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Chronist des Büroalltags

Ein Werk von 5000 Seiten hat der niederländische Schriftsteller J.J. "Han" Voskuil hinterlassen, der am vergangenen Donnerstag im Alter von 81 Jahre den Freitod wählte. Voskuil war mit dem Zyklus "Das Büro" in seiner Heimat äußerst populär, er wurde aber nie ins Deutsche übersetzt.

Moderation: Christoph Schmitz | 07.05.2008
    Christoph Schmitz: Der Schriftsteller Han Voskuil starb am vergangenen Donnerstag, wie gestern zu erfahren war. Voskuil war 81 Jahre alt, er hatte Krebs und wählte für den Tag seiner Euthanasie bewusst den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Ironie des freiwilligen Ablebens? Johannes Jacobus Voskuil, wie er eigentlich hieß, wurde in Den Haag geboren, lebte im Amsterdam und hatte einen Brotberuf bis zur Rente, den des Forschers für holländischen Bauernglauben am Amsterdamer Volkskundeinstitut. Mit dieser Tätigkeit hat seine Literatur viel zu tun. Eine Literatur, die kaum übersetzt wurde, ins Deutsche so gut wie gar nicht, die von den einen als langweilige Chronistenliteratur bezeichnet, von den anderen als Weltliteratur. Manche Rezensent schreibt ihn gar zum holländische Kafka oder Pessoa hoch. War Voskuil Langweiler oder Genie, habe ich den Literaturwissenschaftler und Kritiker Alexander von Bormann gefragt.

    Alexander von Bormann: Etwas dazwischen. Ich würde nicht sagen Genie, das ist zu hoch gegriffen. Der Vergleich mit Kafka oder Pessoa greift auch gar nicht. Nur, weil er ein Büro beschreibt und einen Büroalltag, das macht einen noch nicht zum Kafka. Langweiler ist er aber auch nicht. Er schreibt sehr amüsant, also durchaus lesbar. Er hätte ja auch nicht 150.000 Zuhörer mit Radio bekommen oder 400.000 Abnehmer seines riesenhaften Werks von 5000 Seiten, wenn er nicht auch interessant wäre.

    Schmitz: Sein Hauptwerk, Sie sagten es, "Das Büro" ist 5000 Seiten stark, ein Romanzyklus könnte man sagen. Bevor wir über die literarische Qualität sprechen, was passier im "Büro"?

    von Bormann: Zu wenig und zu viel, wie der Titel es angibt. Es beschreibt einen Büroalltag, und der Witz ist in der Wiedererkennbarkeit aller kleinen Züge, der Charakterzüge der Menschen. Es kommt unendlich viel Personal vor, etwa 400 Figuren, die genauer entwickelt werden, und Nebenfiguren noch mehr. Alle sind mit Gesten ausgestattet, die jeder irgendwie kennt, aber noch nie so gelesen hat. Und diese Wiedererkennbarkeit machte den großen Reiz seiner Bücher.

    Schmitz: Ist das eine Art Soap, eine Fortsetzungsgeschichte, wie sie auch im Fernsehen hätte laufen können?

    von Bormann: Böse Kritiker sagen, es ist eine Soap für Intellektuelle. Nun sind aber die Intellektuellen gar nicht so sehr seine Leser, sondern eher jene Mittelschicht, die in den Büros ihren Alltag verbringt und sich freut, dass der Leerlauf, der den Alltag dort kennzeichnet, endlich mal so deutlich benannt ist.

    Schmitz: Der Leerlauf, die triste Verwaltungswelt, wofür steht diese Metapher? Für die Nichtigkeit des Willens, des menschlichen Agierens? Wofür steht das Büro in diesem Romanzyklus?

    von Bormann: Nicht so groß ansetzen. Das macht ihn schon wieder ..., Sie würdigen ihn schon wieder in Richtung Kafka, das ist nicht nötig. Das, was Voskuil selbst gemacht hat, ist ja nicht uninteressant. Es ist nur nicht relevant. Er hat das Flechtwerk von Mauern untersucht und darüber ein Buch geschrieben, wie das niederländische Bauernhaus entwickelt worden ist oder ähnliche Themen behandelt. Das waren alles Forschungsaufgaben, die aber überhaupt nichts, auch gar nichts, zu irgendeiner Art politischen Dimension oder der Gegenwart beitrugen.

    Schmitz: Und wie beurteilen Sie die literarische Qualität?
    von Bormann: Er schreibt sehr munter, eigentlich. Ich muss sagen, ich habe es nie geschafft, einen Roman ganz zu Ende zu lesen. Es gibt sehr, sehr schöne, interessante, plastische Szenen, im Ganzen aber sehr langatmig.

    Schmitz: Hat Voskuils Literatur sich auf die niederländische Literatur ausgewirkt?

    von Bormann: Ja, es hat eine sehr bedeutsame Wende gegeben, dass hier ein beinahe nichtiger Gegenstand so unendlich breit vermessen werden kann. Das war neu. Es gab Langeweile als Erzählthema in den 50er Jahren, Gerard Reve und Hermans haben davon ausführlich Gebrauch gemacht. Und das waren Schlager, weil sie damals den Schleier der Selbstgenügsamkeit, der Selbstzufriedenheit durchaus durchbrachen, durchschlugen geradezu. Aber nachher gar nicht mehr. Jetzt muss die Literatur interessant, spannend, vielfältig sein. Alle nahmen das Muster der Kriminalgeschichte, Maarten 't Hart und andere. Das ist hier unterlaufen. Hier wird gezeigt, dass man eben über ein langweiliges Thema doch interessierend berichten kann.

    Schmitz: Was glauben Sie denn, warum Voskuil in Deutschland nicht übersetzt wurde? Warum wurde er hier nicht rezitiert?

    von Bormann: In Holland war das inszenierbar. Sein Verleger van Oorschot hat sehr viel getan dafür, diesen Roman dann doch zu einem Hype zu machen. In Deutschland ließ sich das so nicht machen. Der Alltag sieht in Deutschland anders aus. Und hier wird mit lauter Wiedererkennbarkeiten gespielt, die man braucht, um dann das wirklich auch interessant zu finden.