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"Da muss sich die Politik ganz schnell ranmachen"

Das beginnende Sommersemester wird Deutschlands Hochschulen erneut aus allen Nähten platzen lassen. Beim sogenannten Hochschulpakt für neue Studienplätze müssen Bund und Länder daher dringend nachlegen, fordert der Bildungsökonom Dieter Dohmen. Andernfalls würden bald Hunderttausende junge Menschen ohne Studienplatz dastehen.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Kate Maleike | 05.04.2012
    Kate Maleike: Dieter Dohmen ist Bildungsökonom und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Prognosen für die Hochschulen, für die Studienanfängerzahlen auch, natürlich. Guten Tag, Herr Dohmen!

    Dieter Dohmen: Guten Tag, Frau Maleike!

    Maleike: Jetzt kann man ja sicher sagen, bei der Berechnung von Bund und Ländern für den Hochschulpakt 2020 konnte der Wegfall der Wehrpflicht noch nicht vorausgesehen werden. Trotzdem wundert man sich ja jetzt über den Eindruck, dass da nachgebessert werden muss. War das nicht schon abzusehen?

    Dohmen: Also, es ist durchaus seit einigen Jahren absehbar, dass die Studienanfängerzahlen deutlich steigen. Wir selbst haben im Herbst 2010 bereits gesagt, dass wir bis 2020 insgesamt eine Million Studienanfängerplätze zusätzlich brauchen – das war also damals viermal so viel wie bis 2015 bereitgestellt wird –, und darauf haben sich Politik in Bund und Ländern viel zu spät eingestellt, ja.

    Maleike: Das heißt, man hat sich eigentlich verrechnet, oder wie kann man das erklären?

    Dohmen: Ja und nein. Also das eine, was man sehen muss, es hat vor gut fünf Jahren eine Diskussion in die umgekehrte Richtung gegeben, als die Studienanfängerzahlen nach Anfang der Diskussion über Studiengebühren deutlich zurückgegangen sind, hat die Kultusministerkonferenz eine beträchtliche Prügelorgie erlebt, hätte ich fast gesagt, weil ihre Prognosen deutlich zu hoch waren. Das hat sich dann innerhalb kurzer Zeit komplett umgekehrt, und dann hat die KMK und auch der Bund deutlich zu spät reagiert und nicht wahrhaben wollen, dass die Studienanfängerzahlen deutlich steigen werden. Dann kamen die doppelten Abiturjahrgänge und dann der Wegfall der Wehrpflicht, und dies alles zusammen führt mit einer steigenden Studierneigung dazu, dass wir in diesem Jahr über 500.000 Studienanfänger hatten.

    Maleike: Ich würde sagen, wir hören an der Stelle noch mal, was die NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze als Forderung aufgestellt hat.

    Svenja Schulze: "Die genauen Summen habe ich im Moment noch nicht, das wird jetzt gerade erst errechnet, aber was man schon weiß, ist, dass die Anfängerzahlen deutlich höher werden. Das heißt, sie müssen sozusagen den Deckel, den wir bis jetzt drin haben, der muss auf jeden Fall weg, wir müssen die Laufzeit verlängern. Wir wissen, dass der Studierendenandrang auch länger noch so hoch sein wird, und was bis jetzt noch gar nicht verhandelt ist, das ist eine Masterkomponente. Wir wissen, dass viele Studierende eben weiter studieren wollen, da ist nach dem Bachelor nicht Schluss, und für die brauchen wir eben dann auch zusätzliche Plätze an den Hochschulen, und auch das muss nachverhandelt werden."

    Maleike: Herr Dohmen, hat Frau Schulze recht?

    Dohmen: Sie hat recht – was mich wundert, ist, dass es angeblich keine Zahlen gibt, also das ist nun wirklich nicht die schwere Aufgabe. Wir haben mal gerechnet und wir bräuchten insgesamt bis 2015 15 Milliarden, das ist ungefähr doppelt so viel wie derzeit bereitgestellt worden ist, und bis 2020 erhöht sich das Ganze noch einmal um fast 10 Milliarden, also insofern liegen die Zahlen auf dem Tisch. Die Masterkomponente ist richtig, auch hier haben wir erste Berechnungen, dass wir bis zu 260.000 Masterplätze brauchen, wobei ein Teil dieser zusätzlichen Masterplätze natürlich über den Hochschulpakt für die Studienanfänger finanziert ist, aber auch trotzdem, selbst dafür sind noch mal fünf Milliarden bis 2020 sicherlich erforderlich.

    Maleike: Jetzt wissen wir alle, die Sparhaushalte greifen überall, in jedem Bundesland, deswegen ist natürlich auch die Frage: Wer kann eigentlich was finanzieren? Sehen Sie Anzeichen dafür, dass der Hochschulpakt nochmal nachgebessert werden kann bei Bund und Ländern?

    Dohmen: Er wird nachgebessert werden müssen, es sei denn, man will die Situation erreichen, dass Hunderttausende junger Menschen vor den Toren der Hochschulen stehen, und das in Zeiten, wo wir auf einen großen Fachkräftemangel zulaufen. Also insofern ist die Politik massivst gefordert. Das, was allerdings, auch wenn der Bund nach Veränderung oder teilweiser Abschaffung des Kooperationsverbotes finanzieren könnte, zu klären ist, ist: Wo kommen die zusätzlichen Mittel her? Auch der Bund schwimmt nicht im Geld, sondern ist auch mit der Schuldenbremse konfrontiert, also insofern stellt sich die Frage, woher kann man weitere Finanzmittel generieren?

    Maleike: Was hätten Sie denn für Vorschläge?

    Dohmen: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es in Richtung Kapitalmarkt gehen könnte, dass es interessierte Anleger gibt, die sagen, ja, ich weiß, dass Hochschulbildung für den Staat ein lukratives Investment ist, das heißt, es rechnet sich auf jeden Fall, und das könnte man vorfinanzieren, indem man einen Anteil der zukünftigen fiskalischen Erträge bekommt.

    Maleike: Wie viel Geld müssen Bund und Länder denn dann jetzt konkret in die Hand nehmen, damit aus Ihrer Sicht der Bedarfslage entsprochen werden kann?

    Dohmen: Also das, was ich eben hier schon mal angedeutet habe, ist, dass wir zirka zehn Milliarden bis 2015 noch mal zusätzlich brauchen werden, und weitere zehn Milliarden dann bis 2020, das sind die Größenordnungen, in denen wir uns bewegen müssen. Das sind keine geringen Beträge, das ist mir völlig klar, zumal man darüber ja nicht den Kita-Ausbau, die Verbesserungen im Schulbereich und so weiter vergessen darf. Hier bedarf es also neuer Finanzierungskonzepte, und da muss sich die Politik ganz schnell ranmachen.

    Maleike: Beim Hochschulpakt für neue Studienplätze müssen Bund und Länder dringend noch mal nachlegen, das fordert jetzt auch der Bildungsökonom Dieter Dohmen aus Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!

    Dohmen: Danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.