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Corso-Gespräch
Zeichnen, sodass es Spaß macht

Bereits drei Mal bekam er den Max-und-Moritz-Preis als "Bester deutschsprachiger Comic-Künstler" und nun erscheint sein neuester Streich. Der Österreicher Nicolas Mahler hat sich Thomas Bernhards Theaterstück "Der Weltverbesserer" vorgenommen.

Nicolas Mahler im Gespräch mit Anette Selg | 20.01.2014
    Anette Selg: Nicolas Mahler, mit Thomas Bernhard „Der Weltverbesserer“ erscheint Ihre zweite Adaption eines Bernhard-Textes. Nur ist es diesmal ein Theaterstück. Wie kam es dazu?
    Nicolas Mahler: Na, das war einfach eine Lust. Das ist aus einer Lust heraus entstanden. Ich hab mir gedacht, der Text ist gut. Entspricht so von den Charakteren auch sehr meiner Auffassung vom Comic, vom Humor. Es ist wirklich sehr minimal vom Personal. Und hat auch damit zu tun, was ich vorhin gemacht habe, nämlich "Der Mann ohne Eigenschaften". Und der hat relativ, für meine Verhältnisse, relativ viele Schauplätze, Kostüme und Kulissen. Und "Der Weltverbesserer" ist eben das genaue Gegenteil. Das ist nur ein Mann in seinem hohen Sessel und eine Frau. Mehr sieht man nicht. Und der Rest ist eigentlich nur Bernhard.
    Selg: Das Erstaunliche an Ihren Adaptionen ist für mich eigentlich der Umfang. Dass Sie aus 1700 Seiten Musil, "Mann ohne Eigenschaften" ein 150-Seiten Comic machen.
    Mahler: Na ja, mir geht’s erstaunlich leicht von der Hand. Ich hab mir das ja auch schon überlegt, wie das eigentlich funktioniert. Ich krieg ja schon immer die Reaktionen: Das ist ja so wahnwitzig und wie kann man das nur so verknappen? Und das ist aber im Prinzip das, was ich eh schon seit 25 Jahren mache. Nämlich, wenn ich jetzt meine eigenen Bücher schreib. Ich schreib sie vorher, bevor ich sie zeichne. Muss ich ja wissen, was überhaupt zu sehen ist. Da hab ich auch viel, viel, viel mehr Text ursprünglich und meine Arbeit ist eigentlich immer schon gewesen, zum Großteil, zu verknappen und zu verkürzen und wegzustreichen.
    Selg: Klar, nur ist es natürlich das eine, die eigenen Texte zu kürzen, und das andere, einen Klassiker der Literatur wie Musil oder eben Bernhard zu beschneiden oder so wenig Text gelten zu lassen oder eben etwas ganz anderes damit zu machen.
    "Ich nehm egoistisch raus, was mich anspricht"
    Mahler: Na ja, Sie meinen, weil man dann so eine Beißhemmung vielleicht hat, oder weil man so voller Respekt erstarrt? Na ja, das hab ich schon deswegen nicht, weil ich ja schon Autoren aussuche, die ich irgendwie verstehe. Ich find beim Musil zum Beispiel nicht alles geglückt, aber ich versteh es. Seinen Zugang versteh ich. Beim Bernhard sowieso. Weil mir der Humor sehr entspricht. Und was mich ja beim Bernhard so anspricht, ist ja diese totale Widersprüchlichkeit. Also dieses total vehemente etwas Vertreten und dann aber genau das Gegenteil sagen. Also, das ist ja total unschlüssig, was der Bernhard schreibt. Aber das finde ich gerade so gut. Also er ist in sich schon so gebrochen, dass man jetzt nicht Angst haben muss, dass man ihm irgendwie unrecht tut, weil der hält das schon aus. Die Originalbücher verlieren ja durch meine Adaptionen nichts. Die wird es ja immer geben. Ich nehm einfach ganz egoistisch raus, was mich anspricht, oder was für meine Arbeit von Bedeutung ist oder was sich eignet. Gibt es jetzt halt auch als Comic, aber das Buch wird man immer noch weiterlesen.
    Selg: Es geht natürlich bei so einer Literatur-Adaption immer auch um die Rechte. Bei Musil sind die Rechte frei, mittlerweile. Und wie Bernhard, wie war da der Fall?
    Mahler: Bei Bernhard hab ich zehn Probeseiten gezeichnet und die wurden dann dem Halbbruder, Peter Fabian, vorgelegt. Der war gleich total positiv und hat gesagt, findet er sehr gut, ich kann machen, was ich will. Und dann hat es eine Buchpräsentation gegeben im Kunsthistorischen Museum in Wien und da waren er und seine Frau dort und sie waren total begeistert, weil so viel junges Publikum gekommen ist. Also das ist natürlich schon das Interessante am Comic jetzt im Literaturbetrieb, dass die Veranstalter teilweise schon staunend beobachten, dass das Publikum ein komplett anderes ist.
    Selg: Dann gibt es mittlerweile drei Literaturadaptionen und das Bernhard-Theaterstück, das gerade erscheint. Es gibt ja auch noch einen ganz anderen Mahler.
    Mahler: Ja, und zwar welchen? Kenn ich den?
    Selg: Ich kenn den, zum Beispiel, aus den Reprodukt-Bänden „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“, der 2007 erschienen ist, oder „Pornografie und Selbstmord“ von 2010 oder auch dem jetzt im März erscheinenden Band: „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“.
    Mahler: Ja, das sind meine autobiografischen Geschichten. Die mach ich ja schon – "Kunsttheorie" ist ursprünglich erschienen 2003 –, seit zehn Jahren. Und das sind hauptsächlich meine Erlebnisse als Comiczeichner. Also weniger Privates, weil das ödet mich irgendwie an, wenn Leute aus ihrem Privatleben erzählen. Das will ich schon bei Bekannten nicht hören. Aber so, der Comic-Zeichner auf Reisen oder der Comic-Zeichner und die Missverständnisse im Kunstbetrieb, das gibt schon einiges her an lustigen Geschichten. Und jetzt eben der letzte Band ist dann Comic-Zeichner und der Literaturbetrieb. Ist auch ganz amüsant.
    Selg: der Comic und die Komik. Zur Zeit gibt es ziemlich viele Comics, Graphic Novels, denen die Komik abgeht. Was meinen Sie dazu?
    Graphic Novels als ernste Strömung
    Mahler: Ja, ich geh einmal davon aus, dass das so ein Nachholbedarf ist. Früher haben die Comics lustig sein müssen, bunt sein müssen, sonst waren sie total fehl am Platz. Und jetzt sind sie irgendwie anerkannt, und jetzt werden Leute davon angezogen, die sich eher für das Seriöse interessieren. Und jetzt gibt es halt verstärkt ernste Graphic Novels. Ich glaub aber, dass das wie eine Art Nachholbedarf ist. Jetzt wird es wahrscheinlich zehn Jahre lang unglaublich ernste, unglaublich dicke Bücher geben. Das ist ja das Gute am Comic, dass es alles sein kann. Und bei jedem anderen Metier ist das völlig normal. Dass es auch ernste Filme gibt und lustige Filme gibt und fade Filme und Action-Filme, und es ist trotzdem ein Film. So wie Schwarzenegger und Haneke, da ist es ja das Gleiche, kann man sagen. Und beim Comic, das ist jetzt halt auf dem Weg dorthin, dass die Leute nicht mehr sagen: Ach, Comic, das ist was für Idioten. Sondern: Comic, aha, aber was für ein Comic, welche Art Comic?
    Selg: Es ist eine Entwicklung, die verstärkt in den letzten zehn Jahren stattfindet. Der Comic kommt in der Gesellschaft an, der Comic differenziert sich, der Comic kann ganz vieles sein. Er kann komisch sein und er darf auch ernst sein. Und vielleicht hat auch jeder seine eigene Vorstellung von Komik.
    Mahler: Na ja, sicher. Humor hat ja jeder, auch wenn es ein schlechter Humor ist. Also die meisten haben ja einen schlechten Humor. Und es ist ja auch interessant, dass viele Leute, die etwas Ernstes machen – auch Zeichner –, irgendwann einmal sagen, eigentlich haben sie ja auch angefangen mit lustigen Sachen, aber das können sie nicht. Bei der Partnervermittlung ist immer das Wichtigste, der Partner soll Humor haben. Und überhaupt im Alltag, das Tollste ist immer der Humor. Und wenn man jetzt zur Kunst geht oder zur Literatur, ist ja alles, was mit Humor zu tun hat, zweitklassig: Na ja, aber ist ja nur lustig, pff. Da fehlt mir ein bisschen was, muss es immer nur lustig sein? Aber es gibt halt viele Schattierungen von Humor. Und für mich muss es schon immer lustig sein, weil mir ist das Ernste, das ist mir zu wenig. Weil ernst ist eh alles, im Prinzip. Es ist total leicht, irgendetwas Tragisches zu machen, weil es ist alles tragisch, eigentlich. Am Schluss muss man sterben. Aber da muss man halt einen Witz jetzt auch noch unterbringen, bevor es so weit ist. Und das ist schwierig.
    Eigenen Stil entwickelt
    Selg: Es gibt Literaturadaptionen von Nicolas Mahler und autobiografische Texte. Der Stil in beiden Arten von Comic-Büchern unterscheidet sich wenig und wird gern mit reduziert und minimalistisch beschrieben. Wie war denn die Entwicklung bis hin zu diesem sehr zurückgenommenen Stil?
    Mahler: Na ja, am Anfang hab ich viel zu aufwendig gezeichnet und ich bin ja jetzt nicht so naturgegeben der tolle Zeichner, der alles kann, und hab schon sehr lang gebraucht und irgendwann einmal wollte ich nicht mehr. Da hab ich schon richtig eine Zeichenhemmung verspürt: Ah, jetzt muss ich das zeichnen, das Piratenschiff. Ich hab keine Lust! Außerdem hat es damals Google-Bildsuche noch nicht gegeben. Da hat man immer die Bildvorlagen raussuchen müssen. Heutzutage ja unvorstellbar. Für jeden Blödsinn muss man da im Bildlexikon nachschlagen, in die Bibliothek gehen und so. Und dann hab ich nach einer kurzen Phase, in der ich gar nicht gezeichnet hab, weil ich keine Jobs gehabt hab und weil ich keine Lust gehabt hab. Da hab ich mir gedacht, warum zeichne ich eigentlich nicht so, dass es mir Spaß macht? Und da hab ich die Gesichter entfernt von den Köpfen, viel kleinere Köpfe gemacht, dass für das Gesicht kein Platz mehr war, lange Nasen, und dann war eigentlich der Stil fertig. Weil ich mir gedacht hab, gut, ich kann jetzt die Figuren drehen, wie ich will. Anatomisch schaffe ich es jetzt auch. Und mein Ziel war immer, jede Geschichte zeichnen zu können, die mir in den Sinn kommt. Und in dem Stil ist mir das jetzt möglich.
    Selg: Was mich erstaunt, ist, dass dieser sehr reduzierte Stil eine enorme Bandbreite an Gefühlen zulässt.
    Mahler: Was ich mir natürlich schon überlegt hab, warum zum Beispiel meine Adaptionen funktionieren: Man sieht jetzt zum Beispiel den „Mann ohne Eigenschaften“ gezeichnet. Man weiß aber trotzdem nicht, wie er aussieht. Weil er eben so schemenhaft nur dargestellt ist. Ich glaub, dass man da viel mehr reinlegt, wenn man es anschaut, als wenn alles schon so offen daliegen würde. Aber es ist ja überhaupt so: Das Nichts ist ja überhaupt die größte Projektionsfläche. Je weniger da ist, desto mehr kann hineingelegt werden. Von manchen. Manche sehen halt nichts drin.