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Crazy Kauderwelsch

Englisch ist nicht nur Weltsprache, sondern - bei allem Respekt fürs Französische - auch die Sprache Europas. Allerdings handelt es sich dabei um ein ganz besonderes Englisch, das nur in Brüssel gesprochen wird, denn in den EU-Institutionen haben sich schiefe Übersetzungen eingebürgert.

Von Annette Riedel | 09.09.2013
    Eigentlich klingt der folgende Text doch beim ersten Hinhören ziemlich nach sauberem britischen Englisch:

    "An agent has precised the modalities of actual English usage that can be used with reasonability by European actors and those engaged in planification."

    Das klitzekleine Problem ist nur, dass von diesem Text englische Muttersprachler, die Hälfte schlicht nicht verstehen, wenn sie nicht zufällig in Brüssel arbeiten, wie die Britin Sofia Sharif für die EU-Kommission. Es handelt sich um typisches "Brussels English" - "Brüssel Sprech". Sofia Sharif:

    "Es ist eine Sprache, die man innerhalb der europäischen Institutionen gebraucht. Viele der benutzten Worte und die Art sich ausdrücken, sind außerhalb der Institutionen kaum zu verstehen."

    Zum Beispiel wird man nach dem Wort "planification" aus dem Text wohl lange in einem englischen Wörterbuch suchen, sagt Sofia:

    "I don't think you'll find it in the English dictionary, to be honest."

    Oder, noch ein Beispiel, "precise" - präzisieren, gibt es im Englischen eigentlich nicht als Verb; "reasonable" – sinnvoll, vernünftig nicht als Substantiv "reasonability". Ein "actor" ist ein Schauspieler und kein Akteur. Ein "agent" ist im - korrekten - Englisch nicht einfach irgendein beliebiger Mitarbeiter.

    "Ich bin auf Zeit eingestellt in der Kommission, bin also 'agent temporaire' auf Französisch, 'temporary agent' auf Englisch. Wenn ich aber meinen Freunden oder meiner Familie zuhause versuchen würde zu verklickern, dass ich 'Agent' bin, dann würden die mich fragen, was heißt das? Bist Du in geheimer Mission im Mittleren Osten unterwegs?"

    Sagt Michael Jennings, einer der Kommissionssprecher - ein Brite, der sein Abitur in Deutschland gemacht hat und einer der vielen, vielen beneidenswerten bi- und multilingualen Menschen, die in Brüssel arbeiten. Eigentlich, sagt Michael, eigentlich sprechen die meisten Menschen, die in Brüssel arbeiten, gut bis sehr gut Englisch. Und trotzdem findet man in vielen der offiziellen EU-Dokumente zwar nicht in der, zugegeben etwas gewollten Dichte wie in unserem kleinen Beispieltext, aber doch häufig schräge englische Worte. Wie kommt’s? Michael Jennings:

    "Es ist ganz einfach die Tatsache, dass nicht nur englische Muttersprachler in der Kommission sind. Und auch englischen Muttersprachlern, wie ich auch, unterlaufen oft Fehler, wenn wir nicht tagtäglich nur in unserer Muttersprache arbeiten können und müssen."

    Da man in Brüssel außerhalb der Institutionen überwiegend französisch spricht und das Französische - neben dem Englischen und auch dem Deutschen - in europäischen Zusammenhängen Arbeitssprache ist, ist der Einfluss des Französischen auf das Brüssler Englisch deutlich. So wird eben beispielsweise aus "planification" fälschlich "planification". Michael Jennings:

    "Der französische Einfluss ist hier auch sehr stark. Es werden auch viele Texte auf Französisch und dann kann sicherlich so was mal passieren. Ich denke, das ist auch ein Teil die 'Revanche' anderer Sprachen dafür, dass Englisch so weit verbreitet worden ist und das müssen wir als Muttersprachler auch ein bisschen mit in Kauf nehmen - auch mit einem Schmunzeln manchmal."

    Und nicht nur das - irgendwann, wenn englische Muttersprachler nur lange genug in den europäischen Institutionen arbeiten, gewöhnen sie sich mit der Zeit dieses "Brussels English" selbst an. So wird das "falsche" Englisch übernommen und verbreitet sich weiter. Kommissionssprecher Michael Jennings hat noch ein Beispiel: "mission".

    "Eine 'mission' ist eher was Militärisches oder was Geheimagenten machen. Aber in der Kommission ist es jetzt so, dass man unter 'mission" einfach eine Dienstreise versteht."

    Und geht er, der Brite, entsprechend eher auf eine "mission" oder einen "business trip"?

    "Ich sage 'mission', wenn ich hier mit meiner Sekretärin oder mit Kollegen spreche, würde ich das nie sagen."

    All die genannten Beispiele - und noch mehr - für malträtiertes Englisch in Brüsseler Schriftverkehr, insgesamt rund 100 an der Zahl, hat einer zusammengetragen: der Brite Jeremy Gardner vom Europäischen Rechnungshof, der selbst auch übersetzt. Man könnte geneigt sein, ihn als eine Art "Sprach-Snob" zu bezeichnen, der nicht akzeptieren will, dass Sprache ein lebendig Ding ist, das sich verändert, das nun mal Einflüsse aufnimmt - immerhin gibt es in der EU 24 Landessprachen. Jeremy Gardner:

    "Manche halten mich für einen Puristen, der die Sprache gegen Entwicklungen verteidigt. Mir geht es aber nur darum, dass die Menschen die Dokumente auch lesen können, die für sie geschrieben sind."

    Ein europäisches Gesetz, sagt Gardener, bei dem es um die Landwirtschaft geht, muss theoretisch von jedem Bauern verstanden werden können. Von jedem Englischsprachigen entsprechend in der englischen Version. Also darf sie nicht in Brussels English geschrieben sein. Jeremy Gardner:

    "Wir können doch nicht von jedem Bauern erwarten, dass er stundenlang im Internet nach der Bedeutung bestimmter Wörter suchen muss. Das ist das Gegenteil von Snobismus. Englischsprachige Menschen müssen wie alle anderen auch Texte in korrekter Sprache bekommen."