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CSU
Direkte Demokratie von oben

Der Wahlsieg Donald Trumps macht auch die CSU nervös: Schließlich siegte damit der Protest gegen das Establishment - und die CSU ist in Bayern seit 70 Jahren das Establishment. Mit Volksbefragungen will die Partei dem Volk Souveränität zurückgeben - initiieren kann die allerdings nur die Landesregierung selbst.

Von Susanne Lettenbauer |
    Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) während einer Plenarsitzung im bayerischen Landtag in München.
    Bayerns Finanzminister Markus Söder fürchtet nach Trumps Wahlsieg einen Auftrieb des "Konzepts Protest gegen das Establishment". (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Auch im Maximilianeum, dem Landtag Bayerns, war der erste Schreck groß. Viele Politiker verfolgten überrascht die Wahl eines Populisten zum künftigen US-Präsidenten. Mittlerweile prägt vor allem Aktionismus die Diskussionen - gepaart mit dem Versuch, Haltung zu bewahren. Es sei, so CSU-Finanzminister Markus Söder:
    "Ein sehr beachtliches Wahlergebnis. Ich glaube auch, dass es ein bisschen die Welt verändert, weil das Konzept, Protest gegen das Establishment, wird natürlich dadurch Auftrieb erfahren."
    Der Protest gegen das Establishment? Die CSU ist alarmiert. Sie ist in Bayern das Establishment seit 70 Jahren. Und war immer stolz darauf. Jetzt klingt der Begriff wie ein Makel. Dabei sei doch gerade die CSU der Garant für Stabilität und Demokratie:
    "Bayern ist ein Erfolgsmodell, auch wenn es die Opposition nicht hören will. Es ist unbestritten, Bayern ist innerhalb Deutschlands das Musterland für mehr direkte Demokratie."
    Kritik von der Opposition: Keine echte Beteiligung
    Bayerischer Landtag vor wenigen Tagen. Der niederbayerische CSU-Politiker Josef Zellmeier vertritt die CSU-Spitze bei der eilends von der Opposition beantragten aktuellen Stunde zum Thema "Bürgerwille respektieren - mehr direkte Demokratie".
    "Und das ist auch unserem Ministerpräsidenten zu verdanken, die nah am Bürger und näher am Menschen sind, die die Koalition mit dem Bürger pflegen und da lassen wir uns von niemandem etwas vormachen."
    Der Beifall klingt spärlich. Abwechselnd schrill und staatstragend versucht Zellmeier seine Partei als volksnah zu beschreiben. Auf dem CSU-Parteitag hätten zwei Drittel der Abgeordneten für bundesweite Volksentscheide gestimmt. Und man habe das Landeswahlgesetz extra nachgebessert, um jederzeit Volksbefragungen durchführen zu können. Doch genau das sei keine echte direkte Demokratie, kritisiert die Opposition und hat dagegen Klage eingereicht: Niemand brauche Volksbefragungen, die nur von der Staatsregierung initiiert werden können und absolut unverbindlich seien, so der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Franz Schindler, SPD:
    "Wir waren die Fraktion, die als erste einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat. Wir klagen beim Bayerischen Verfassungsgericht, nicht weil wir gegen Volksbefragungen sind, sondern wegen der Art und Weise, wie sie es konstruieren wollen, nämlich nur durch Beschluss der Staatsregierung und der Mehrheit. Das ist unser Kritikpunkt, aber doch nicht das Instrument der Volksbefragung."
    Kommenden Montag entscheidet das Bayerische Verfassungsgericht über die Klagen der Opposition, ob Volksbefragungen, wie sie die CSU will, zulässig sind.
    Grüne: "Placebo-Demokratie nach Gutsherrenart"
    Nicht nur SPD und Grüne machen gegen die CSU-Version der Volksbeteiligung mobil. Lange vor den Christsozialen hätten auch die Freien Wähler eigene Vorschläge zu mehr Mitsprache der Bürger vorgelegt, wettert Freie-Wähler-Generalsekretär Michael Piazzolo:
    "Wir fordern das, seit wir hier im Landtag sind auch in vielen Anträgen. Diese Anträge sind aber immer von der Mehrheit der CSU abgelehnt worden. Wir bleiben trotzdem dabei, und ich begrüße es, dass sie auf dem richtigen Weg zu sein scheinen."
    Der Überbietungswettbewerb nimmt eigenartige Züge an - vor allem nach der Wahl Trumps. Und die CSU wird immer nervöser. Nur noch 44 Prozent der Wähler würden sich für die Christsozialen entscheiden, ergibt eine aktuelle Umfrage des Hamburger Instituts GMS. Das wäre der Verlust der absoluten Mehrheit, ein zweites Mal nach 2008.
    Das hektische Nachjustieren plebiszitärer Elemente wie beim Landeswahlgesetz führe allerdings genau zum Gegenteil von Volkssouveränität, meint die Grünen-Abgeordnete Katharina Schulze:
    "Placebo-Demokratie nach Gutsherrenart, wie die von der CSU propagierten Volksbefragungen, hebelt genau diese Souveränität aus und macht das Volk zur Restgröße machttaktischer Überlegungen. Wenn diese Volksbefragung nicht bindend ist, und so den Menschen nur vorgegaukelt wird, sie könnten wirklich etwas entscheiden - so geht keine direkte Demokratie."
    CSU lehnt Bürgerräte ab
    Der Streit um die richtige Dosis Bürgernähe - viel Lärm um nichts, meinen allerdings die Bürger, die bereits mitreden. Andreas Schuster von Münchens größter Umweltschutzorganisation Green City organisiert gerade ein "Bürgerbegehren für saubere Luft in München".
    "Also mit dem jetzigen Instrumentarium bin ich schon zufrieden, ich könnte mir aber durchaus auch noch eine Ausweitung vorstellen."
    Was Schuster meint, und die CSU bei aller offiziellen Volksnähe strikt ablehnt, sind Bürgerräte, wie sie auch von manchen Wissenschaftlern empfohlen werden. Dabei werden nach dem Zufallsprinzip Einwohner aus den Listen der Meldeämter ausgelost, damit sie sich gemeinsam Gedanken über Politik machen. Bürgerräte als Demokratieschulen.
    "…in denen nicht erst dann Dinge besprochen werden, wenn man gegen etwas sein muss, sondern in denen auch planerisch und zukunftsweisend von Anfang an die Themen besprochen werden, und da glaube ich, ist dann auch, was man als Politikverdrossenheit oder man engagiert sich nicht, ich glaube mit solchen Methoden könnte man dem deutlich besser entgegenwirken."
    Bürgerräte werden in Bayern vorerst nicht kommen. Stattdessen will die CSU lieber den Bürger befragen, ganz klassisch, ganz unverbindlich. Der CSU scheint schon zu schwanen, dass das Volk eine von oben initiierte Meinungsabfrage wahrscheinlich nicht wirklich prima findet. Denn seit die CSU vor einem Jahr diese neueste Möglichkeit der direkten Demokratie mit Blick auf die Populisten von AfD und Co. im Schnelldurchlauf beschlossen hat, wurde das Volk noch kein einziges Mal befragt.