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CSU-Forderungskatalog
Bevorzugung christlicher Flüchtlinge wäre ein "unchristlicher Akt"

Ein „ressentimentgesättigtes Papier“: Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg (CDU), findet deutliche Worte zum flüchtlingspolitischen Forderungskatalog der CSU. Sternberg sagte im DLF, darin würden Vorurteile bedient und politische Forderungen unsachgemäß vereinfacht. Von einer Sortierung der Flüchtlinge sei jedoch nicht die Rede.

Thomas Sternberg im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.09.2016
    Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, spricht am 24.05.2016 in der Kongresshalle in Leipzig (Sachsen).
    Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sieht den CSU-Forderungskatalog zur Flüchtlingspolitik kritisch. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Es gehöre zu den Grundlagen des Christentums, nicht nur Angehörigen der eigenen Gruppe zu helfen, sondern allen Menschen, sagte Sternberg im Deutschlandfunk. Alles andere wäre eine "antichristliche Position". Davon, dass man Flüchtlinge sortieren wolle nach Christen und Muslimen, sei in dem Papier der Schwesterpartei allerdings auch nicht die Rede. "Das wäre auch eine Ungeheuerlichkeit", so der CDU-Politiker. Hauptproblem sei vielmehr, dass in der Zuwanderungsdebatte inzwischen vieles durcheinandergeworfen werde, etwa Fragen der Zuwanderung, der Flüchtlingshilfe und der Integration.
    "Verwilderte politische Diskussion"
    Gerade angesichts der Unsicherheit bei vielen Menschen sei er entsetzt darüber, dass auch mit dem CSU-Papier "eine so unsaubere Sprache in die politische Kommunikation eingeführt wird", betont Sternberg. Statt die Ängste der Menschen zu bedienen, sei Sachlichkeit gefragt und nicht eine "verwilderte politische Diskussion".
    Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat der CSU-Vorstand den Forderungskatalog auf ihrer Klausur inzwischen mit Änderungen einstimmig beschlossen. Demnach soll die geforderte Vorrang-Regelung nur auf klassische Einwanderer angewendet werden und nicht auf Flüchtlinge.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Die CSU fordert von Angela Merkel einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik und will dazu heute ein Grundsatzpapier vorlegen. In dem heißt es: Deutschland muss Deutschland bleiben. Und was darunter zu verstehen ist, das hat der CSU-Politiker Markus Söder schon erläutert.
    O-Ton Markus Söder: "Dazu gehört eben einfach, dass wir dafür sorgen, dass die kulturelle Identität erhalten bleibt. Eine unbegrenzte Zuwanderung aus völlig fremden Kulturkreisen wird eine Integration auf Dauer nicht möglich machen."
    Zagatta: In dem Papier werden Obergrenzen gefordert und vorrangig Zuwanderer aus, so heißt es, "unserem christlich-abendländischen Kulturkreis" zu berücksichtigen. Ein Dokument, das für heftige Kritik sorgt. Die Forderungen seien verfassungswidrig und eine AfD-Kopie, sagt die Opposition. Die "Süddeutsche Zeitung" spricht von einem "AfD-Nachplapperpapier", und selbst der Koalitionspartner SPD wirft der CSU jetzt vor, auf Ausgrenzung zu setzen.
    - Ist das eine unchristliche Flüchtlingspolitik? Das kann ich Thomas Sternberg fragen. Er ist Präsident des Zentralrats der Deutschen Katholiken und auch Landtagsabgeordneter der CDU in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Sternberg!
    Thomas Sternberg: Einen schönen guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Sternberg, beim Katholikentag im Frühjahr in Leipzig haben Sie AfD-Politiker noch ausgeschlossen von Podiumsdiskussionen wegen deren Flüchtlingspolitik. Denken Sie jetzt darüber nach, CSU-Politiker genauso auszuschließen, beim nächsten Kirchentag?
    Sternberg: Selbstverständlich nein, denn eines ist völlig unbestritten: Die Bayern machen immer schon eine gute Flüchtlingspolitik, haben das sehr gut gemacht und machen das auch sehr ordentlich in der Praxis. Und wenn man dann natürlich so ein Papier in die Hand bekommt, das ressentimentgesättigt, im Grunde genommen Vorurteile bedient, dann wundert man sich schon, wie hier die politische Kommunikation der CSU und die Praxis der bayerischen Staatsregierung auseinanderklaffen.
    Zagatta: Also Sie sagen, da werden Ressentiments bedient, aber Sie pflegen da einen anderen Umgang. Also das heißt, da messen Sie schon mit zweierlei Maß, vergleichen das nicht mit der AfD.
    Sternberg: Ich messe nicht mit zweierlei Maß, denn die CSU hat hier, wenn Sie das mal wirklich lesen, ist es so, dass man durch die Vermischung von Ebenen auf der einen Seite politische Positionen formuliert und auf der anderen Seite eben wie gesagt Vorurteile bedient, Schlagworte aufgreift und völlig unsachgerecht simplifiziert und vereinfacht. Also hier stimmt etwas in der Kommunikation nicht. Aber die Haltung der CSU – wir sind weit entfernt zu glauben, die CSU sei hier nun wirklich auf einem solchen Rechtstrip, dass sie die Grundlagen der deutschen Flüchtlingspolitik untergraben würde.
    Zagatta: Wo sehen sie denn da den entscheidenden Unterschied? Weil in vielen Zeitungen - auch von der Opposition - werden ja die Positionen, die die CSU jetzt vertritt, mit denen der AfD in der Flüchtlingspolitik verglichen.
    Sternberg: Wenn man sich das mal genauer ansieht, dann ist darin in der Flüchtlingsfrage eine Positionierung, wie sie die CDU und die CSU und die SPD und wie Deutschland die hier immer gehabt hat, das ist ganz klar. Die Flüchtlinge kommen zu uns. Die erste Meldung, die damals über die Ticker lief, gestern über die Ticker lief, hier wolle man die Flüchtlinge sortieren nach Christen oder Muslimen, steht selbstverständlich nicht drin. Das wäre eine Ungeheuerlichkeit. Und das wäre eine ganz deutlich antichristliche Position.
    Zagatta: Aber so ist es angekommen. Sie beziehen sich jetzt wahrscheinlich darauf, dass in dem Papier von Zuwanderung gesprochen wird, dass in der Öffentlichkeit jetzt aber über Flüchtlinge diskutiert wird. Nur so kommt das in der Öffentlichkeit an. Ich habe gestern ein Interview nachgelesen von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Beckstein von der CSU. Der hat das auch so verstanden. Der vermischt das auch und spricht teilweise von Flüchtlingen.
    Sternberg: Das ist, glaube ich, auch das Hauptproblem nicht nur dieses Papiers, sondern der ganzen Debatte, dass die Fragen Zuwanderung, Integration und Flüchtlingshilfe ständig durcheinandergeworfen werden. Flüchtlingshilfe ist genau das, was die Bundeskanzlerin mit einem ganz großen, energischen Einsatz im letzten Jahr in Deutschland zu einer gigantischen Hilfswelle geführt hat. Und die bis heute anhält und bis heute eine große und nach wie vor überwiegende Zustimmung in der deutschen Bevölkerung findet, nämlich die Aufnahme von Flüchtlingen. Dass vor allen Dingen die Fluchtursachen in den Herkunftsländern beseitigt werden müssen, auch das wird die übergroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung unterstreichen. Das Problem ist, dass diese Frage von Flüchtlingen ständig vermischt wird mit der Frage von Einwanderung.
    Zagatta: Also christliche Flüchtlinge bevorzugen, so wie das in der Öffentlichkeit ankam, das käme für Sie auf keinen Fall in Frage?
    Sternberg: Nur Aufnahme von Christen wäre "dezidiert antichristliche Position"
    Sternberg: Das käme nicht nur für mich nicht in Frage, das wäre ein völlig unchristlicher Akt, denn eins ist völlig klar: Es gehört zu den Grundlagen des Christentums, dass nicht nur der eigenen Gruppe geholfen wird, sondern selbstverständlich gilt die Menschenwürde und gilt die Hilfsaufforderung auch für alle Menschen. Das wäre sogar eine dezidiert antichristliche Position, wenn man das machen würde.
    Zagatta: Wie ist das mit Obergrenzen? Da sagen ja viele, das sei mit dem Grundgesetz oder mit der deutschen Verfassung gar nicht zu machen. Die CSU fordert ja solche Obergrenzen. Hilfe für Menschen in schwerer Not an Obergrenzen zu binden, ist das christlich, ist das mit christlichem Verständnis zu machen?
    Sternberg: Die Frage von solchen Obergrenzen ist extrem kompliziert zu beurteilen und zu bewerten. Das steht mir auch nicht an, das als Präsident des Zentralkomitees der Katholiken hier zu machen. Das ist eine wichtige politische Debatte. Was für mich ganz wichtig ist, dass hier nicht mit einem Begriff eine Scheinlösung präsentiert wird, die so gar nicht zu machen ist. Wir haben eine erhebliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen ja in Deutschland längst bekommen, da ist ja sehr viel passiert. Nur, ob es da hilft, mit den großen Streitäxten solcher Begriffe zu operieren – ich halte nichts von solchen Wörtern wie Burka-Verbot, wie Leitkultur oder wie jetzt Obergrenze. Das sind Leitworte einer, wie ich finde, verwilderten politischen Kommunikation in diesen Fragen, bei der es meines Erachtens Aufgabe der Politik und auch Aufgabe von öffentlichen Verbänden ist, abzurüsten und zu versachlichen. Und den Menschen die Ängste, die sie haben, nicht noch zu bedienen, sondern sie – diese Ängste aufzugreifen und in eine politische Kommunikation zu überführen.
    Zagatta: Auf der anderen Seite haben die Menschen diese Ängste. Umfragen zufolge oder neueren Umfragen zufolge fordern 82 Prozent der Bevölkerung eine andere Flüchtlingspolitik, hat eine Mehrheit der Deutschen Angst vor dem Islam. Das zeigt sich ja auch irgendwo in diesen Wahlerfolgen der AfD. Können Sie denn in Zukunft – Sie haben es ja getan beim Kirchentag – da AfD-Politiker, die gewählt werden, die solche Ergebnisse erzielen, die dann doch irgendwo Rückhalt in der Bevölkerung finden, können Sie die noch ausschließen?
    Sternberg: Herr Zagatta, ich muss da ein bisschen früher ansetzen. Sie haben vorhin gesagt, 82 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnten die Flüchtlingspolitik ab.
    Zagatta: Nein, ich sage, wollen Änderungen.
    Sternberg: Das deckt sich nicht mit meinen Kenntnissen. Es hat gerade eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD gegeben, die noch mal festgestellt hat, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel für richtig halten. Und die große Untersuchung, die wir im letzten Jahr, die wir vor einigen Monaten bekommen haben über die Flüchtlings- und Integrationssituation, hat auch wieder die Zahl einer überwiegenden und sehr, sehr großen Unterstützung. Ich glaube, dass hier der Wahlerfolg einer AfD, die 168.000 Wähler in Mecklenburg-Vorpommern dürfen jetzt nicht hier unseren Blick völlig dadurch vernebeln, als müssten wir uns auf die Ebene von solchen Stammtischparolen begeben. Da ist überhaupt gar nicht die Notwendigkeit.
    Zagatta: Nein, sie hat aber auch 15 Prozent in Baden-Württemberg erreicht. Aber was dahintersteckt, also hinter meiner Frage. Die AfD, die führt ja dieses "C", dieses "christlich" nicht im Namen. Die nennt sich eine deutsche Partei. Muss man Parteien, in dem Fall die CSU, die sich christlich nennen, muss man an die nicht einen noch höheren Maßstab anlegen?
    Sternberg: Unsaubere Sprache im Papier "hat mich wirklich entsetzt"
    Sternberg: Das muss man selbstverständlich. Und deshalb muss man sehr genau prüfen, ob der christliche Anspruch wirklich gewahrt wird. Denn eins ist natürlich völlig klar: Man kann nicht mit unchristlichen Parolen das christliche Abendland beschwören. Das ist eine Sache, die passiert bei der AfD unentwegt, dass man behauptet, man wolle Christliches schützen. Und tut genau das mit unchristlichen Elementen. Aber das ist hier etwas anderes. Wenn man das Papier, wie gesagt, genauer liest – da sind ja auch kluge Menschen dabei, die aufpassen, was man da schreibt. Nur, ich bin entsetzt über dieses Papier, das sage ich offen, entsetzt darüber, dass hier eben so eine unsaubere Sprache in eine politische Kommunikation eingeführt wird, bei der im Grunde genommen derjenige, der seine Ressentiments bedient sehen will, diese in diesem Papier findet. In dem man mit Reizworten operiert, in dem man vereinfacht, in dem man Dinge zusammenstellt, die so nicht zusammengehören. Und in einer extrem schwierigen Frage, in einer Frage, bei der Menschen unsicher sind und in der sie Ängste haben und in der sie Sorgen haben, ob eigentlich dieses Deutschland sich so stark verändert, wie es sich übrigens international in jedem Fall verändern wird und verändert, dass diese Ängste bedient werden, statt sie zu beschwichtigen und die Probleme sorgfältig und sachlich aufzuarbeiten, das hat mich schon bei diesem Papier wirklich entsetzt.
    Zagatta: Sagt Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralrats der Deutschen Katholiken. Herr Sternberg, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch!
    Sternberg: Bitte schön, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.