollwertiger und sinnvoller Ersatz für eine Brille seien diese Produkte aber nicht, sagt Thomas Truckenbrod, der Präsident des Zentralverbandes der Augenoptiker.

    "Diese Brillen haben links und rechts die gleiche Glasstärke. Es gibt sie auch bloß in bestimmten Abstufungen. Und kaum ein Augenpaar ist so beschaffen, dass die Augen entsprechend zu einer solchen Brille passen. Insbesondere für eine Kurzsichtigkeit, da sieht man in der Ferne weniger, gibt es solche Lesehilfen praktisch gar nicht. Es sind Hilfsmittel, ein komfortables Sehen ist damit nur in seltenen Fällen möglich."

    Die beiden Verbände setzen sich auch für eine Änderung der gesetzlichen Regelungen ein. Konkret: Bezieher von Arbeitslosengeld II oder von Sozialhilfe sollten mehr finanzielle Unterstützung bekommen, sagt Caritas Präsident Peter Neher:

    "Im Regelsatz vom Arbeitslosengeld II ist es pro Monat 2,50 Euro - mehr ist hier für entsprechende Sehhilfen nicht vorgesehen. Das sind im Jahr 30 Euro. Jeder, der eine Brille trägt, weiß, wie weit er hier mit 30 Euro kommt. Nämlich überhaupt nicht weit."

    Beide Verbände hoffen nun also auf Nachahmer in anderen Bundesländern, und auch - wie im Berliner Fall - auf Sponsoren, die die Kosten für die 3000 Brillen übernehmen. Und man hofft darauf, dass sich die Politik des Themas annimmt.