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Corsogespräch
Leben in Bewegung

Das Album "FM Biography" der Sängerin und Pianistin Johanna Borchert ist ihr Solo-Debüt. Bislang war sie in musikalischen Projekten wie Little Red Suitcase und Schneeweiß & Rosenrot musikalisch aktiv. Für ihr erstes Solo-Album hat sie sich prominente Unterstützung geholt.

Johanna Borchert im Gespräch mit Dirk Schneider | 11.10.2014
    Johanna Borchert
    "Dänemark war auch schon eine Befreiung für mich", so die Musikerin Johanna Borchert. (Simon Hegenberg)
    Dirk Schneider: Frau Borchert, Sie haben gesagt, dass die Stücke auf Ihrem neuen Album zu keinem Ihrer anderen Projekte gepasst hätten. Empfinden Sie dieses Album also auch als eine Art Debüt?
    Johanna Borchert: Ja, auf jeden Fall. Das ist das erste Mal, dass ich als Hauptsängerin singe, alleine singe, und das sind alles meine Kompositionen. Insofern ist das ein Debüt.
    Schneider: Warum dieses Debüt ein Debüt ist, da kann man auch auf einem Umweg hinkommen: Dieser Umweg führt über den großen Jazzgitarristen Fred Frith, der auf diesem Album mitgespielt hat, und es gibt natürlich auch eine Geschichte, wie es dazu kam, die würde ich gerne von Ihnen hören.
    Borchert: Ja, ich habe Fred in Kopenhagen kennengelernt, das habe ich studiert, sieben Jahre lang, und da hat er ein Konzert gespielt, und wir haben ihm unsere CD zugesteckt, und er hat uns dann eingeladen in New York zu spielen. Dann haben wir ihn dort auch gesehen, und dann hat er mich eingeladen, nach Kalifornien zu kommen, ans Mills College in San Francisco, in Oakland. Und da war ich drei Monate zu Gast, da habe ich ihn ein bisschen besser kennengelernt. Und dann habe ich ihn einfach später gefragt, ob er Lust hätte, mitzuspielen, und er hatte mir vorher schon gesagt, ich sei jetzt soweit, ich könnte mit jedem Musiker spielen.
    Schneider: Mit jedem Musiker der Welt?
    Borchert: Genau! Das hat er mir mal so zugeraunt. Und dann dachte ich, Jahre später habe ich mich daran zurück erinnert und dann habe ich gedacht: Das nehme ich jetzt mal ernst.
    Schneider: Was hat Ihnen das bedeutet?
    Borchert: Das hat mir schon sehr viel bedeutet, deswegen habe ich mir das ja auch gemerkt. Also das war für mich schon so ein "hint", irgendwie, du bist jetzt soweit, du musst jetzt nicht mehr, du kannst jetzt, frag einfach, denk einfach groß.
    Schneider: Think big. Sehr amerikanisch. Wobei Fred Frith Brite ist, muss man ja auch dazu sagen.
    Dänemark war wie eine Befreiung
    Borchert: Wobei, er ist ja irgendwie auch Weltbürger.
    Schneider: Jetzt haben Sie gesagt, Sie waren drei Monate am Mills College, Sie haben diese drei Monate als die glücklichsten Ihres Lebens bezeichnet. Ich weiß nicht, ob das immer noch aktuell ist. Aber die Frage ist natürlich: Was war das denn für eine Zeit für Sie, was ist da passiert?
    Borchert: Ja, das war eine besondere Zeit der Befreiung, irgendwie, der musikalischen. Also Dänemark war auch schon eine Befreiung für mich. Also ich hatte in Berlin angefangen zu studieren, Jazz, und das war auch super, aber das war sehr, da war ich noch sehr jung, und auf einmal Jazz studieren, Bebop-Lines üben, und ich hatte eigentlich gar keinen Bezug dazu. Ich war eigentlich sehr unglücklich in der Zeit. Weil ich ein schlechtes Selbstwertgefühl hatte und einfach dachte ... also einfach nicht wusste, was soll ich eigentlich damit, finde ich die Musik eigentlich so toll, so Hard Bop und so, das war eigentlich nicht mein Ding. Ich hab mich da ein bisschen durchgequält und bin dann als Austauschstudentin nach Dänemark gegangen, und die hatten eine ganz andere Herangehensweise. Das war viel offener, und da konnte man mehr so gucken, was will man selber. Das war schon 'ne Befreiung, aber dann am Mills College, das war noch mal auf ne ganz andere Art, irgendwie, inspirierend, weil ich da einfach auf Leute getroffen bin, die tatsächlich noch viel gezielter sich mit ähnlichen Dingen beschäftigt haben wie ich ...
    Schneider: Was für Dinge waren das?
    Borchert: ... noch ernsthafter mit freier Improvisation beschäftigt haben, sich selber Instrumente gebaut haben, oder Lichtkünstler waren, Bühnendesign, also alle möglichen Sachen spielten auf einmal eine Rolle. Und es gab viele Leute, die einfach so mehrere Medien benutzt haben und da auch viel freier mit umgegangen sind, also auch einfach auch gesagt haben: Ich studiere nicht nur Musik. Sondern die studieren dann irgendwie Mathematik und Musik. Also das war einfach so eine schöne Erfahrung, dass man die Dinge nicht mehr so trennt.
    Schneider: Gibt es bei Ihnen auch so eine Grenzüberschreitung, weg von der Musik, dass Sie sagen würden, Sie sind außer Musikerin auch noch etwas anderes, was da noch mit rein spielt?
    Borchert: Ich würde das von mir nicht behaupten. Aber ganz viele andere Sachen sind für mich eine Inspiration. Beim Komponieren, und auch sonst, insgesamt, musikalisch.
    Immer das Gefühl, ich muss immer entschleunigen
    Schneider: "FM Biography", dieser Titel erinnert natürlich ans Radio, "FM", haben Sie eine radiobeeinflusste Biografie, oder ist das jetzt zu platt gedeutet?
    Borchert: Dieser Text stammt von einer polnischen Dichterin, die heißt Agnieszka Wolny-Hamkało. Die hatte ihr Gedicht so genannt, "FM Biography", und ich hab meine ganze CD danach benannt, weil ich das total passend fand - Frequency Modulation fand ich eine interessante Sichtweise auf, vielleicht, ein Leben, oder eine Biografie, also dass man die Bewegung, die ...
    Schneider: Die Geschwindigkeit vielleicht?
    Borchert: Die Geschwindigkeit, die Amplitude, ich habe es jetzt wieder vergessen, bei Frequency Modulation, ob das die Geschwindigkeit ist.
    Schneider: Es ist die Frequenz, also nicht die Höhe.
    Borchert: Nicht die Höhe, genau.
    Schneider: Sonst sprechen Leute ja von einem Leben in einer Achterbahn, das wäre dann die Amplitudenmodulation.
    Borchert: Die Frequenz, ja.
    Schneider: Leben Sie schnell oder langsam? Sie haben mal in einem Interview gesagt, Sie seien hypersensibel, das fand ich sehr interessant.
    Borchert: Ach, das hab ich mal gesagt? Interessant, habe ich wieder vergessen, aber ja. Ich hab eigentlich das Gefühl ich muss immer entschleunigen, weil einfach zu viel immer auf einmal passiert. Einfach immer wieder so ein bisschen anbremsen.
    Musik mit populärem Charakter
    Schneider: Wie gehen Sie denn durch die Welt? Sind Sie sehr offen? Hypersensibel heißt ja auch, dass man sehr empfänglich ist, wahrscheinlich muss man sich dann auch ein bisschen abschotten?
    Borchert: Ja, ja. Ich hab auch mal gehört, dass Fische, ich bin auch Fisch, dass die immer mitschwimmen mit dem Strom, und irgendwann haben sie zu viel, weil sie so offen sind, dann müssen sie sich abschotten. Ich glaube, da passe ich sehr rein in das Bild.
    Schneider: Wir sind ja hier im Corso Musikmagazin, das ist ja nun keine Jazzsendung, sondern eher eine Popsendung. Und ich rezipiere Ihr Album einfach mal als Popmusik. Sind Sie damit einverstanden, wenn man das, was Sie da machen, als Pop bezeichnet?
    Borchert: Ja, also ich finde, die Musik hat absolut populären Charakter. Ich glaube, dass Viele die mögen können, deswegen finde ich das super.
    Schneider: Sind die Stücke auf dem Album komponiert, oder wie viel ist denn da in der Zusammenarbeit mit den drei tollen Künstlern entstanden?
    Borchert: Also die Stücke selber sind alle von mir komponiert, wie so ein Songgerüst. Ich hatte einige davon auch schon arrangiert, selber aufgenommen, ein bisschen produziert und so. Und dann hatte ich das den Jungs gegeben, und dann sind wir ins Studio, und dann habe ich die einfach spielen lassen. Das ist immer sowieso viel besser, weil die einfach in ihrer eigenen Haut stecken und wissen, was sie beitragen können, was am schönsten klingt. Und deswegen habe ich die ja auch ausgewählt.
    Musik ist zugänglicher geworden
    Schneider: Und so ein großer Name wie Fred Frith, das ist ja wirklich ein schwerwiegender Name, auch jemand, der Ihnen gegenüber ja auch als Professor schon aufgetreten war. Hat so jemand dann nicht einfach ein total starkes Gewicht, kann das nicht auch schwierig sein?
    Borchert: Nee, der hat einen großen Respekt vor mir und hat sich da total zurückgenommen und sehr gut eingefügt. Der hat natürlich eine Autorität. Das merkt man schon.
    Schneider: Würden Sie denn selber sagen, dass diese Musik jetzt zugänglicher ist als das, was sie als stärkere Jazzmusikerin gemacht haben? Oder kommt einem das nur so vor, wenn man jetzt aus der Pop-Ecke kommt und so einen großen Respekt hat vor allem, wo Jazz drauf steht?
    Borchert: Ich glaube, dass das zugänglicher ist, ja.
    Schneider: Und dann ist ja immer der Vorwurf bei der Popmusik, dass es flacher ist, dass es weniger Tiefe hat. Also wie verhalten sich da Zugänglichkeit und Tiefe? Kann etwas wirklich tief sein und trotzdem zugänglich?
    Borchert: Was bedeutet denn tief? Man könnte das aufnahmetechnisch betrachten, wie räumlich ist das, man könnte gucken in der Komposition: Wie sind die Instrumente benutzt? Wie werden die eingesetzt, wie viel Räumlichkeit entsteht durch eine Orchestrierung? Man könnte Tiefe bezeichnen als: Was berührt mich, wenn es mich berührt, tief, im Herzen?
    Musik, die vom richtigen Ort kommt
    Schneider: Ich würde es aus meinem Verständnis, und ich würde das als philosophisch bezeichnen, ich weiß nicht, ob es philosophisch ist: Für mich heißt Tiefe, dass man in der Musik immer mehr entdecken kann, je öfter man sie hört. Es gibt wirklich Musik, da hat man das Gefühl, sie ist beim dritten Mal ausgehört, und es gibt Musik, da hat man das Gefühl, beim 50. Mal entdeckt man immer noch etwas Neues.
    Borchert: Ja. Genau. Auf jeden Fall, das ist für mich auch Tiefe. Aber Tiefe ist auch, wenn es mich ... Was ich am allerwichtigsten finde bei der Musik, ist, dass die, irgendwie, vom richtigen Ort kommt. Und ich glaube, dass sie dann auch wiederum den richtigen Ort ... also was heißt richtig, das gibt’s nicht. Aber den gleichen Ort wieder berühren kann. Und dieser Ort, das ist irgendwie, irgendwas seelisch-emotionales, was eine Aufrichtigkeit hat und eine Notwendigkeit hat. Und wenn das gegeben ist, dann ist das für mich tiefe Musik, wenn ich das spüre, wenn ich selber Musik höre und da berührt werde, dann hat das für mich Tiefe.
    Schneider: Und das ist ja ein Ort, den Sie als Komponistin, wenn Sie komponieren, finden müssen. Aus dem Sie schöpfen. Wo finden Sie diesen Ort?
    Borchert: Den finde ich in der Muße. Im Loslassen. Den kann ich aber auch in heftigen emotionalen Zuständen finden. Aber wahrscheinlich erst nach einer Weile, wenn das so abebbt. Ich glaub, das hat was mit Loslassen zu tun.
    Schneider: Ich glaube, wir müssen jetzt noch ein Musikstück von Ihnen spielen und vielleicht ein bisschen die Zeit geben, über das Gesagte nachzudenken und das auch noch mal in der Musik nachzuhören.
    Borchert: Ja.
    Schneider: Johanna Borchert im Corsogespräch. Vielen Dank!