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Chancenlos gegen die Kanzlerin

Kennen Sie Sonja Steffen? Nein? Macht nichts, Sonja Steffen weiß das und kann damit umgehen. Die Rechtsanwältin tritt auf Listenplatz 1 der SPD im Wahlkreis von Angela Merkel an – auf Rügen. Sonja Steffen weiß, dass sie gegen die Kanzlerin keine Chance hat.

Von Almuth Knigge |
    Wenn man gemein wäre, dann könnte man jetzt mit Häme beginnen. Die Jusos haben vergessen, die Kandidatin in Stralsund mit dem Auto einzusammeln, und deshalb beginnt der ganze Wahlkampf in Puttbus auf Rügen verspätet. Eine Stunde. Macht aber nichts, ist sowieso kaum Wahlvolk da. Der Kreisvorsitzende, ein freundlicher Mann, steht derweil Rede und Antwort.

    "Wahlkampf, was soll man Wahlkampf machen, wir sind als SPD hier ziemlich schwach, in ganz Vorpommern und auch auf Rügen."

    Und irgendwie auch im ganzen Land.

    "Also, wenn wir hier die 18 Prozent kriegen, dann sind wir ja ganz gut in Vorpommern.""

    Die Sozialdemokraten stellen immerhin noch den Ministerpräsidenten, aber mindestens Vorpommern ist Kanzlerinnenland – so sehr, dass man kaum ein Wahlplakat mit Angela Merkel sieht. Auch ohne Bild ist klar, wer hier das Sagen hat. Hier, ganz im Nordosten, scheint das Schicksal der Sozialdemokraten, eine Splittergruppe zu werden, vorweggenommen zu sein– so könnte man das formulieren, wenn man gemein wäre.

    ""Ad 1 sind wir keine Splittergruppe, das möchte ich, wir sind über die ganzen Jahre hinweg bewegen wir uns immer so um die 100 Mitglieder, zurzeit liegen wir bei 90."

    Na ja, die CDU hat 230!

    "Aber daran messen wir uns nicht wir sind nicht größenwahnsinnig."

    Die Kandidatin kommt im geliehenen Kleinbus, mit Wahlstand im Gepäck, aber der wird an diesem Tage gar nicht zum Einsatz kommen. Es regnet. Die Stimmung ist fröhlich.

    "Genau, das Wichtigste für mich, damit ich das machen kann ist, es muss Spaß machen, und manchmal muss ich mir den auch denken, den Spaß, das hab ich hier echt gemerkt, sonst kann ich das nicht, auch so was wie heute nicht, dann kann ich das gar nicht, dann würde ich auch nicht hierherkommen."

    Sonja Steffen, das ist sie: das Gegenkonzept der SPD zur Kanzlerin ist dreifache, alleinerziehende Mutter und Rechtsanwältin für Familien – und Sozialrecht.

    "Dass sie das Direktmandat nicht gewinnt ist klar, also davon geh ich aus, das hat bis jetzt keiner geschafft und wird auch vorläufig keiner schaffen, gegen eine amtierende Bundeskanzlerin zu kandidieren, aber es ist ja so, wir haben sie ja über die Liste abgesichert, die Chancen sind sehr groß."

    Zwei Tage später kommt die Kanzlerin zum Wahlkampf in ihre Residenzstadt – Stralsund.

    "Wir machen am Samstag, hab ich vorhin noch einen Stand angemeldet am Neuen Markt, um zehn, biste dir sicher, dass du den genehmigt bekommst? Am Neuen Markt, ja aber nicht am Ozeaneum, das fände ich dann doch doof."

    Der Juso-Vorsitzende, Jan Haugg, ist skeptisch. Soviel Selbstbewusstsein sind die Sozialdemokraten gar nicht gewohnt.

    "Ob man sich da zeigt, ja so richtig Flagge zeigen, weiß nicht, ob das so gut ist, wenn da alles voller CDU ist, ja doch, eigentlich schon."

    Samstagmorgen zehn Uhr, Neuer Markt, zwischen Sparkasse und Parkplatz.

    "Das ist eigentlich ein guter Standort hier, die Leute wollen Geld holen, und das können die nur dank einer stabilen Politik, und da können wir dann schon ein bisschen punkten."

    Es regnet, Kanzlerinnenwetter, lästern die Unterstützer, auch sie wollen mal gemein sein – im Angesicht der anwesenden Presse.

    "Ja, ich finde es fast idealistisch, dass sie hierher kommen bei dem Dreckwetter, ich find' es idealistisch, dass sie hier Wahlkampf machen bei der aussichtslosen Situation - ich bin in der SPD, ach, aussichtslos finde ich es nicht, aber ich bin in der SPD und fühle mich da schon verpflichtet, zu helfen."

    Die Kandidatin erscheint auf dem Fahrrad, Kulis, Feuerzeuge und Wahlkampfmaterial in der Satteltasche. Der Straßenwahlkampf beginnt – erstaunlich viele Unterstützer sind gekommen.

    "Versuchen Sie es doch mal mit einer Frau von hier. Die immer vor Ort ist, ja, immer ansprechbar, Mutter von drei Kindern, das ist doch was. Ja, muss ich mir mal durchlesen."

    "Guten Tag, darf ich Ihnen einen Kuli schenken. Ja danke schön. Bitte schön, für Sie auch, Kuli ist doch immer gut. So schön rot isser doch, dann nehmen wir ihn doch mit, ah ja, den kenn ich auch."

    Den, die die alten Damen auch kennen, das ist Frank-Walter Steinmeier. Der war einen Tag vorher im Land, und Sonja Steffen durfte mit ihm diskutieren. Dass der oberste Sozialdemokrat im Land war, Balsam für die Genossen in der Diaspora, in der sich kaum noch jemand für Politik, oder zumindest für die der SPD, interessiert.

    "Und wenn man dann mal Politikinteressierte findet, dann ist das so... also diese Gegend hier ist schwarz. Die ist sehr CDU-dominiert, wir hatten bei den Kommunalwahlen auch nur 11,4 Prozent. Das ist für die SPD, die eine Volkspartei ist, ein sehr schlechtes Ergebnis, aber irgendwas wurde falsch gemacht."

    Der Wahlkreis 15, ganz im Nordosten der Republik, ist Merkel-Land, das zeigt auch diese Szene. Angela Merkel scheint überall, auch bei der SPD. Die Busfahrerin zumindest denkt das.

    "Ja, ich weiß schon, was ich wähle, ich werd sie wieder wählen. Merkel. Frau Merkel? Jaja is sie doch hier? Nee. Ach so. Ich lese mir das mal alles durch, ich les mir das alles durch und guck in Ruhe, ok, das ist gut."

    Dann geht´s zur Kanzlerin. Die hat sich für elf Uhr am anderen Ende der Stadt angesagt

    Durch die Stralsunder Altstadt bewegt sich eine merkwürdige Truppe. Vorneweg die Jusos, mit breiter Brust die SPD-Fahnen vor sich hertragend,

    "Ich weiß nicht, das ist, glaub ich, dieser Weltverbessererinstinkt."

    In der Mitte schiebt Sonja Steffen ihr Fahrrad, Haare und Strickjacke mittlerweile total durchnässt. Ein paar Anhänger schlurfen hinterher. Es wirkt wie eine trotzige Spontandemo, was die Menschen denken, die sich am Rand der Fußgängerzone vor dem Regen unterstellen, lässt sich nicht so genau in den Gesichtern ablesen. Irgendwas zwischen Mitleid und Spott wird es wohl sein. Eine Szene, an der die kleine Gruppe Spaß hat – Du hast keine Chance – nutze sie.

    "Direktkandidatin wird selbstverständlich die Frau Merkel, das ist ganz klar, aber wir wollen ja allgemein für die SPD ein bisschen Reklame machen."

    Aber als sie bei der Kundgebung der CDU eintreffen, da ist die Kanzlerin schon fertig. Die kleine Tochter ist enttäuscht.

    "Mama, immer kommen wir zu spät - ja das stimmt - wir sind die Zuspätkommer. Ich will ein Autogramm, dann kann ich vergleichen, wer schöner schreibt, Mama oder die Merkel."

    Doch die Schlange ist lang, zwar lange nicht so lang, wie die vor dem neuen Ozeaneum, und mit dem Autogramm wird das heute nichts mehr. Sonja Steffen, die Rheinländerin, die seit zehn Jahren in Stralsund lebt, sieht ihre Situation sportlich.

    "Wenn ich jetzt sage, mehr als zehn Prozent, dann hört sich das so klein an, ich würde gerne über 20 liegen - Projekt 18 von Guido Westerwelle? - ja, ja, hahaha, ja das wäre nicht schlecht."