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Carsten Linnemann zum Asylstreit
Unions-Fraktionsvize will "so etwas nicht noch mal erleben"

Im Streit um die Asylpolitik dürfe es nicht zum Bruch der Union kommen, sagte der CDU-Politiker Carsten Linnemann im Dlf. Die Chancen auf Einigung stünden aber höher als sich viele ausrechnen würden. Der "Masterplan" der CSU könne ein Wendepunkt in der Politik der großen Koalition sein.

Carsten Linnemann im Gespräch mit Stefan Heinlein | 27.06.2018
    Carsten Linnemann (CDU), Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, spricht in Köln beim Bundesparteitag der CDU
    Carsten Linnemann, Unions-Fraktionsvize und Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (pa/dpa/Kappeler)
    Stefan Heinlein: "Schicksalstage der Großen Koalition" - das klingt wie der Titel eines Groschenromans, ist aber die Überschrift überregionaler Zeitungen in diesen Tagen. Wieder einmal eine nächtliche Arbeitssitzung in Berlin. Wieder einmal ein Krisentreffen der Koalitionäre und erneut gibt es wohl keinen Durchbruch, keine Einigung im zähen Asyl- und Flüchtlingsstreit der Union. CDU und CSU haben sich weiter ineinander verhakt. Die SPD reagiert zunehmend genervt.
    Am Telefon nun Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann. Guten Morgen, Herr Linnemann.
    Carsten Linnemann: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Was wissen Sie aus der Nacht über die Ergebnisse des Koalitionsausschusses?
    Linnemann: Der Fraktionsvorsitzende hat sich heute Morgen geäußert, ziemlich klar, dass man sich beim Baukindergeld geeinigt hat. Das ist richtig, das haben wir vereinbart. Man kann darüber diskutieren, ob es das richtige Instrument ist. Ich hätte mir auch steuerliche Entlastungen mehr vorstellen können. Aber wir haben uns darauf geeinigt, und dann muss man auch zu seinem Wort stehen. Das ist genau das, was die Leute wollen. Es war ja mal in der Diskussion, dass es eine Begrenzung gibt bei der Quadratmeterzahl. Die ist raus, das finde ich richtig.
    Jetzt liefern wir und da sollten wir uns ein Beispiel dran nehmen, an diesem Baukindergeld. Da brauchen wir mehr von, dass wir das umsetzen, was wir den Menschen in Aussicht gestellt haben. Die Menschen wollen keinen Streit, sondern sie wollen Ergebnisse.
    Chancen auf Einigung "höher als sich viele ausrechnen"
    Heinlein: Baukindergeld interessiert viele Menschen, Herr Linnemann. Sicherlich, die Menschen wollen keinen Streit. Streit sucht aber die CSU bei einem anderen Thema: Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wie hoch sind denn aus Ihrer Sicht die Chancen für eine einvernehmliche Lösung zwischen CDU und CSU, zwischen Merkel und Seehofer?
    Linnemann: Die Chancen stehen höher als sich, glaube ich, viele ausrechnen, weil jeder von den Abgeordneten weiß: Wenn es hier zu einem Bruch kommt, in zehn, 20 Jahren müssen wir uns alle rechtfertigen, wie konnte es so weit kommen bis hin zu einem Bruch der Fraktionsgemeinschaft.
    Herr Dobrindt und auch die Bundeskanzlerin hat gestern explizit und auch ganz offensiv gesagt, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind, und das sagen sie nicht ohne Grund. Wir sehen, was in Holland passiert, in Italien: Volksparteien brechen weg. Wir sehen das in Italien mit Berlusconi, danach Renzi, jetzt haben wir Populisten. Genau die Situation brauchen wir nicht in Deutschland. Wir brauchen Stabilität und dieser Verantwortung sind sich alle bewusst. Deswegen muss man am Sonntag - übrigens wenn Sie mich fragen, Herr Heinlein, sage ich auch ganz direkt an dieser Stelle, meines Erachtens muss man sich vor den Gremien einigen. Wenn man erst in die Gremien geht, ohne Einigung, dann ist das Ende offen.
    "Beide Seiten wollen eine europäische Lösung"
    Heinlein: Dann frage ich Sie, Herr Linnemann, ganz persönlich. Stehen Sie voll und ganz hinter Ihrer Parteivorsitzenden und unterstützen Sie die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Kanzlerin?
    Linnemann: Ich unterstütze die Asyl- und Flüchtlingspolitik der CDU und CSU, der Bundeskanzlerin und auch von Herrn Seehofer, weil beide eine europäische Lösung wollen, und es gibt nur eine europäische Lösung und das wissen alle. Die Frage ist nur, wie kommt man da hin. Und wenn sie seit zwei, drei Jahren sagen, wir wollen diese europäische Lösung, aber wir haben jeden Monat immer noch Tausende von Menschen, die illegal nach Deutschland kommen, dann beschäftigt das nicht nur die Wirtschaft, sondern den einfachen Bürger, weil wir einen funktionierenden Rechtsstaat brauchen.
    Das ist ja der Streit in der Sache: Wie kommen wir zu dieser europäischen Lösung. Und da sagt die CSU, im Zweifel müssen wir auch diese Signale an unserer Grenze senden, damit wir weiterkommen. Und wir sehen ja: Es regt sich kaum einer auf, weil jeder sagt zurecht, Menschen mit Wiedereinreiseverbot dürfen nicht zurück ins Land. Das findet seit einigen Tagen statt. Man muss sehen, dass das in der Praxis auch funktioniert. Aber genau das erwarten die Leute. Dieses Land ist weltoffen. Man möchte aber auch Regeln, Recht und Ordnung an den Grenzen.
    "Müssen Gipfel am Wochenende abwarten"
    Heinlein: Verstehe ich Sie richtig, Herr Linnemann? Über das Ziel sind sich alle Seiten einig, Merkel, Seehofer und auch Herr Linnemann?
    Linnemann: Richtig.
    Heinlein: Nur über den Weg dorthin gibt es weiterhin Streit?
    Linnemann: Das ist richtig und da erwarte ich auch von der Führungsspitze, sie trägt natürlich auch die Verantwortung, genauso wie ich natürlich auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, aber ich erwarte, dass man sich vor den Gremiensitzungen am Sonntag - die CSU beginnt um 15 Uhr, das CDU-Präsidium um 17 Uhr und der Bundesvorstand um 19 Uhr -, ich erwarte, dass man sich im Grundsatz einigt. Weil wenn man ohne Einigung in diese Gremien geht, ist wirklich alles offen.
    Heinlein: Sie erwarten Führung. Sie erwarten, dass man sich einigt, vor dieser Gremiensitzung. Wird es Zeit, dass die Kanzlerin auf den Tisch haut, die Richtung vorgibt und im Zweifel dann auch von ihrer Richtlinienkompetenz gegenüber ihrem Innenminister Gebrauch macht?
    Linnemann: Nein. Die Kanzlerin trifft sich am Wochenende in Brüssel. Wir hatten am letzten Wochenende Gespräche. Und wir sehen ja, dass auch durch diese Auseinandersetzung neue Dynamik in die europäische Gemeinschaft kommt. Dieses Europa ist ein Glücksfall auch für die Wirtschaft, für den Binnenmarkt. Da müssen wir weiterkommen. Und wenn ich höre, was am Wochenende diskutiert wurde, bis hin zu einem Mandat für Frontex im Mittelmeer und andere Themen, das war gar nicht denkbar vor ein, zwei Jahren. Deswegen müssen wir jetzt diesen Gipfel am Wochenende abwarten, und dann muss es am Sonntag zu einer Einigung kommen.
    Heinlein: Der Gipfel ist am Donnerstag/Freitag, wenn ich das richtig im Kopf habe, Herr Linnemann.
    Linnemann: Richtig.
    "Die Parteispitzen müssen sich einigen"
    Heinlein: Ich will noch einen Moment über die CDU, über die Union reden, über die Richtlinienkompetenz. Wolfgang Schäuble hat da klipp und klar gesagt, Angela Merkel habe aus der Würde ihres Amtes heraus keine Wahl, als Horst Seehofer bei einem Alleingang - und der steht ja nach wie vor im Raum - zu entlassen. Haben Sie da einen Alternativvorschlag?
    Linnemann: Herr Heinlein, soweit darf es nicht kommen! Ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages und ich möchte keine Verschiebung des Koordinatensystems. Wir haben bereits eine durch die AfD erlebt und ich möchte keine zweite. Und eine zweite könnte dann kommen, wenn es zu solchen Szenarien kommt. Deswegen muss die Parteispitze, die Parteispitzen müssen sich einigen bis Sonntagmittag. Meines Erachtens darf es soweit nicht kommen.
    Das Problem, was wir ja im Moment haben - und das gebe ich ja auch zu -, das ist natürlich nicht die Patentlösung. Auch die CSU gibt ja zu, dass das nicht die Patentlösung ist. Deswegen gibt es ja einen Masterplan mit mehr als 60 Punkten. Da geht es auch um Entwicklungsarbeit, um Zusammenarbeit mit Afrika, um Abschiebungen. Es geht um Rechtsstaat, es geht um ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz. Das ist ein großes Paket! Und wenn wir es schaffen, als Union dieses Paket dann in Gänze mit der SPD zu verkaufen, dann könnte das ein Wendepunkt sein in dieser Politik, weil viele Leute das Problem haben, dass die Große Koalition da weitermacht, wo sie aufgehört hat. Deswegen hoffe ich auf diesen Wendepunkt. Das erwarten die Leute von uns und nichts anderes, und das sehen viele Abgeordnete so wie ich.
    "Die Fraktionsgemeinschaft muss zusammenbleiben"
    Heinlein: Das ist genau der Punkt. Als Fraktionsvize müssen Sie ja das Ohr am Puls der Abgeordneten haben. Wenn Sie da genauer hinhören, wie geschlossen steht denn die CDU-Fraktion hinter Angela Merkel und ihrer Position?
    Linnemann: Ich kann Ihnen sagen, das, was ich letzte Woche erlebt habe, möchte ich nicht noch mal erleben, oder vorletzte Woche. Wir hatten eine getrennte Fraktionssitzung und dort stand die CDU, die Kanzlerin, aber auch Herr Seehofer, Herr Dobrindt, die indirekt gesagt haben, so was darf nicht noch mal vorkommen. Deswegen bin ich auch froh, dass wir jetzt am Wochenende nicht noch mal eine getrennte Sitzung machen, sondern uns am Montag Zeit nehmen. Das Plenum beginnt erst am Dienstag. Die richtige Entscheidung, um darüber zu reden.
    Noch mal: Die Abgeordneten spüren, welche Verantwortung sie haben. Es ist schon so ein Scheideweg, der da in der Luft ist, und so weit darf es nicht kommen. Wenn Sie sich die PVV anschauen in Holland, wenn Sie sich Italien anschauen, den Front National in Frankreich, die Welt gerät aus den Fugen. Wir sehen das transatlantische Verhältnis in Gefahr und so weiter. Sie kennen die ganzen Themen. Deswegen steht, glaube ich, die Fraktionsgemeinschaft muss zusammenbleiben, steht überein.
    "Der Mittelstand will Planungssicherheit"
    Heinlein: Herr Linnemann, Sie sind nicht nur Fraktionsvize, sondern auch Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union. Aus der Wirtschaft hat sich ja in den letzten Tagen die Kritik am Asylstreit der Union gehäuft. Was hören Sie aus dem Mittelstand und aus der Wirtschaft? Sie haben noch 30 Sekunden, uns das zu sagen.
    Linnemann: Der Mittelstand will Planungssicherheit. Der Mittelstand sagt zu mir, ich will keine Subventionen, ich will Planungssicherheit, und dazu gehört auch das Thema Sicherheit. Und Grundvoraussetzung ist ein funktionierender Rechtsstaat und das müssen wir dem Mittelstand geben, keine Subventionen, funktionierender Rechtsstaat und Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Dann sind die zufrieden.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann. Herzlichen Dank für Ihre Zeit und auf Wiederhören nach Berlin.
    Linnemann: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.