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Rabbiner in Deutschland
Erst, erster, am erstesten

Dauernd werden irgendwo in Deutschland zum ersten Mal Rabbiner und Rabbinerinnen ordiniert. Zum ersten Mal seit der Shoah. Seit dem Mauerfall. Seit, seit, seit. Da schwingt der Wunsch mit, dass alles wieder gut sein möge mit den Juden in Deutschland, meint unser Kommentator.

Von Gerald Beyrodt | 12.10.2018
    09.10.2018, Berlin: Dayan Chanoch Ehrentreu (2.v.l), Dekan des Rabbinerseminars zu Berlin, übergibt zusammen mit Rabbiner Moishe Halpern (l) bei der Feierlichen Ordination von Rabbinern und Kantoren in der Beth Zion Synagoge im Bezirk Mitte die Urkunden an die ordinierten Rabbis Alexander Kahanovsky (M), Shlomo Sajatz (2.v.r) und Shraga Yaakov Ponomarov (r). Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
    In Berlin sind drei orthodoxe Rabbiner ordiniert worden (dpa Bernd von Jutrczenka)
    Wir hatten schon so viele erste Rabbiner. Die ersten seit der Schoa. Die ersten liberalen seit der Schoa. Die ersten orthodoxen seit der Schoa. Die erste Rabbinerin seit der Schoa. Die erste Rabbinerin seit der Schoa, die in Deutschland ausgebildet wurde. Die erste Rabbinerin seit der Schoa, die in Deutschland ausgebildet wurde und vorher in Deutschland aufgewachsen ist.
    Aber was heißt Deutschland. Es geht auch kleinteiliger. So klärt uns die Nachrichtenagentur dpa auf, dass die jetzt ordinierten die ersten in Berlin ordinierten orthodoxen Rabbiner seien. Stante pede folgt das Kleingedruckte. Da heißt es: "Bislang fanden die Ordinationsfeiern des einzigen orthodoxen Rabbinerseminars in Deutschland in anderen Städten statt." Aha, das Rabbinerseminar hat zwar in Berlin ausgebildet, aber bislang anderswo gefeiert, was Anlass zu neuen Superlativen gibt.
    Die Beispiele mögen ja stimmen. Klar kann man den Blick verengen, bis jede Ordination in irgendeiner Hinsicht die erste ist. Wobei: In Berlin hat schon mal die orthodoxe Gruppierung Chabad Lubawitsch ordiniert. Zählen die Männer mit schwarzen Hüten und Bärten nicht? Gemeinhin stellt man sich doch Juden genauso vor. Und selbst wenn die Angaben stimmen: vor lauter Einschränkungen,- die ersten in, um, bis, drumherherum - bleibt doch nur hängen: "die ersten". Da drängt sich die Frage auf: Woher der Drang zur Erstmaligkeit?
    Es ist nicht alles schlecht
    Sicherlich, Medienhandbücher empfehlen Superlative. Und Journalisten berichten gerne über Dinge, die zum ersten Mal stattfinden. Aber dann ist da noch die Sache mit dem "seit". Die "ersten seit der Schoa" oder "seit dem Holocaust". Da schwingt der Wunsch mit, dass wieder alles gut sein soll zwischen "den" Deutschen, "den" Juden und, Achtung, "der Geschichte". Da spürt man das Aufatmen. Und wer möchte nicht noch mal aufatmen und dann noch mal und noch mal? So als wäre es das erste Mal.
    Bald wird die Pogromnacht 80 Jahre alt. Chemnitz, NSU-Prozess, Wahlerfolge der Rechtspopulisten sitzen der Nation im Nacken. Wer kann zeigen, dass alles gut ist? Die Juden, als eine Art umgedrehter Kassandra. Und ist alles gut? Natürlich nicht. Schrumpfende jüdische Gemeinden sind nicht gut. Die Angst vor rechtem Antisemitismus ist nicht gut und die vor islamistischen Antisemitismus auch nicht. Ist alles schlecht? Natürlich nicht. Ein pluralistisches Land ist beileibe nicht schlecht. Ein buntes Land ist nicht schlecht. Ein Land mit solchem Vollkornbrot … aber das ist jetzt persönlich. Die Dinge sind wie meistens so mittel.
    Bestimmt hagelt es noch mehr erste Ordinationen. Dabei gibt es so schöne andere Möglichkeiten: Wie wäre es mit den "letzten Rabbinern"? Natürlich mit den entsprechenden Einschränkungen. Die letzten Rabbiner, die eine Predigt halten, bevor die Gemeinde einschläft. Die letzten ordinierten Rabbiner oder vor dem Dieselfahrverbot auf Berliner Hauptstraßenabschnitten. Oder die letzten, die sich nach Chemnitz trauen.