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Christiane Pieper
Illustrationen voller Dynamik

Die Wuppertaler Illustratorin Christiane Pieper hat bereits über 40 Bücher illustriert, darunter einige Bilderbücher, Kinderbücher, Grafic Novels, aber auch Schulbücher. Jeder Auftrag sei völlig anders. Je mehr sie das Thema inspiriert, um so größer sei die Ideenvielfalt und der kreative Output.

Illustratorin Christiane Pieper im Gespräch mit Ute Wegmann | 09.05.2015
    Während zwei sieben und elf Jahre alte Jungen (l, r) Bücher lesen, schaut sich ein fast zwei Jahre altes Kind ein Bilderbuch an, aufgenommen am 21.07.2012.
    Die Wuppertaler Zeichnerin Pieper gestaltet auch Workshops in Indien, Osteuropa und Afrika. (picture-alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Eine Nichte in der Fichte, ein Prinz im Gurkenglas, eine Fünferbande, die eine zweite Fünferbande trifft, wie aus dem Nichts nach und nach zehn Jungs auftauchen, Elefanten und ihre Eigenschaft, nichts zu vergessen und im Besonderen ein Landei - um all das wird es heute gehen, im Büchermarkt mit Büchern für junge Leser.
    Mein Studiogast ist die Wuppertaler Illustratorin Christiane Pieper.
    Ute Wegmann: Christiane Pieper, Sie haben - über 40 Bücher - illustriert, darunter einige Bilderbücher, Kinderbücher, Grafic Novels, Sie waren letztes Jahr mit "Einer mehr" für den DJLP nominiert, aber sie bebildern auch Schulbücher. Worin unterscheiden sich freie Arbeiten und Auftragsarbeiten für Sie?
    Freier Comic "Landei"
    Christiane Pieper: Also eine ganze freie Arbeit ist ja eigentlich nur der Comic "Landei".
    Bei einer freien Arbeit kann ich machen, was ich will und hoffe, dass es verlegt wird. Je größer das Verlagshaus, um so mehr Auflagen machen sie, wie das gestaltet werden muss. Jeder Auftrag ist völlig anders. Je mehr mich das Thema inspiriert, um so größer ist die Ideenvielfalt und der kreative Output, um so größer ist mein Pool, aus dem ich wählen kann. Das kann bei einem Schulbuch genauso passieren wie bei einem Bilderbuch. Generell ist natürlich bei einem Bilderbuch die künstlerische Freiheit größer, da es im Wesentlichen aus Bildern besteht und der Text weniger Platz beansprucht. Und je mehr Textvorgaben gegeben sind, je enger die Bildfläche ist, um so mehr muss ich mich in dem Rahmen einschränken.
    Wegmann: Haben Sie so etwas wie einen Ideenpool für freie Arbeiten, um dafür einen Verlag zu finden?
    Pieper: Massenhaft. Klar.
    Wegmann: Wir kommen nachher auf LANDEI zu sprechen und auf die eigenen Geschichten. Sie gestalten auch Workshops in Indien, Osteuropa, Afrika. Haben Sie selber etwas für Ihren Illustrationsstil, für Ihre Illustration gelernt?
    Pieper: Was ich gelernt hab war, dass ich es überraschend fand, wie ähnlich sich Illustratoren weltweit sind, zumindest auf den Kontinenten, die ich bereist habe. Wir haben uns auf Anhieb alle verstanden, es war ja immer ein Kollegenaustausch. Mir sagte mal jemand in Afrika, dass die keine reinen Unterhaltungsgeschichten haben wollten, denn wenn schon jemand das Geld für ein Buch ausgibt, dann soll da auch eine Moral zu lesen sein, dann soll das Kind auch erzogen werden. In diesem Fall erinnerte das Konzept an etwas, was wir hier in Deutschland in den 50er Jahren ausgerottet haben, nämlich es gab eine drastische Moral, wo das Mädchen , das nicht gehorcht, später im Sumpf versinkt und stirbt. Damals hab ich nachgefragt, warum man das nicht entschärft, dabei habe ich die Antwort erhalten. Und dasselbe hab ich in Indien auch gehört. Wenn jemand wenig Bücher kauft, dann sollen die bitte nicht einfach nur unterhalten. Eine weitere Sache ist die Lesbarkeit überhaupt, und dafür gibt es viele Beispiele, wie die Lesbarkeit von Bildern kulturabhängig ist. Man muss die Bildalphabetisierung durchgemacht haben, sonst kann man gewisse Dinge nicht verstehen. (Zum Beispiel, dass in den arabischen Staaten von rechts nach links geschrieben und gelesen wird).
    Wegmann: In Ihren Bildern für die jüngeren Leser ist ziemlich viel los. Die Illustrationen sind voller Dynamik. Immer springt oder hüpft oder läuft oder fliegt jemand. Wenn einer reitet, hebt es ihn aus dem Sattel. Wenn zwei nebeneinander gehen, schreiten sie mal gern mit ausladenden Schritten. Damit fangen Sie die kindliche Entdeckerfreude und den Bewegungsdrang gut ein. Was ist das, was Sie dazu bewegt, die Figuren in eine solche Dynamik zu versetzen?
    Pieper: Das ist automatisch so. Das ist genau das, was mich an dem Beruf so glücklich macht, denn in dem Moment, wo ich das zeichne, bin ich da drin und das ist mir nicht einmal bewusst gewesen.
    Wegmann: Sagt eine solche Bilddynamik auch etwas über die Dynamik des Illustrators?
    Pieper: Nein, ich glaube nicht. Ich kann auch ganz schön faul sein.
    Wegmann: "Einer mehr" zeigt besonders viel Dynamik und Kinderalltag. Text von Yvonne Hergane, Zweizeiler, jeweils eine Zeile auf einer Seite.
    Eine Geschichte nach Abzählprinzip, indem immer einer dazukommt.
    Zitat:
    "Huch, da ist ja alles leer - Ah, na also, einer mehr.
    Einer sitz, da kommt daher - ein zweiter. Schwups, schon einer mehr.
    Zwei, die zanken sich hier sehr. Kommt ein Dritter. Einer mehr.
    Drei, die jammern tränenschwer. Nummer vier kommt. Einer mehr
    Vier, die schlendern hin und her. Da, der nächste! Einer mehr.
    Fünf, die laufen kreuz und quer. Was, der auch nocht? Einer mehr.
    Sechs, die mögen Berge sehr. Keiner Wüste. Einer Meer.
    Sieben essen Camenbert. Der will auch was. Einer mehr.
    Acht, die freun sich aufs Dessert. Oh, da kommt's schon. Einer mehr.
    Neun sind's jetzt. Und, kommt noch wer? Ja, tatsächlich. Einer mehr.
    Der erschreckt die andern sehr. Und schon ist da ... keiner mehr."
    Bis zum Camenbert verrät ja nichts, dass es sich um Kinder oder Menschen handelt.
    Sie haben aus diesen Zweizeilern ein Feuerwerk gemacht aus Bewegung, Gefühlen, Kinderleben, Kinderalltag. Es macht Spaß, den unterschiedlichen Jungstypen bei ihren Aktivitäten zuzuschauen. Selbst wenn es beim tränenreichen Zanken ist.
    Wann war das klar, dass Sie Jungs wählen?
    Pieper: Erstmal hab ich alles Mögliche probiert. Es war nicht klar, dass es KInder sein sollten, es waren anfangs auch Tiere dabei. Ich hatte mich nicht nur für Jungs entschieden, es gab auch Mädchen. Aber wegen der Grammatik "Einer" haben sich die Verlagsleute entschieden, dass es Jungs sein sollten. Ich glaube, dass Kinder da lockerer mit umgehen. Aber hierzulande muss man immer mit erbosten Leserzuschriften rechnen, wenn etwas nicht pc ist, wenn es nicht trennscharf ist. Wenn es trennscharf ist, muss man auch mit erbosten Leserkommentaren rechnen, dass hat Yvonne Hergane erlebt, warum es nur Jungs seien, wurde sie gefragt. Das ist immer ein heikles Thema. In der ersten Scribblephase fiel dann die Entscheidung von Verlagsseite, dass es Jungs sein sollten. Und dann hab ich den Mädchen die Zöpfe wieder wegradiert und ein paar Sachen geändert.
    "Die Fünferbande"
    Wegmann: Neu, aktuell: Die Fünferbande. Auch hier werden es zum Schluss zehn Figuren sein. 2 x 5 Fingerpuppen. 2 x 5 lustige Knirpse, Jungs und Mädchen, die nach anfänglicher Konkurrenz und Streit sich gegenseitig helfen. Auch hier wirkt die Geschichte besonders durch die Typen: Der mit der Kapitänsmütze, die mit der rosa Schleife, die fein Angezogene, die Dunkelhäutige, der mit der Kappe.
    Wie bei "Einer mehr" finden wir verschiedene Ethnien. Ist das Ihre Möglichkeit, ein Thema wie Integration einzubringen in ein Kinderbuch?
    Pieper: Ja, aber es passiert manchmal automatisch. Bei einem meiner ersten Bilderbücher hatte ich ein indisches Mädchen, das fiel dann vom Verlag her raus, sie meinten, man könne das nicht machen. Wenn man das in Deutschland verkaufen will, brauchen die Kinder eine gleichhäutige Identifikationsfigur. Das ist einer der heiklen Punkte. Ich mache so etwas intuitiv und ändere das in Absprache mit dem Verlag. Oft sind es auch weise Entscheidungen vom Verlag. Ich entwerfe das oft nicht bewusst und außerdem finde ich es schön, wenn niemand ausgegrenzt wird.
    Ich würde immer versuchen, dass so zu machen, dass sich möglichst viele damit identifizieren können.
    "Die Nichte in der Fichte"
    Wegmann: "Die Nichte in der Fichte" - ein Bilderbuch über ein kleines Mädchen, die mit ihrem Pferd den Baumstamm hinaufreitet, um Tannenzapfen zu pflücken, weil die so schön knistern, wenn sie in der Wärme aufgehen. Als sie erfolglos wegreiten will, fällt ein Tannenzapfen vor die Hufe des Pferdes. Schlussendlich verbringt sie die Nacht mit vielen Tieren - Pferd, Katze, Hühner, Kühe, Hund im Stall. Und es ist nicht irgendeine Nacht, sondern die Weihnachtsnacht. Witzige Perspektiven mit Auf- und Untersichten, ein lustig neugierig schauendes Pferd, das alles mitmacht, eine willensstarke Mädchenfigur. Das Interessanteste aber ist eine erwachsene Figur, die das Geschehen schweigend begleitet, hin- und doch wegschauend, liebevoll aufmerksam. Ist er so etwas wie ein Schutzengel?
    Pieper: Es ist der Onkel, der alles beobachtet und das Gesehene erzählt. Er erzählt die Geschichte, am Anfang noch weit entfernt - wie durch ein Fernrohr, dann geht er näher ran, hilft dem Pferd sogar beim Abstieg vom Baum, und sitzt am Ende mit im Stall.
    Wegmann: Zwei Aspekte Ihrer Arbeit kündigen sich in diesem Bilderbuch an: Die Liebe zu den Tieren. Und Ihr Humor! Woher kommt das eine, woher das andere?
    Pieper: Das kommt wohl beides aus der selben Quelle. Ich bin mit Tieren groß geworden, mein Vater war Bauer. Und der hatte immer einen Blick fürs Komische. Wenn es Wurzeln gibt, dann sind es diese beiden.
    Wegmann: Sprechen wir über Farbwahl und Strich. Ihr Stil ist ja recht expressiv, die Farben bunt, knallig. Das kommt vor allem in Der Prinz im Gurkenglas zum Tragen , eine Geschichte, die in einem Königspalast spielt und von einem schrägen König handelt, der seinen Sohn nicht wahrnimmt, weil er so selbst verliebt ist.
    "Elephants never forget"
    Es gibt aber ein anderes Bilderbuch "Elephants never forget", das völlig anders gearbeitet ist. Nur mit zwei Farben - Schwarz und Lila - , auf cremefarbigen Seiten sind die Elefanten nur umrandet, die Büffel allerdings schwarz ausgemalt. Text und Laute sind grafisch schwungvoll ins Bild gesetzt.
    Es ist die Geschichte eines kleinen Elefanten, der bei einem Sturm im Dschungel seine Herde verliert und nach einer Weile bei Wasserbüffeln unterkommt, die ihm das Leben retten. Als er an einem Wasserloch auf eine Elefantenherde trifft, weiß er nicht mehr, wohin er gehört, fühlt sich hin und her gerissen und wendet sich schließlich den Büffeln zu, um bei ihnen zu bleiben.
    Verbindendes Element zu Ihrem sonstigen Stil ist nur die starke Dynamik der Figuren. Alles andere wirkt sehr anders. Haben Sie hier experimentiert?
    Pieper: Eins ist dabei wichtig, dass es nur zwei Farben gibt. Das war eine Setzung des Verlags, die drucken für die einheimische Bevölkerung möglichst billiger und sie haben auch diese Tradition. Das war für mich eine tolle Herausforderung. Ich hatte so etwas vorher noch nie gemacht. Das macht einen Teil aus. Der andere Teil, dafür bin ich aber nicht verantwortlich, sondern das hat die indische Grafikerin gemacht: Sie hat die Schrift sehr variabel eingesetzt, die Buchstaben zum Teil stark vergrößert, sodass sie ein aktives Bildelement werden, und sie stehen dann in Interaktion mit meinen Bildern, und das gibt der Sache einen ganz eigenen Reiz. Und dann war es so, die Inder waren richtig streng mit mir. Das hat sich über fünf Monate hingezogen zu einem durchaus niedrigen Honorar. Die wussten ganz genau, was sie haben wollten, und das habe ich versucht umzusetzen. Von daher hat das Buch viele Elemente, die nicht direkt auf meinem Mist gewachsen sind.
    Wegmann: Was allerdings komplett auf ihrem Mist gewachsen ist und nur in Schwarz weiß ist : LANDEI - eine Grafic Novel - im Mittelpunkt Inga, Kind der 60er Jahre, die uns konsequent ihre Weltsicht und ihren Blick auf ihr Lebensumfeld und die Welt der Erwachsenen mitteilt. Dabei geht es um die ältere Schwester, Tiere des Bauernhofes, auf dem sie mit der Familie lebt, den ersten Fernseher und die Welt da draußen, Landleben, die Rolle der Männer und Frauen, die sich in allen Fernsehserien genau so spiegelt wie im Alltag. Es ist also auch ein Zeitdokument. Diese Geschichte ist die durch und durch autobiografisch, Christiane Pieper?
    Pieper: Durch und durch nicht. Ich hab auch Einiges dazu gedichtet und dazugenommen,w as ich gar nicht erlebt hab. Dann ist eine Menge fiktiv, zum Teil freiwillig, zum Teil unfreiwillig, weil meine Erinnerung da schlicht falsch war. Es ist ein großer Teil biografisch und autobiografisch inspiriert.
    Wegmann: Sie selber sind auf dem Bauernhof groß geworden. Mit der Schwester und den Eltern, dem Vater, der den Bauernhof führte, mit Tieren, mit Kühen vor allem.
    Pieper: Zunächst Kühe. Im zweiten Band, wenn er denn erscheint, sind es Pferde.
    Wegmann: Laut LANDEI haben Sie früher auf Futtersäcke gezeichnet, vielleicht ist das aber auch ein fiktives Element. War das kreative Langeweile oder Dekorationswunsch?
    Pieper: Ich hab es wirklich gemacht. Die Eltern hatten überhaupt kein Geld, deshalb bekamen wir alte Tapeten zum Zeichnen oder eben die Futtersäcke, das war eine große Fläche. Und mein Vater hatte Marker, die konnte ich darauf ausprobieren. Ich hab in meiner Vorschulzeit, und das war natürlich auch Langeweile, darauf rumexperimentiert.
    Wegmann: Dieses Inga-Kind begleiten wir von ihrer Geburt bis zum Schuleintritt. Die Geschichte beginnt mit einer anlandenen Fliege auf etwas Weißem, das sich als kleines Federbett entpuppt. Es ist die Perspektive des Babys aus dem Kinderwagen. Dann tauchen auf: Mama, das bedeutet vor allem Brust, Papa, Greta, die Schwester, die kaum in den Wagen schauen kann, - Frauen. Und die anderen, das sind Tiere des Hofes. So lernen wir Inga kennen, sehen wie sie wächst und lebt, mit der großen Schwester, ihre Art Weihnachten zu feiern, die Welt der anderen Menschen, die mit festen Falten an Vorhängen und einem hellem Teppich (S.21) leben, erste Autofahrten, Doktorspiele, Krankheiten, und immer wieder die Verbundenheit mit der Schwester. Sie haben die Grafic Novel in einzelne Episoden, einzelne Kapitel mit unterschiedlicher Länge unterteilt: Die Überschriften: Ich/Meine große Schwester/Andere Welten/Wir haben ein Auto/Wunder/ Gegrübel/Sind Mänenr besser?/Kälberleben.
    Was war Ihnen das Wichtigste? Was war das Liebste?
    Pieper: Das ist schwer zu beantworten, denn die Sachen sind alle wichtig. Zentral ist, wie ein Kind sich aus dem, was es im Leben vorfindet, einen Reim auf das Leben selber macht. Da hab ich den Eindruck, dass Kinder zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bei mir war es so, dadurch dass meine Mutter viel krank war, mein Vater auch oft, und die Kinder auch: dass ich daraus die Erkenntnis gewonnen habe: Wer krank ist, ist wichtig. Die Eltern hatten normalerweise keine Zeit, aber dann würde man betüdelt. Das geht wahrscheinlich jedem Kind so, aber dass ist ja nicht das, was ein Erwachsener möchte, dass ein Kind zu einem solchen Schluss kommt. Das ist für mich in der Reflexion von Kindheit das Interessanteste. Wie kommt man eigentlich zu seinen Vorstellungen. Und jeder hat andere und jeder meint aber, seine eigenen wären die universellen. Dabei ist es nur ein kleines Extrakt aus einem Fitzelchen Welt, in das man da zufällig gefallen ist. Das hat mich interessiert. Und die Beziehung zu meiner Schwester, denn es gab ja gar keine anderen Kinder. Und so hat man schon als Kind ziemlich feste Rollen eingenommen. Für mich war die Jüngere-Schwester-Rolle ganz klar. Diese vielen verrückten Vorstellungen, wie die entstehen, das interessiert mich.
    Wegmann: Haben Sie diese Episoden über Jahre gesammelt oder sind sie jetzt gerade nach und nach entstanden?
    Pieper: Die sind im Prozess der Verdichtung entstanden. Ich hab zuerst mal alles gezeichnet, was mir eingefallen ist. Und dann war das zuviel. Es wären 300 Seiten gewesen, nur für die ersten fünf sechs Lebensjahre. Ich hab immer wieder rausgekürzt, zusammengestrichen und zusammengefasst. Um es so zu gestalten, dass es auch für andere interessant ist. Das konnte ich am Anfang nicht unterscheiden, weil cih so nah dran war.
    Der Löwenanteil war zuerst autobiografisch, bis ich es jetzt künstlerisch verdichtet habe.
    Wegmann: Wenn Sie jetzt sagen über Jahre, wie lange haben Sie daran gearbeitet?
    Pieper: Also neun Jahre, aber es sind drei Teile, die dabei entstanden sind. Und auch nicht neun Jahre Nettoarbeitszeit, sondern das war mein Urlaub oder in den Abendstunden.
    Wegmann: Gibt es ein Konzept für den Bildaufbau? Es ist ein klassischer Comic, es gib t kleine Bildtafeln auf einer Seite. Mal füllt aber auch ein Bild eine ganze oder eine halbe Seiten. Folgt das einem emotionalen Prinzip oder einer Strategie?
    Pieper: Das war eine verlegerische Setzung eines festen Satzspiegels. Es gibt neun Panels, und damit kann ich variieren. Also Panels sind Einzelbilder und jede Seite besteht erstmal aus neun Bildern.
    Wegmann: Und Sie variieren in der Tat, manchmal in emotional ganz wichtigen Situationen nimmt eine Szene eine ganze Seite ein. Mal ist die Mutter mit einer Sprechblase auf einer Seite zu sehen, wenn das Kind etwas Verbotenes getan hat.
    Sehr gut gelungen finde ich bei Inga den intuitiven Gleichberechtigungsgedanken der kleinen Ich-Erzählerin bezüglich Männer und Frauen. Das ist von großer Selbstverständlichkeit geprägt - aus heutiger Sicht mit Blick auf die 60er Jahre - auch ausgesprochen amüsant. Inga schaut auf die Welt und denkt: Sind Mänenr eigetnlich besser? Wo sie auftauchen sind sie cool und haben Macht, anders als die Frauen, die immer schön aussehen sollen. Das lernt sie vor allem auch aus dem Fernsehen. Ist das auch eine Art Medienkritik?
    Pieper: Was das Fernsehen betrifft, ist es auch medienkritisch, denn ich glaube, dass Medien sehr sozialisierend wirken, Vieles geschieht unbewusst. Wenn Frauen nur in der dienenden Rolle vorkommen, macht sich das KInd ja einen Reim darauf. Aber dieses Rollenverständnis war ja nicht nur durch die Medien vermittelt, sondern rundum und es spiegelte sich in der ganzen Welt. Und das prägt natürlich . Das ist nicht kritisch gemeint, dass es so vermittelt wird, sondern es geht darum, dass man das merkt, wie viel vermittelt ist, und wie viel auch von Industrien gesteuert wird, wieviel passiert, weil die Eltern zufällig die oder die Vorlieben oder Macken haben. Mir ist wichtig, das abzuklopfen darauf, was ist noch wichtig , wenn man erwachsen ist, was ist noch haltbar. Dass man sich als Erwachsener fragt, woher hab ich eigentlich dieses oder jenes.
    Wegmann: Durch das Fernsehen präsentieren sich die Wirtschaftswunderfrauen mit den tollen Mixgeräten und schlanken Taillen, aber die Schürzen umgebunden, das alles und viel mehr als Zeitdokument finden wir in Ihrer Grafic Novel, neben vielen charmanten Szenen aus der Perspektive der kleinen Inga-Erzählerin mit ihrem Blick auf die Welt.
    War das schwierig, sich auf Schwarz - Weiß zu beschränken?
    Pieper: Nein, das ist so viel Arbeit. Das sind ja fast 1.000 Bilder, wenn ich die hätte kolorieren wollen, da wäre ich mit 70 jahren vielleicht fertig geworden. Außerdem ist Farbe hier nicht mein Medium. Das wäre es dann eher im gemalten Bereich, aber nicht wenn ich zeichne.
    Wegmann: Wie zeichnen Sie mit Bleistift, mit Kohle, mit Tusche?
    Pieper: Das ist alles am Computer entstanden, mit einem Grafiktablett.
    Wegmann: Jetzt haben Sie schon von einem zweiten und einem dritten Band gesprochen. Die wird es geben? So viel Material ist da?
    Pieper: Material ist ohne Ende da. Das kommt jetzt darauf an, ob sich der erste Band verkauft. Grafic Novels haben es nicht so einfach in Deutschland.
    Wegmann: Nun ist ja LANDEI auf den Besten7. Ich bedanke mich für das Gespräch.
    Die besprochenen Bücher:
    Einer mehr, von Yvonne Hergane, 24 Seiten, Peter Hammer Verlag
    Die Fünferbande, von Yvonne Hergane, 24 Seiten, Peter Hammer Verlag
    Der Prinz im Gurkenglas, von Katharina Morello, 32 Seiten, Peter Hammer Verlag
    Die Nicht in der Fichte, 32 Seiten, Peter Hammer Verlag
    Elephants never forget, von Anushka Ravishankar, 32 Seiten,Tara Publishing
    Und Landei, von Christiane Pieper, Edition Moderne, 124 Seiten
    Alle Bücher mit Illustrationen von Christiane Pieper.