Dienstag, 30. April 2024

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Cartoonist Michael Holtschulte
"Der Tod ist im Mainstream angekommen"

Früher ein Tabuthema, mittlerweile eine Lachnummer: Cartoonist Michael Holtschulte nimmt mit seinem "Malbuch des Todes" dem Sensenmann den Schrecken. Und auch mit politischen Zeichnungen sorgt er in der Tagespresse für Aufsehen. "Eigentlich ist nichts nicht-politisch", sagte Holtschulte im Dlf.

Michael Holtschulte im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 18.12.2017
    Michael Holtschulte und sein neuer Cartoonband "Malbuch des Todes"
    Das Motiv des Sensenmanns steht seit Jahrtausenden für den Tod - Michael Holtschulte nimmt ihm den Schrecken (Carlsen Verlag)
    Adalbert Siniawski: Den Tod, den kann man sich nicht ausmalen, heißt es. Doch es gibt einen Cartoon-Zeichner, der es möglich macht. Michael Holtschulte hat ein "Malbuch des Todes" gezeichnet - zur Hälfte jedenfalls, denn es ist eine Art Comic-Buch zum Selbstausmalen. Man kann Urnen verzieren, eine Schreckensvision in eine Glaskugel malen oder den Absturz eines Flugzeugs kolorieren. Und am Rande kommentiert Holtschulte mit Wortwitz auch das Tabuthema Tod - wie schon zuvor auf seiner Facebook-Seite "Tot aber lustig". Ich habe Michael Holtschulte gefragt: Warum der Tod als Thema? Verkauft sich der gut?
    Holtschulte: Ich denke, das hat mit dem Thema zu tun. Um so einen schwarzen Humor zu bebildern, braucht man einen Protagonisten, der das Ganze darstellt. Und ich bin ja jetzt nicht der erste Cartoonist, der den Sensenmann sehr gerne zeichnet - das wäre dann die Person, mit der ich im Grunde genommen meine Cartoons dann bebildere -, aber er bietet sich unglaublich gut dafür an, um dieses abstrakte Thema in ein Bild zu fassen.
    "Der Tod ist im Mainstream angekommen"
    Siniawski: Aber es ist auch ein Tabu-Thema. Für Sie nicht?
    Holtschulte: Ich habe das Gefühl, das ist in den letzten Jahren tatsächlich weniger Tabu-Thema …ja, nicht geworden, es ist … als es früher war. Man hat heutzutage, glaube ich, mehr mit Religionskritik zu tun, bei der dann gesagt wird, darf man das, oder so. Der Tod, der ist da tatsächlich ein bisschen mehr im Mainstream angekommen, würde ich fast sagen.
    Siniawski: Sind Sie dem Tod mehr auf die Schliche gekommen als ein Normalsterblicher wie ich?
    Holtschulte: Das würde ich verneinen. Ich denke, dass es einfach ein sehr schwarzer Humor ist, den ich versuche, in Bilder zu fassen. Und da sind wir wieder genau bei dem Protagonisten, mit dem ich da extrem gut arbeiten kann.
    Ein basisdemokratisches Buch
    Siniawski: Genau, der klassische Sensenmann: schwarze Kutte, das Gesicht hinter der Kapuze versteckt, Sense in der Hand. Eine Allegorie, die es seit dem Mittelalter gibt. Das ist ja ziemlich klassisch. Warum kommt der Tod nicht mal in einer anderen Form daher, als Goldfisch oder so?
    Holtschulte: Ich sage mal, als Cartoonist muss ich natürlich sehr viel auch mit Schubladen arbeiten. Ich muss immer zusehen, dass der Cartoon sehr, sehr schnell zu verstehen ist. Und ich muss dementsprechend dann mit Bildern arbeiten, die im Grunde genommen auch sehr bekannt sind. Und von daher kann ich nicht auf einmal einen rosa Elefanten als Sensenmann oder als Tod zeichnen - da würde natürlich keiner den Cartoon verstehen, denn Humor ist immer die Schnittstelle zwischen dem Wissen, das der Leser hat und was ich weiß und mir denke; und genau dazwischen findet dieses Verständnis dann erst statt. Ansonsten würde ich für eine sehr kleine Zielgruppe zeichnen.
    Siniawski: Warum eigentlich ein Malbuch für Erwachsene - weil es derzeit im Trend ist? Es gibt ja so einen Trend dazu, dass man jetzt Erwachsene ablenken will dadurch, dass sie jetzt so wie ihre Kinder - oder Kinder generell – zum Zeichenstift greifen?
    Holtschulte: Ich habe das natürlich schon beobachtet, dass das ein Trend ist, ein sehr unausweichlicher Trend, wenn man in die Buchhandlung geht oder sogar in irgendwelchen anderen Läden liegen diese Malbücher aus. Das war aber nicht Ziel. Im Grunde genommen habe ich…letztes Jahr war, im Sommer, glaube ich, "Tag des Malbuchs" – es gibt ja so absurde Feiertage – und ich hatte auf meiner Facebook-Seite dann einfach mal einen Sensenmann hochgeladen, der einfach nur schwarz-weiß war, verschiedene Segmente mit Nummern versehen, was halt alles eine "1" war – und "1" stand für "sehr dunkel". Und ich habe unfassbar viele Sachen ausgemalt zurückgeschickt bekommen. Und da sagte dann mein Verlag: Hast Du mal drüber nachgedacht, da vielleicht was draus zu machen? Und so ergab sich das. Es ist also quasi ein sehr basisdemokratisch entstandenes Buch diesmal.
    Bei Trump wird es schwierig
    Siniawski: Genau. Und was auch zur Interaktivität sozusagen einlädt. Aber kommen wir auf Ihre andere Seite zu sprechen: Sie kommentieren - etwa in den Zeichnungen für die Süddeutsche Zeitung - auch das politische Zeitgeschehen. Zur Zensur in der Türkei haben Sie zum Beispiel ein Bild einer Rede Erdoğans mit vielen schwarzen Balken selbst zensiert. Und auf diesem Bild klebt dann ein Post-it-Zettel, auf dem steht: "Hier die überarbeitete Karikatur, dürfte wohl so gar keinen Ärger geben". Wann wird neben diesen schwarzhumorigen Alltagsthemen die knallharte Politik für Sie zum Thema?
    Holtschulte: Eigentlich ist ja nichts nicht-politisch. Deswegen können selbst die Sensenmann-Cartoons durchaus einen gewissen Aspekt an Politik haben. Ich nehme da ja manchmal auch sehr aktuelle Themen aufs Korn. Bei dem angesprochenen Cartoon mit Erdoğan, da war es ja so: Wir hatten das Böhmermann-Gedicht und im Grunde genommen war ich relativ spät dran, zu dem Thema was zu zeichnen. Und das heißt, die ganzen Kollegen hatten sich schon daran abgearbeitet. Und ich bin es dann einfach mal komplett andersherum angegangen und habe dann eben keinen Gag gemacht – und der kam dann besonders gut an. Es traf den Nagel ja tatsächlich auf den Kopf, also dass man im Grunde genommen dieser Zensur direkt vorweggreift, indem man als Zeitung es selbst zensiert. Und da war ich der Süddeutschen auch sehr dankbar – das war ja auch ein grafisches Experiment -, dass die das mitgemacht haben.
    Siniawski: Und mit den "Despoten" dieser Welt, Erdoğan, Trump, Putin und noch vielen anderen, aber auch den Endlos-Sondierungsgesprächen hier bei uns, ist das aktuell eine gute Zeit für Sie als Cartoonist?
    Holtschulte: Natürlich ist es immer gut, wenn was los ist. Ich hatte allerdings nur das Gefühl, dass man zum Beispiel bei Trump, dass es da relativ schwierig wird, da Witze zu machen, weil alles so überzogen ist, was er macht, dass man das nicht noch mal mit einem Witz überhöhen kann. Witz lebt ja auch von Übertreibung, von Überspitzung – und wenn etwas schon so absurd ist, dann wird es natürlich relativ schwierig, das dementsprechend noch mal zu überhöhen.
    "Man muss breit aufgestellt sein"
    Siniawski: Wahrscheinlich muss man verschiedene Spielbälle haben. Sie verkaufen Ihre Cartoons an renommierte Zeitungen, wie eben gesagt, die Bilder erscheinen aber auch in Buchform oder als Kalender, online zeigen Sie auch sehr viel, gratis dann. Muss man sich so breit aufstellen, um zu überleben als Cartoonist?
    Holtschulte: Sagen wir mal so – es gibt ja nicht so viele Cartoonisten, die komplett von ihrer Arbeit als Cartoonist leben können. Ich gehöre zum Glück dazu. Ich lebe tatsächlich meinen Traum und finde das total super so, aber dazu gehört eben auch, dass man sich so breit aufstellt, ja. Es gibt kaum Leute, die jetzt wirklich ausschließlich zum Beispiel bezahlt redaktionell für eine Zeitung arbeiten und so viel wird ja heutzutage auch gar nicht mehr gezahlt, von daher muss man breit aufgestellt sein.
    Siniawski: Bei der zu Ende gegangenen Comic Con hatten Sie zum Beispiel auch das Artwork gemacht, wenn ich richtig informiert bin.
    Holtschulte: Ja.
    Siniawski: Aber Sie machen auch, was recht ungewöhnlich ist, auch Trickfilme. Aus einzelnen Bildern werden dann kurze Geschichten. Wollen Sie manchmal mehr erzählen, als dieser klassische Cartoon es kann oder was ist der Hintergrund?
    Holtschulte: Sagen wir es so: Wenn ich das auf Dauer wollte, dann wäre ich ja Comic-Zeichner, würde dann sequenziell mehrere Bilder zeichnen und da würde sich wahrscheinlich auch noch viel leichter ein Trickfilm machen lassen. Aber in dem Fall ist es einfach so: Ich finde es einfach schön, mal so eine Pointe in einen Trickfilm umzubauen und dann mit den Stimmen und den Geräuschen und der Musik dann zu arbeiten. Und letztendlich hatte es natürlich auch ein bisschen damit zu tun, dass man ab und zu ins Fernsehen eingeladen wird und dort, beim Fernsehen, Bewegtbild nun mal besser ankommt.
    Siniawski: Also, man muss sich vermarkten können.
    Holtschulte: Ja, natürlich.
    Siniawski: Michael Holtschulte hat ein "Malbuch des Todes" gezeichnet – es ist im Lappan-Verlag erschienen. 120 Seiten zum Ausmalen. Herr Holtschulte, vielen Dank für das Gespräch.
    Holtschulte: Gerne, ich danke.
    Michael Holtschulte: "Malbuch des Todes"
    Lappan-Verlag, 120 Seiten, 8,99 Euro
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